Herr Schmidt, Herr Hartog, mit der Ausstellung „Bildhauerinnen“ präsentieren die Museen Böttcherstraße und das Gerhard-Marcks-Haus erstmals eine gemeinsame Ausstellung in beiden Häusern. Wie kam es dazu?
Arie Hartog: Es gibt eine Arbeitsgemeinschaft von Bildhauermuseen in Deutschland. Wir treffen uns einmal im Jahr und reden über spezifische Probleme, aber auch über Ausstellungsprojekte und wilde Ideen. Bei einem dieser Gespräche kamen wir auf das Thema Bildhauerinnen. Mit dem Gerhard-Marcks-Haus haben wir ein Bildhauermuseum, das Museum Heilbronn, das ja auch an dem Projekt beteiligt ist, hat ein starkes Interesse an Künstlerinnen nach 1945. Ich habe bereits 1989 damit angefangen, eine Datenbank über in Deutschland aktive Bildhauer aufzubauen – für meine eigene Forschung. Darauf stehen die Namen von mehr als 400 Bildhauerinnen, was auch mich sehr überrascht hat, denn es sind nur wenige Namen, die immer wieder auftauchen.
Frank Schmidt: Für unser Haus ist der Anknüpfungspunkt natürlich das Thema Künstlerinnen. Mit Clara Rilke-Westhoff haben wir eine Bildhauerin dabei, die enge Verbindungen zu Paula Modersohn-Becker hat. Auch Bernhard Hoetger hatte einige Schülerinnen, von denen eine in der Ausstellung vertreten ist. Vier Jahre wurde in Bremen und Heilbronn an der Schau gearbeitet, von der ersten Idee bis jetzt. In Heilbronn sind alle 100 Arbeiten unter einem Dach zu sehen. In Bremen wird das Konvolut nun auf unsere beiden Museen verteilt.
Wie haben Sie die Werke unter sich aufgeteilt?
Schmidt: Nach Themen und Motiven. Das sind zum Beispiel die Themen Porträt oder Religion im Gerhard-Marcks-Haus, bei uns werden Tierplastiken zu sehen sein – die bei Bildhauerinnen ein spezielles Nischenthema darstellen – oder das Thema Bewegung. So kann es auch sein, das die eine oder andere Künstlerin sowohl im Gerhard-Marcks-Haus als auch in der Böttcherstraße zu sehen sein wird.
Warum haben so viele frühe Bildhauerinnen nie wirklich auf dem Kunstmarkt Fuß gefasst?
Hartog: Anfang des 19. Jahrhunderts wird Bildhauerei Frauen einfach nicht zugetraut. Aber man findet eine Generation, die es trotzdem macht, sich durchsetzt und Aufmerksamkeit generiert. Es gibt im Laufe des 19. und 20. Jahrhundert eine gesellschaftliche Emanzipation der Frau, und die findet man auch bei den Bildhauerinnen. Im Gegensatz zu Frankreich oder Belgien wurden in Deutschland Werke von Frauen aber kaum in den Museen gesammelt. Gerade bei den Künstlerinnen, die zwischen 1870 und 1890 geboren sind, finden sich kaum Ankäufe. Das hat sehr stark damit zu tun, wie männlich dominierte Gremien aufgebaut waren und Netzwerke funktionierten.
Schmidt: Hinzu kommt die Ausbildungsproblematik. Frauen wurden erst ab 1919/1920 in Akademien in Deutschland zugelassen. Gerade für Bildhauer ist es natürlich auch wichtig, Aktstudien zu betreiben, und in Deutschland durften das Frauen nicht. Das war unzüchtig. In Frankreich war das möglich, darum sind einige Künstlerinnen wie Käthe Kollwitz oder Clara Rilke-Westhoff nach Paris gegangen und haben so bestehende Startschwierigkeiten umgangen. Liest man Kritiken über Ausstellungen in Deutschland der damaligen Zeit, in denen Künstlerinnen vertreten waren, kommt für mich immer das Erstaunen deutlich heraus: ‚Die sind ja tatsächlich gut‘.
Wie haben es einige Bildhauerinnen trotz diverser Hürden geschafft, sich durchzusetzen?
Hartog: Die Emanzipationsgeschichte der Bildhauerinnen hat ein paar Schübe. Der erste Schub ereignet sich um 1900, als eine ganze Reihe von Frauen sagt: Wir können das, und wir beweisen euch das. Während der Weimarer Republik wurde gesetzlich festgelegt, dass Männer und Frauen gleichberechtigt sind, wodurch natürlich auch mehr stattfand. Künstlerinnen wie Renée Sintenis ist es gelungen, einen direkten Anschluss in einem sehr modernen Netzwerk zu finden und als Frau in diesem Netzwerk eine prominente Rolle zu spielen. Außerdem, und das spielt dann bei Westhoff eine Rolle, gibt es eine Sonderkategorie, und das sind Porträts. Die ersten Werke, die von Bildhauerinnen in Sammlungen aufgenommen wurden, sind Porträts. Denn da ging es oft nicht um die Künstlerin, sondern darum, dass berühmte Männer dargestellt wurden.
Die Ausstellung „Bildhauerinnen“ beschränkt sich auf rund 150 Jahre Bildhauerei. Hätte man nicht noch weiter gehen können?
