Deutschrocker Sebastian Madsen nimmt seine Musik sehr ernst, sich selbst aber nicht so wichtig. Sagt er jedenfalls. Im aktuellen Album „Kompass“ seiner Band Madsen besingt der 34-Jährige sein Unbehagen am allgemeinen Popstarwahn. Das Album wartet auf mit griffigen Songs zwischen Rock, Pop und Grunge. Immer wieder brüllt Sebastian Madsen seine aufgestaute Wut heraus. Olaf Neumann sprach mit dem Sänger und Gitarristen aus dem Wendland.
Herr Madsen, das aktuelle Madsen-Album beginnt mit einem Wutausbruch: „Sirenen“. Welches konkrete Ereignis hat diesen Song ausgelöst?
Sebastian Madsen: Nach sechs Alben sind mir die Themen langsam ausgegangen, weshalb ich anfing, in meiner Vergangenheit herumzugraben. Vor acht Jahren war ich mit unserem alten Keyboarder Folli in Dannenberg bei uns im Wendland, als der Castor verladen wurde. Es wurde langsam ungemütlich, da rollten Wasserwerfer und Hundertschaften von Polizisten an. Ich hatte ein bisschen Angst, denn ich war nie der Typ, der sich von Wasserwerfern wegspülen lässt. Wir gingen deshalb erst mal in ein Lokal, um etwas zu essen. Dort lief schöne Musik im Radio, Kerzen brannten und man hatte nicht das Gefühl, dass draußen etwas passiert. Das fand ich erschreckend. Es passieren viele unangenehme Dinge auf der Welt und es ist irre leicht, das auszublenden.
Haben Sie das Gefühl, dass jungen Menschen finanzielle Sicherheit wichtiger ist als gesellschaftliches Engagement?
Tja, ich hoffe, dass es nicht so ist, aber man hat hier und da schon den Eindruck. Ein großes Problem ist, dass viele junge Leute Popstars sind. Damit meine ich diesen Selfie-Wahn: Alle zehn Minuten schauen sie in ihre Telefone, um zu gucken, wie man bei anderen ankommt. Das lenkt von vielen Dingen ab und man verzettelt sich.
Wo ziehen Sie selbst die Grenze?
Ich bin Teil dieser Gesellschaft. Auch ich bin nicht befreit davon zu gucken, wie viele Follower andere Bands haben oder wie vielen Leuten unsere Bilder bei Instagram gefallen. Irgendwann ziehe ich aber die Bremse und mach das Ding aus, um an den See zu fahren. Man hat natürlich auch Angst, dass man Fans enttäuscht und Erwartungen nicht erfüllt. Ich glaube, dieses Soziale-Medien-Phänomen hat ganz viel mit Unsicherheit zu tun.
Bitten Sie bei Konzerten Ihr Publikum, die Handys auszuschalten?
Es hat sich in letzter Zeit ganz schön viel getan. Noch vor etwa sieben Jahren konnte man jeden Pups, den wir auf der Bühne rausgehauen haben, einen Tag später im Netz sehen. Heute halten nur noch wenige ihre Telefone hoch. Ich habe da sogar mal ein Stück drüber geschrieben: „Grausam und schön“. Das Lied ist eine Aufforderung, die Augen zu schließen und die Musik auf sich wirken zu lassen.
In „Ich trink nur eben aus“ nehmen Sie das Musikgeschäft aufs Korn. Was läuft da schief?
Wenn ich in meinem Freundeskreis so herum gucke, sehe ich viele Leute, die schon unglaubliche Dinge vorhatten: Filme drehen, neue musikalische Projekte, was weiß ich. Diesen Spruch „ich rauch nur eben auf“ oder „ich trink nur eben aus“ habe ich privat schon sehr oft gehört. Auch ich kann mich manchmal nicht ganz davon frei machen. Dieses Stück ist den ganzen Schnackern und Geschichtenerzählern gewidmet. Ich finde, es hat einen interessanten Blickwinkel. In der Pop-, Rock- und Punkmusik gibt es massenhaft Refrains, die genau das erzählen: Jetzt wird alles anders, ich starte in mein Leben! Ich fand es dagegen interessant, eine gewisse Ironie da mit reinzubringen.
