Herr Dittrich, Sie gelten als Meister der Improvisation. Wie gut funktioniert bei Ihnen das Improvisieren als Dittsche allein auf der Bühne?
Olli Dittrich: Grundsätzlich funktioniert die Umsetzung eines Gedankens, der im Augenblick auf der Bühne entsteht, auch da. Wo es Platz gibt, das Überraschungsmoment sich anbietet und das Publikum mitgeht, kann es bei mir auch schon mal etwas ausufern. Das überlasse ich grundsätzlich der Situation und einem inspirierten Moment, lege es aber nicht drauf an. Gangart und Herangehensweise sind schon ein bisschen anders, wenn ich allein vor dem Publikum stehe. In dem 30-minütigen Kammerspiel im TV-Imbiss habe ich ja einen Counterpart – der im Übrigen von nichts weiß. In der TV-Sendung bin ich der einzige, der Themenblöcke vorbereitet, weil die an Tages- oder Wochenaktualität anknüpfen.
Und wie läuft es dann ab?
Eine Basis der Improvisation ist, zunächst einmal aufeinander zu hören und aus dem, was im Augenblick entsteht, etwas zu machen. Den Ball entgegenzunehmen und wieder ins Feld zurückzuspielen. Das ist vielfach begleitet von Momenten, mit denen ich nicht im entferntesten gerechnet habe. Ich benötige immer meine Themen als Basis. Aber ich muss in jeder Sekunde bereit sein, den Weg zu verlassen. Da gibt es kein Halteseil.
Dittsche hat ja als Hörspielfigur begonnen. Auf welche Weise haben Sie ihn entwickelt?
Dittsche gibt es seit Ende der 1980er-Jahre als Figur. In der Zeit habe ich zuhause mit einem Kassettenrekorder eigene Songs aufgenommen und angefangen, mit Stimmen zu experimentieren. Diese kurzen Takes habe ich auf meinem Anrufbeantworter platziert mit wöchentlich wechselndem Programm. Mit der Zeit erfreute sich das riesiger Beliebtheit, und irgendwann entstand dieser Hamburger Charakter. Und so ging das los mit Dittsche als Hörspiel. 1991 war Dittsche, wie wir ihn heute kennen, zum ersten Mal sichtbar. Auch schon mit der Jogginghose und dem Bademantel, der bis heute derselbe ist. Schon damals hatten meine Geschichten Impro-Anteile.
Aus diesen kleinen improvisierten Schnippseln ist mit der Zeit ein eigenständiges innovatives Format geworden. Worauf kommt es an, wenn Sie solo auf der Bühne stehen?
Wenn ich über zwei Stunden auf der Bühne stehe, mäandert das von A nach B nach C, aber ich muss das Spiel ganz anders machen als im Imbiss. Nicht nur, weil das Programm viel länger ist, sondern, weil es auch in den Kapiteln eine Dramaturgie und einen Verlauf haben muss. Da kann man nicht einfach ins Schwadronieren geraten und mal schauen, wohin es führt - was im Übrigen auch nicht den klassischen Impro-Grundregeln entspricht. Aber sobald die Leute sich muggelich fühlen und freudig seinen teilweise absurden Stories folgen, kann Dittsche auch schon mal ein bisschen weiter nach rechts und links abschweifen. Es muss halt aus dem Moment heraus stimmig sein und insgesamt eine absolute Präsenz behalten, bis zum Schluss. Dittsche erzählt ja keine Gags im eigentlichen Sinne, er erzählt Geschichten mit einer klaren Struktur, die nicht verwässert werden dürfen.
Dittsche ist Deutschlands bekanntester Arbeitsloser. Sind Sie auf diese Figur gekommen, als Sie selbst ohne Arbeit waren?
Die Idee zu der Figur ist Ende der 1980er-Jahre als eine Art heiterer Beschäftigungstherapie entstanden, weil es bei mir mit der Musik nicht weiterging. Vor Augen hatte ich Dittsche bereits viele Jahre vorher, als ich tatsächlich mal jemanden im Bademantel auf der Straße gesehen hatte und nie geahnt hätte, so etwas wie heute mal zu machen. Es war im Sommer, als ich in der Halbzeitpause eines Länderspiels für meinen WG-Kumpel Atze und mich draußen Eis holte. Vor mir in der Schlange stand ein Mann im Bademantel. Als der dran war, sagte er zu dem Verkäufer: „Einmal Straziella bidde!“ Mich haben schon als Kind die besonders skurrilen Figuren interessiert, Leute, die Dialekt sprachen, ihre Jacke falsch zugeknöpft hatten oder ihr Fahrrad irgendwie komisch schoben.