Hartog: Am Anfang der Ausstellung stehen Werke aus den 40er-Jahren des 19. Jahrhunderts. Am Ende steht Isa Genzken, geboren 1948, als die Künstlerin, die den großen Durchbruch in die internationale Kunstwelt geschafft hat. Wir wollen, dass man sich die Künstlerinnen aus der Zeit davor ansieht und sich fragt, warum sie nie wahrgenommen wurden. Das ist der Bogen. Es ist eine Emanzipationsgeschichte, die man relativ kohärent erzählen kann. Mit dem, was danach kam, könnten wir theoretisch alle Museen in Bremen belegen, so viel gibt es da.
100 Werke von 50 Künstlerinnen werden gezeigt. Wie schwierig war es, die teils noch nie ausgestellten Arbeiten zusammen zu kriegen?
Schmidt: Es war eine große Bereitschaft da, uns die Werke, die vorhanden sind, zur Verfügung zu stellen – sowohl bei den Museen als auch bei den Nachlässen und Privatsammlungen. Schwieriger war es, sich erst einmal einen Überblick zu verschaffen, was wir überhaupt bekommen könnten: Viele Werke sind gar nicht mehr existent, weil sie eben nicht gesammelt wurden. Auch der Erhaltungszustand war ein Kriterium. Einige Sachen sind in keinem guten Zustand gewesen – auch ein Zeichen fehlender Wertschätzung. Insgesamt war das Vorbereiten der Ausstellung eine ziemliche Recherchearbeit. Doch ich glaube, die 100 Werke, die wir nun zeigen, bieten einen guten Überblick.
Thema weiblicher Blick: Haben Frauen eine andere Formsprache als ihre männlichen Kollegen?
Hartog: In manchen Fällen ja. Es gibt aber bestimmte Themen, die sind sehr stark konventionsbezogen. Das Porträt zum Beispiel. Da würde ich nicht sagen, dass sich Unterschiede klar zeigen. Bei Aktdarstellungen ist das schon anders. Ein gutes Beispiel ist das 1912 entstandene Werk „Sitzende Frau“ von Hanna Koschinsky. Es zeigt eine sehr schwere Figur, die schon einen besonderen Impakt dadurch bekommt, dass sie von einer Frau geschaffen wurde. Es geht vor allem um eine Betonung der Architektur der Figur. Alle leicht erotisch anmutenden, fleischlichen Elemente, die man bei einer ganzen Reihe zeitgenössischer Künstler damals gefunden hat, sind weg. Das ist sehr interessant. Stellt man sich die Frage nach Unterschieden in der Formsprache, während man durch eine Ausstellung geht, beeinflusst das auch die Wahrnehmung.
Im Katalog, der bereits vor der Ausstellung erschienen ist, heißt es ja auch, Sie erhoffen sich von der Präsentation, dass Sie „grundsätzliche Fragen der Rezeption und Bewertung von Kunst berührt“. Ein ambitioniertes Ziel.
Hartog: Nein. Genau das ist die Aufgabe von Museen.
Schmidt: Ich glaube, wir als Museen sind uns alle bewusst, dass es bestimmte Strukturen und Prinzipien gibt, die dazu führen, dass Künstler erworben und ausgestellt werden oder eben nicht. Das trifft auch auf Künstlerinnen zu. Der Katalog macht viele dieser Strukturen sichtbar und zeigt auch, wie Künstlerinnen darauf reagiert und Nischen gefunden haben, um trotz aller Hindernisse Erfolg zu haben.
Der Katalog ist mehr als ein reiner Ausstellungskatalog. Warum ist das Schriftstück so umfangreich geworden?
Hartog: Wir haben uns von Anfang an gesagt, dass wir das Thema Bildhauerinnen mit einer gewissen Tiefe bearbeiten wollen. Ansonsten wäre es eine Ausstellung geworden, in der wir die fünf Frauen zeigen, die alle kennen. Gerade das wollten wir nicht. Darum sollte der Katalog auch einen gewissen Handbuchcharakter haben. Oftmals werden Bildhauerinnen nur biografisch behandelt, ihr besonderes Schicksal vorgestellt. Wir weisen darauf hin, wie wichtig es aber ist, sich auch die großen strukturellen, kunsthistorischen Zusammenhänge anzugucken.
Schmidt: Wenn man mit so etwas beginnt, merkt man schnell, wie wenig Literatur es zu einigen Künstlerinnen gibt. Unsere Hoffnung ist, dass der Katalog auch an Universitäten dazu anregt, dass sich mehr Studierende in ihren Abschlussarbeiten mit dem Thema beschäftigen. Es wird auch ein Rahmenprogramm zur Ausstellung geben, unter anderem eine Podiumsdiskussion, auf der eine jüngere Künstlerin aus ihrer Perspektive erzählt, was sich denn wirklich geändert hat. Haben heute wirklich alle die gleichen Möglichkeiten? Oder gibt es immer noch Unterschiede? Auch das sind interessante Fragen, die es zu besprechen gilt.
Das Gespräch führte Alexandra Knief.
Arie Hartog ist seit 2009 Direktor des Gerhard-Marcks-Haus. Hartog ist bundesweit anerkannter Kurator, Spezialist für figürliche Bildhauerei und publizierte unter anderem über Kunst im 20. und 21. Jahrhundert.
Frank Schmidt ist seit drei Jahren Direktor der Museen Böttcherstraße, zuvor war der Kunsthistoriker fünf Jahre lang wissenschaftlicher Direktor der Kunsthalle Emden.
Weitere Informationen
Die Ausstellung „Bildhauerinnen“ wird vom 5. Mai bis zum 11. August 2019 im Gerhard-Marcks-Haus sowie in den Museen Böttcherstraße zu sehen sein.