Sie streben nicht unbedingt nach einem leichten Leben. Wonach streben Sie?
Ich will mit niemandem tauschen. Ich glaube, mein Leben wäre sonst ziemlich langweilig. Ich würde Gefahr laufen, mich abzuschotten, weil ich wahnsinnig gern alleine bin. Immer, wenn verrückte Sachen passieren, bin ich froh drüber.
Zum Beispiel?
Kürzlich sind wir beim Hurricane/Southside-Festival von heute auf morgen für den erkrankten Ben Howard eingesprungen. Innerhalb von 24 Stunden haben wir eine Crew zusammengetrommelt und sind da rüber gefahren. Eigentlich wollten wir einen Monat Pause machen und waren deshalb tiefenentspannt. Aber dann wurde es doch wieder spannend und wir bekamen so viele Eindrücke. Mein Beruf lebt von Kontrasten. Ich war in meinem Leben noch nie so aufgeregt wie an diesem Festivalwochenende. Das sind die besten Momente.
Müssen Sie oft gegen jede Vernunft handeln?
Absolut. Genau das war dafür ein Beispiel. Für diesen Festivalauftritt hatten wir nicht geprobt und waren eigentlich gar nicht so gut eingespielt. Wir bringen ja ein neues Album heraus und haben deshalb auch etwas zu verlieren. Würden wir einen großen Auftritt verkacken, kann sich das sehr schnell negativ auf alles auswirken. Mein Kopf hatte sofort gesagt: Das wird schwierig! Aber mein Bauch meinte: Fahr da hin, so eine Chance kriegt du nicht wieder!
In „Ich trink nur eben aus“ zitieren Sie Udo Lindenberg und Peter Maffay. Sind das die Helden Ihrer Jugend?
Bei Udo Lindenberg ist es einfach, zu sagen, er war ein Held meiner Jugend. Peter Maffay war es nicht unbedingt. Aber meine Eltern hatten auch Platten von ihm, die ich gerne gehört habe. Vielleicht hat er ja unbewusst einen Einfluss auf mich gehabt.
Hatten Sie eine behütete Kindheit im Wendland?
Ja, wir sind nach wie vor sehr familienbewusst. Wenn bei einem von uns Brüdern etwas nicht stimmt, können wir abends nicht einschlafen und müssen uns noch mal anrufen, um das zu klären. Deswegen funktioniert die Band auch. Brüder in der Band ist Segen und Fluch zugleich. Zum einen kennt man sich so gut, dass man manchmal gar nicht reden muss, ist aber an anderen Stellen sehr empfindlich, gerade weil man sich so gut kennt. Harmonie ist uns unheimlich wichtig.
Sie vertreten die Band nach außen. Heißt dass, dass Sie schon früh Verantwortung übernehmen müssten?
Wir alle vertreten die Band! Wenn ich allein rumlaufe, werde ich kaum erkannt. Auch weil ich ein ziemlich stiller, zurückhaltender Typ bin. Das kriegen die Leute nicht mit dem Typen auf der Bühne zusammen, der da rumspringt und rumbrüllt. Wenn wir aber gemeinsam unterwegs sind, werden wir sofort erkannt. Die Verantwortung haben wir aufgeteilt, es gibt auch Momente, da kann ich mich guten Gewissens zurückziehen, weil wir gemeinsam eine Haltung entwickelt haben.
Sehen Sie Madsen als politische Band?
Textlich in manchen Ausrutschern vielleicht. Privat auf jeden Fall. Ich will unterhalten und den Leuten ein gutes Gefühl geben. Dann machen sie auch keinen Scheiß und sind nicht aggressiv. Das hat vielleicht auch mit der Musik zu tun, mit der wir aufgewachsen sind: Nirvana, Refused, Deftones, auch die Beatles. Rebellische Musik, die unheimlich viel positive Energie frei setzt.