Als im Sommer 2017 in Oslo eine Ausstellung mit Werken des norwegischen Malers und Grafikers Edvard Munch (1863-1944) eröffnet wurde, suchten einige Museumsbesucher vergeblich nach den üblichen Verdächtigen wie „Abend auf der Karl Johans Gate“ (1892), „Der Tod des Marat“ (1907) und „Der Schrei“ (1910). Der Kurator, ein gewisser Karl Ove Knausgård, hatte diese und andere Meisterwerke absichtsvoll ausgespart. Seine erklärte Absicht war es, dem Publikum, weniger bekannte Seiten des Künstlers nahezubringen. Er sei, erläutert er in dem Kunstbetrachtungsband „So viel Sehnsucht auf so kleiner Fläche“, davon ausgegangen, dass der Munch-Kanon „ein Hindernis war, das alle Gedanken und Gefühle in eine bestimmte Form lenkte“.
Dabei kokettierte der Schriftsteller, der 2011 seinen spektakulären Romanzyklus „Mein Kampf“ abgeschlossen hatte, insofern mit seiner Expertise, als er behauptete, sich nur für die kuratorische und publizistische Aufgabe qualifiziert zu haben, weil er sich „gern Gemälde ansah und häufig in Kunstbildbänden blätterte“. Tatsächlich hatte der Erzähler, dessen Studienfächer Literatur und Kunstgeschichte waren, schon 2013 eine vielbeachtete Rede über Munch gehalten; den Anlass bildete damals der 150. Geburtstag des Malers.
In der ihm eigenen Ausführlichkeit und Reflexionsdichte räsoniert Knausgård über Munch, über dessen Epoche, Techniken und Dämonen. Der unkonventionelle Zugang lohnt unbedingt die Lektüre dieses Bandes.
Weitere Informationen
Karl Ove Knausgård: So viel Sehnsucht auf so kleiner Fläche. Edvard Munch und seine Bilder. A. d. Norweg. v. Paul Berf. Luchterhand, München. 285 Seiten, 24 €.