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Paula Modersohn-Becker Museum Inniger Blick auf den weiblichen Körper: Vivian Greven in Bremen

Die Sommerausstellung in Bremens Böttcherstraße stellt 16 Bilder von Vivian Greven in den Dialog mit Paula Modersohn-Beckers Werken. Ein faszinierender Blick auf den weiblichen Körper einst und heute.
22.06.2024, 05:00 Uhr
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Von Sebastian Loskant

"Malen ist wie Streicheln", so schön beschreibt Vivian Greven ihre künstlerische Arbeit. "Mit dem Pinsel streichele ich Sinnlichkeit in mein Erleben." 16 ihrer Gemälde treffen aktuell im Paula Modersohn-Becker-Museum auf die Werke der Hausherrin. Direktor Frank Schmidt und Kuratorin Henrike Hans setzen damit das 2016 eingeführte Konzept fort, die eigene Sammlung im Licht zeitgenössischer Positionen neu zu betrachten.

Parallelen fallen schnell ins Auge. Die 1985 geborene Düsseldorferin arbeitet wie Modersohn-Becker figurativ und flächig, wenn auch nicht so pastos. Sie rückt ihre weiblichen Figuren ähnlich dicht in Nahsicht an den Betrachter, und noch stärker als bei der gut hundert Jahre älteren Malerin ist nicht immer zu unterscheiden, wo die Umrisse einer Person enden und der Hintergrund beginnt. Allerdings sind Grevens monochrome Gestalten fragmentarischer – oft erkennt man nur Körperdetails – und nähern sich der Abstraktion an. Je höher man die Wendeltreppe steigt, desto spannender wird das.

Zum Einstieg: Zwei große Hochformate – titellos wie alle Bilder – stimmen unten in Raum eins auf Vivian Grevens Stil ein. Das eine zeigt zwei Lippenpaare, die sich sanft berühren, wie eine Mutter, die sich über ihr schlafendes Kind beugt. Aus weißlichem Grün entwickelt sich ein Rot hin zu den Lippen, das Bild erwärmt sich quasi zur Mitte hin. Auf dem anderen Bild erkennt man zwei angeschnittene Köpfe, blass wie antike Statuen, die sich einander zuneigen. Harte Schatten lassen die Körper kaum erahnen.

Der Dialog mit den Werken Paula Modersohn-Beckers wird indes nur indirekt geführt. Weder "Lee Hoetger vor Blumengrund" noch die "Armenhäuslerin" offenbaren unmittelbare Parallelen, Motivabgleiche finden eher im Kopf des Paula-Kenners statt.

Mutter und Kind: Das gilt auch im ersten Stockwerk, ein Querformat beherrscht Raum sechs. Man sieht die nackten Brüste einer Mutter und ihre Hände, in denen sie ihr Kind trägt. Durch das fahle Blaugrau und die Auflösung der Konturen zum linken Bildrand hin wirkt es wie ein Fotonegativ; nur die Finger hin zu den Kuppen glühen rot. Sie habe das Bild 2022 für eine Ausstellung in Nürnberg fertiggemalt, als sie bereits mit ihrem Sohn in den ersten Wehen lag, erzählt Vivian Greven. "Die Geburt war für mich eine erhebende Erfahrung. Ich wollte die Verschmelzung der Körper, die Präsentation neuen Lebens und dessen Schutz abstrahieren und in ein Sinnbild übertragen."

Flankiert wird die Darstellung durch zwei Kleinformate: Dass auf ihnen ein Baby gestillt wird, ist durch die Ausschnitthaftigkeit der Darstellung erst auf den zweiten Blick zu erkennen. Auch drei Mutter-Kind-Studien Modersohn-Beckers verharren in der Andeutung.

Ganz intim: Raum sieben, das Kabinett dahinter, gehört ganz drei Hochformaten, die den mehr oder weniger bekleideten weiblichen Schoß zeigen. Mal enthüllt eine sehr enge Hose mehr als sie verdeckt, mal schirmt eine Hand den Schambereich ab wie bei einer antiken Venus-Statue. Es gehe ihr um die liebevolle Hinwendung zu sich selbst, so Vivian Greven. Sie verweist darauf, dass man von Mutter Erde spricht: "Eine Welt, in der das Weibliche nicht geachtet wird, geht es auch dem Mann schlecht."

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Selbstberührung: Diese Intimität setzt sich auf acht Bildern im zweiten Obergeschoss, Raum acht, fort: Eine Hand berührt das eigene Gesicht oder die weibliche Brust, oft in kühlen Blau- und Grüntönen. In der Zärtlichkeit liegt auch Verletzlichkeit, das macht an einer Stelle ein roter Streifen auf dem Busen klar. Dazu fallen dem Betrachter Paula Modersohn-Beckers Selbstbildnisse mit der Hand an Kinn oder Brust ein, hier flankieren mehrere ihrer Mädchenakte Grevens Bilder. Gerade in der innigen (Selbst-)Erforschung des weiblichen Körpers sind sich beide Künstlerinnen sehr nahe.

"Jede Vorstellung, die wir uns von einem Menschen machen, kann sich durch Berührung auflösen", bemerkt Greven und verweist in einem Bild auf den antiken Mythos von der schönen Psyche, die ihren nächtlichen Liebhaber, den Liebesgott Amor, unbedingt bei Tageslicht betrachten wollte. Wie schwer es ist, andere und sich selbst zu begreifen, deutet die Malerin auch dadurch an, dass sie die Darstellungen hier in (zum Teil leicht versetzte) geometrische Formen auflöst, was an Oskar Schlemmer oder Giorgio de Chirico erinnert.

"Bei intimster Beobachtung die größte Einfachheit anstreben – das gibt Größe": Diese Forderung Paula Modersohn-Beckers löst Vivian Greven unbedingt ein.

Info

Die Ausstellung wird am 22. Juni um 15 Uhr eröffnet und läuft bis 15. September. Der Katalog kostet 22 Euro.
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