Gibt es überall komische Situationen?
Die größte Komik liegt doch in dem, was wir alle alltäglich erleben, finde ich. Viele, die nach außen den ganz großen Hecht geben, sind in Wahrheit kleine arme Würste, erst recht, wenn sie mit sich alleine sind. Loriot hat mal gesagt, besonders lustig wird es immer dann, wenn etwas Ernstes schief geht. In meiner Lehrzeit als Kunsthandwerker hatte ich immer mit Leuten zu tun, die körperlich schuften. Die waren mir immer nahe, besonders was ihren Schnack angeht. Ich habe im Hamburger Jenischpark auch mal ein paar Wochen den Gärtnern geholfen. Beete umgraben, Sträucher beschneiden. Acht Stunden draußen. Mit Gummistiefeln, Schaufel und Schubkarre. Was diese Typen da so vom Stapel gelassen haben – unglaublich.
Schreiben Sie direkt auf, was Sie da so zu hören bekommen?
Nee, nicht so direkt. Aber es gibt natürlich meine Ideenbücher, das ist ein Stapel von hier bis unter die Decke. Da notiere ich seit den frühen 80ern alles, was mir so einfällt. Gedichte, Szenen, Songs, Liedtexte, auch viele Zeichnungen. Aber eine tatsächliche Beobachtung sofort mitzuschreiben, das hat es bei mir eigentlich nie gegeben. Die für mich beste und stimmigste Methode, in einen Charakter spielerisch einzusteigen, ist, aus einem Gefühl heraus zu agieren. Dittsche ist beispielsweise sofort da, er ist wie ein zweiter Anzug. Im Dittsche-Modus sehe ich alles genauso wie er. Er spricht zum Beispiel mit dem Publikum darüber, dass beim Tragen von FFP2-Masken die Brillen beschlagen. Ich weiß jetzt schon, dass das ein Thema im Programm sein wird, weil ich selbst dieses Problem dauernd habe. Und im Publikum garantiert eine Menge Leute sitzen, die sich freuen, dass mal einer mit ihnen drüber redet.
Gerade in schlechten Zeiten sehnen sich die Menschen nach Schönheit und ziehen sich modisch an. Auch Dittsche?
Dittsche hat vielleicht zwei, drei Hemden und ein paar Pullover im Kleiderschrank. Vielleicht noch einen älteren Wintermantel, wenn es mal ganz kalt wird. Aber er geht im Winter eigentlich auch immer im Bademantel raus. Den verehrt er, er gibt ihm Schutz und Identität. Das Original stammt übrigens vom Vater meines damaligen WG-Kumpels Karsten Peters, hing aber bei ihm im Schrank. Der Bademantel war bis heute bei allen Dittsche-Sendungen, zahlreichen Bühnenauftritten und Tourneen mit dabei. Hinten ist der Mantel am Kragen schon ganz morsch und wurde schon zigfach vorsichtig geflickt. Wenn die Figur Dittsche tatsächlich eines Tages abgelegt sein sollte, wird mein erster Weg ins Filmmuseum in Berlin führen - mit dem Wunsch an die dortige Leitung, für die Figur inklusive Original-Kostüm ein Eckchen zu finden. Ich war mal dort, zur Eröffnung der ersten großen Loriot-Ausstellung.
Haben Sie mit Loriot über die Figur Dittsche gesprochen?
Ja klar, aber auch über viele andere Arbeiten. Loriot hat nicht mit Kritik gespart. Aber immer positiv, motivierend, nie besserwisserisch. Wir haben uns gelegentlich ausgetauscht, eine wirklich große Ehre und Freude, ihn gekannt zu haben. Er hat das Vorwort für meine Autobiografie „Das wirklich wahre Leben“ geschrieben. Die Worte, die er da gefunden hat, bedeuten mir mehr als alle meine Preise und Auszeichnungen.
Was kann man von Loriot lernen?
Genauigkeit. Hingabe. Fleiß. Disziplin. Sich seines eigenen Stils bewusst zu werden und letztendlich alles dafür zu tun, seine Kunst zu schützen. Und dass man einen Plan haben muss mit dem, was man tut.
Das Gespräch führte Olaf Neumann.