Wäre nicht vermeldet worden, dass Dirigent Massimiliano Matesic kurzfristig für den erkrankten Peter Ruzicka eingesprungen war, keinem wäre es aufgefallen. Hut ab! Der 53-jährige Florentiner mit Wohnsitz in der Schweiz führte die Deutsche Kammerphilharmonie so konzentriert und zuletzt entfesselt durch ihr Konzert in der Bremer Glocke, als habe er das Programm bestellt.
Ein Programm, in dem sich drei Tonsetzer im Zustand der Unsicherheit der Werte der Kultur vergewissern. Es war der Jahrestag des russischen Überfalls auf die Ukraine, und Matesic wies darauf hin, dass Richard Strauss seine "Metamorphosen" für 23 Streicher 1945 am Ende des Zweiten Weltkriegs als "Mahnmal für das Leid" komponiert hat. Strauss suchte Rückhalt bei Beethoven, zitiert anfangs den Trauermarsch der "Eroica". Wie die Einzelstimmen, umrahmt vom Trauerrand der tiefen Streicher, zusammenwuchsen und den Frieden beschworen – das hatte Symbolkraft. Strauss trauerte um die zerstörten Opernhäuser in Dresden, Wien und München. An diesem Abend mochte man an das Theater in Mariupol denken und alle, die darin umkamen.
Posaunenengel mit langem Atem
Peter Ruzicka, langjähriger Hamburger Opernintendant, dockte bei Wolfgang Rihm an. Zu dessen 60. Geburtstag schrieb er 2011 ein Stück über Gustave Flauberts Satz "Je weiter ich komme, um so mehr finde ich mich unfähig, die Idee wiederzugeben", der den künstlerischen Selbstzweifel formuliert. Mit den Stücken "Jagd" (2017) und "Still" (2021) erweiterte es Ruzicka zur dreiteiligen Kammersinfonie. Der erste Satz, von Klavier und Klarinette geprägt, wurde von Momenten fahrigen Aufschreckens beherrscht, der zweite, in dem kleine Trommel und Vibraphon den Ton angaben, endete ebenfalls mit einem Fragezeichen. Erst in "Still" sorgte die Soloposaune mit weiten Bögen für Ruhe und dämpfte die Hektik der Holzbläser. Kris Garfitt, mit wohldosiertem Vibrato und langem Atem, stand wie ein Posaunenengel über dem Orchester.
Endgültig ins Zuversichtliche wandte sich der Abend mit Robert Schumanns 2. Sinfonie C-Dur op. 61. In einer Zeit der Depression suchte der Komponist Beistand bei Bach und Beethoven. Indem Matesic alle vier Sätze wie vorgeschrieben aus demselben Grundtempo entwickelte, formte er nicht nur eine imponierende Einheit, sondern motivierte die Kammerphilharmoniker auch zu solchem Feuer, dass das Publikum am Ende wie befreit losjubelte. Wo die Flamme der Kultur lodert, gibt es auch in schweren Zeiten noch Hoffnung.