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Konzertbranche Halbvoll ist das neue Voll

Die Corona-Hilfen für die Kultur laufen zum Jahresende aus. Kleine und mittlere Konzertveranstalter von Pop bis Klassik verzeichnen aber weitere niedrige Besucherzahlen und fordern Hilfe von der Politik.
28.12.2022, 00:00 Uhr
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Von Sebastian Loskant

Alles wieder wie früher im Konzertleben? Noch lange nicht. Während Stars wie Ed Sheeran, Patti Smith oder Lang Lang in ausverkauften Hallen auftreten, sagen nationale Bands wie Tocotronic ihre Tourneen wegen mieser Kartenverkäufe ab, treten Philharmonische Orchester landauf, landab vor stark gelichteten Sälen auf. "Halbvoll ist das neue Voll", bemerkt etwa Carsten Preisler, Pressesprecher der Glocke.

Der Musikbetrieb hat sich von den anderthalb Jahren Corona-Zwangspause keineswegs erholt. Die Branche rechnet damit, dass sich die Situation im neuen Jahr eher noch verschlechtert, und erwartet frühestens Ende 2023 eine gewisse Stabilisierung. Deshalb scheint es voreilig und unverständlich, wenn der Staat alle Corona-Hilfen zum Jahresende auslaufen lässt. Dass einige große Namen für ausverkaufte Hallen sorgen, führt offenbar zu einer verzerrten Wahrnehmung. "Alles unterhalb des Hochglanzsegments, der gesamte Mittelbau, ist wirtschaftlich gefährdet", warnt Oliver Mücke vom Bremer Veranstalter Koopmann Concerts.

Das Land Bremen, da sind sich alle einig, hat vielen Institutionen und Kreativen in der Zeit des pandemiebedingten Betätigungsverbots mit vorbildlichen Unterstützungsangeboten das Überleben gesichert. Auch das Bundesprogramm „Neustart Corona“ half vielen Akteuren auf die Beine. Doch anders als mancher Politiker nun wohl glaubt, wirkt die Corona-Krise nach. Man ist zwar irgendwie genesen, kann aber noch nicht wie früher den Marathon laufen.

Mehrere Probleme treffen aufeinander. Zum einen das veränderte Publikumsverhalten. Die 30- bis 60-Jährigen sind passiver geworden, gehen seltener aus. Und mindestens ein Viertel der Musikfreunde über 60 Jahren – das Stammpublikum klassischer Konzerte – traut sich aus Angst vor Ansteckung nicht zurück. Viele Hörer haben ihre Musikanlagen in der Pandemie hochgerüstet und sich auf dem Sofa behaglich eingerichtet. Hinzu kommt, dass das Geld für Konzertkarten in Zeiten der Teuerung nicht so locker sitzt.

Zum Zweiten verzerren laut Veranstaltern die „Altlasten“ das Bild. Weil Konzerte aus drei Jahren nachgeholt werden und zugleich neue Angebote nachrücken, herrscht ein dramatisches Überangebot, sodass an manchem Tag mehr Shows stattfinden als sonst in einer Woche. Das führt auch dazu, dass der künstlerische Nachwuchs nicht zum Zuge kommt..

Die Personalknappheit ist ein weiteres Problem. Ob Bühnenbauer oder Ton- und Lichttechniker: In der Pandemie haben sich viele selbstständige wie angestellte Fachkräfte andere Jobs gesucht. Ganze Festivals werden absagt, weil es zum Beispiel an Sicherheitspersonal fehlt. Bewerbungen um Praktikums- und Ausbildungsplätze trudeln erst allmählich wieder ein.

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Nicht zuletzt schlagen die explodierenden Kosten ins Kontor. Sie stiegen in den vergangenen drei Jahren um bis zu 35 Prozent, mit Ausreißern nach oben. Das Risiko ist für die Veranstalter entsprechend immer schlechter kalkulierbar. Auch treibt mancher Star Aufwand und Gage zusätzlich hoch, wenn er weiß, dass die Veranstalter auf ihn angewiesen sind. Der kann die Mehrkosten nicht ohne Weiteres auf die Kartenpreise umschlagen. Denn würde etwa ein Ticket im Musikklub 40 Euro kosten, bliebe das jüngere, nicht so betuchte Publikum weg. 

Aus dieser Lage ergeben sich klare Forderungen. An die Politik, die sich nicht wegducken darf. Gezielte Hilfsmaßnahmen, die die kleinen und mittleren Veranstalter abfedern und den Nachwuchs unterstützen, sind nötig. Dazu gehört auch, denen den Konzertbesuch zu ermöglichen, die ihn sich aktuell nicht mehr leisten können. An die Künstler und ihre Teams: Für überzogene Forderungen ist es die falsche Zeit. Die im Lockdown beschworene Solidarität sollte keine Eintagsfliege bleiben. An Dramaturgen und Veranstalter: Originelle Programme und Konzepte tun not, die Lust auf den Konzertbesuch machen und zeigen, dass das Live-Erlebnis unersetzbar ist. Schließlich an die Zuhörer: Wir alle brauchen soziale Kontakte, müssen sie wieder üben und pflegen. Und das geht bei Livemusik am besten.

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