Bremen Stadtteile Osterholz Verden Diepholz Delmenhorst Wesermarsch Oldenburg Rotenburg Cuxhaven Bremerhaven Niedersachsen

Frauen in der Kunst "Wir kennen nur die Spitze des Eisbergs"

Katja Pourshirazi, die Leiterin des Overbeck-Museums forscht zu Frauen in der Kunst. Sie erklärt, wieso Werke von Malerinnen oft im Müll landeten und wie ihr ein emanzipatorischer Trick die Arbeit schwer macht.
07.03.2022, 17:02 Uhr
Jetzt kommentieren!
Zur Merkliste
Von Simon Wilke

Frau Pourshirazi, die meisten Menschen könnten wohl aus dem Stegreif diverse berühmte männliche Maler nennen. Sie forschen im Overbeck-Museum aber explizit auch zur Situation von Frauen in der Kunst – und da würde es wohl schon schwieriger bei der Auswahl. Kennen wir überhaupt alle Künstlerinnen, deren Werke es wert wären, gekannt zu werden?

Katja Pourshirazi: Ganz sicher nicht, und das werden wir auch nie. Wir kennen nur die Besten, die Spitze des Eisbergs. Das müssen Sie sich so vorstellen, als würde man bei den Männern außer Dürer oder Picasso kaum jemanden kennen.

Vielleicht erklären Sie erst einmal kurz, was es überhaupt braucht, um sich Künstlerin nennen zu dürfen.

Das ist schwierig. Die Berufsbezeichnung setzt eigentlich voraus, dass man Bilder verkauft, um damit den eigenen Lebensunterhalt zu bestreiten. Genau das wurde Frauen aber lange Zeit vorenthalten. Es gab zwar im 16. und 17. Jahrhundert berufstätige, gut verdienende Malerinnen, aber das sind Ausnahmen. Sie waren oft Töchter von Malern, die von ihrem Vater ausgebildet wurden. 

Lesen Sie auch

Wann änderte sich das?

Das war ein Prozess. Ende des 19. Jahrhunderts begannen Frauen, in künstlerische Berufe zu drängen, allerdings über private, also kostenpflichtige Ausbildungen in sogenannten Damenakademien. Erst ab 1918 war das Studium für Frauen generell erlaubt. Aber wir können natürlich darüber streiten, ob dieser Prozess überhaupt schon abgeschlossen ist.

Gerne. Das Statistische Bundesamt teilte vergangenes Jahr mit, dass 2019 im Bereich der Bildenden Kunst 53 Prozent der Erwerbstätigen weiblich waren.

Wir sind in der Kunst dort, wo wir in vielen anderen Bereichen auch sind: Die Ausbildungssituation ist mittlerweile gleichberechtigt, die Mehrheit der Studierenden sind sogar Frauen, aber wenn es darum geht, mit dem Beruf womöglich viel Geld zu verdienen, dreht sich das Verhältnis um.

Tatsächlich heißt es im selben Bericht auch, dass Frauen überproportional häufig sehr wenig Geld mit ihrer Kunst verdienten, nämlich weniger als 1.100 Euro netto im Monat.

Wenn sie schauen, welche der 20 teuersten Kunstwerke von Frauen sind, werden sie keines finden. Diese Kunstwerke sind nach wie vor von Männern, die Museen sind immer noch überwiegend mit männlichen Kunstwerken bestückt. Das hat auch historische Gründe, weil es eben lange fast ausschließlich männliche Künstler gab, ist aber ein Trend, der sich auch in der zeitgenössischen Kunst fortsetzt.

Das bringt uns zurück zur Ausgangsfrage: Wo sind all die inoffiziellen Künstlerinnen, die es doch sicher auch gegeben hat?

Es gab sie, aber ein Faktor für diese Unsichtbarkeit ist: Ihre Arbeiten wurden schlicht kaum dokumentiert. Frauen galten meist als Dilettantinnen oder Malweiber, auch wenn sich das von der Qualität eigentlich nicht ableiten ließ. Ihre Kunst landete auch daher vielfach auf Dachböden, vermoderte irgendwann und wurde weggeschmissen. Sie kam nicht in Museen, wo sie gut verwahrt war und restauriert wurde.

Und die anderen Faktoren?

Es gab damals den Versuch eines emanzipatorischen Schrittes, der ebenfalls dazu beigetragen hat, dass Künstlerinnen in Vergessenheit geraten sind: Frauen habe lange Zeit ihre Bilder nur mit Initialen signiert oder wenigstens den Vornamen abgekürzt, damit das Bild nicht als das einer Frau erkennbar war. So wurde aus Hermine Overbeck-Rothe oft H. Overbeck-Rothe, sodass Betrachter vielleicht denken, das hat ein Heinrich oder ein Hermann gemalt. Das führt aber dazu, dass wir die Werke heute ganz schwer sicher einer Künstlerin zuordnen können. Dazu gab es im ausgehenden 19. Jahrhundert die Parole: Wer Malerin werden will, entscheidet sich für ein freiwilliges Zölibat. In der Regel bedeutete eine Eheschließung das Ende der beruflichen Laufbahn. Es brauchte schon einen sehr liberalen Ehemann, wenn eine Frau in der Ehe noch weiterarbeiten durfte.

Wir haben in Bremen und umzu ja mehrere Künstler-Ehepaare. Da scheint es also funktioniert zu haben.

Hermine Overbeck-Rothe hatte Glück, dass es relativ gleichberechtigt war. Aber das leuchtende Beispiel Paula Modersohn-Becker ist ambivalent. Einerseits war sie früh die Bessere und heute die Erfolgreichere, aber zu Lebzeiten hat ihr Mann Otto ausgestellt, nicht sie. Sie wollte sich von ihm trennen, auch weil sie das Gefühl hatte: Kunst und Ehe geht nicht, und wenn ich wählen muss, wähle ich die Kunst.

Welche Künstlerinnen haben denn noch nicht die Aufmerksamkeit bekommen, die sie verdient hätten?

Aktuell liegt der Fokus meist auf den Ausnahmeerscheinungen. Ich glaube, dass es sich lohnt, auch diejenigen zu entdecken, die nicht Frida Kahlo oder Paula Modersohn-Becker heißen, weil uns das ein realistischeres Bild davon gibt, was weibliche Kunstgeschichte bedeutet. Mir fehlt der Blick auf diejenigen, die versucht haben, sich im Rahmen ihrer damaligen Möglichkeiten eine Karriere aufzubauen. Tolle Malerinnen, die zugleich Ehefrauen und Mütter waren. Dazu gehören Hermine Overbeck-Rothe, aber auch viele andere, von denen wir längst nicht genug wissen.

Werden wir all diese Frauen irgendwann gleichberechtigt neben Männern in Museen und Auktionen sehen?

Vor 200 Jahren waren Frauen nur als Motiv im Museum zu sehen, die nackte Venus und dergleichen. Das ist heute anders. Ich glaube also, dass es sich dahin entwickeln wird, aber das setzt voraus, dass die Frage von Kindern und Familie eine gleichberechtigte wird. Wenn alle so leben würden, wie Männer bislang, würde die Gesellschaft nicht funktionieren.

Die Fragen stellte Simon Wilke.

Zur Person

Katja Pourshirazi ist Leiterin des Overbeck-Museums in Bremen-Vegesack und forscht zur Situation von Frauen in der Kunst um 1900.

Zur Startseite
Mehr zum Thema

Das könnte Sie auch interessieren

Rätsel

Jetzt kostenlos spielen!
Lesermeinungen (bitte beachten Sie unsere Community-Regeln)