Frau Grigorian, eigentlich sind Sie Opernsängerin, aber in Bremen treten Sie mit einem Liederabend auf. Das bedeutet: Sie haben es geschafft.
Asmik Grigorian: Das kann ich nicht leugnen. Seit „Salome“ in Salzburg bin ich auf dem Höhepunkt dessen angelangt, was ich mir überhaupt vorstellen konnte. Ich kann mir aussuchen, was ich machen möchte. Das ist das größte Geschenk, das man einem Künstler machen kann. Allerdings bin ich ja auch immerhin schon 20 Jahre in Geschäft. Es hat gedauert.
Gibt es etwas, was Sie sich noch versagen müssen?
Vieles. Und das ist auch ganz richtig so. Als Sängerin ist man in der Situation, auf Angebote zu reagieren. Wenn ich also sage, ich kann tun, was ich möchte, so meine ich damit: die Angebote annehmen, die ich richtig finde. Das Wichtigste bleibt immer: Achtsamkeit. Sich nicht zu viel zumuten. Und der inneren Stimme folgen. Man wird nur so lange Erfolg haben, wie diese innere Stimme sich nicht täuscht.
Lieder von Tschaikowsky sind in West-Europa nicht sonderlich bekannt. In Ihrer Heimat Litauen schon?
Absolut. Ich kenne diese Lieder, seit ich auf dem Konservatorium war. Wir hatten sie ständig auf dem Notenständer, und irgendwann brauchten wir nicht einmal diese Noten mehr. Es sind großartige Werke, auch beim Lied war Tschaikowsky ein absolut erstrangiger Komponist. Dass man die Lieder im Westen nicht so kennt, ist eher von Vorteil. So kann ich noch etwas für sie tun.
Litauen stand lange Jahre unter russischer Vorherrschaft. Hat das den Beliebtheitsgrad Tschaikowskys nicht beeinträchtigt?
Eher nicht. Und ich selber war auch immer zu sehr Realistin. Ich bin irgendwie sogar patriotisch, aber nicht in Bezug auf mein eigenes Land. Wie auch anders? Ich reise ständig. Da werden die Bande nach Hause automatisch lockerer.
Im deutschen Lied muss man als Opernsängerin aufpassen, nicht zu viel Stimme zu geben. Bei Rachmaninow nicht?
Oh doch. Da gibt es überhaupt keinen Unterschied. Auch bei russischen Liedern muss man höllisch aufpassen. Bei Rachmaninow allerdings kann man schon ein bisschen mehr Stoff geben als bei Tschaikowski. Je moderner, desto mehr.
Rachmaninow, dessen 150. Geburtstag in diesem Jahr gefeiert wird, gilt als verspäteter Spätromantiker. Interessanterweise baute er sich in Hertenstein am Vierwaldstädter See ein Haus im Bauhaus-Stil. Ist er moderner, als man denkt?
Ich glaube nicht, dass das ein Widerspruch ist. Kürzlich bin ich sogar in dem Haus aufgetreten, und dachte mir, dass die Liebe zur Romantik – ganz so wie bei mir selbst – mit der Vorliebe für einfache Formen sehr gut vereinbar ist. Liebe ist auch eine einfache Angelegenheit. Wenn meine Tochter gut findet, was ich tue, finde ich das sehr romantisch. Und auch sehr einfach.
In Salzburg singen Sie in diesem Sommer "Lady Macbeth", in Wien folgt im Herbst "Turandot". Schwerere Sachen gibt es fast überhaupt nicht. Fürchten Sie sich vor nichts?
Schön wär’s. Ich habe immer riesige Ängste. Auch Lampenfieber. Fürchterlich! Von den Ängsten in unserem Beruf darf man sich aber nicht verrückt machen lassen. Man darf nicht glauben, sie irgendwie hinter sich lassen zu können. Meine beiden Eltern waren Sänger, also habe ich all das, als ich Kind war, schon an ihnen erfahren. Es kommt darauf an, ein Gefühl für den eigenen Körper zu entwickeln. Und sich selbst unter Kontrolle zu behalten. Man darf sich nie davon abhalten lassen, Risiken einzugehen. Das ist mein Credo. Das heißt aber nicht, dass es nicht doch Rollen gäbe, vor denen ich zu viel Angst habe. Die Königin der Nacht zum Beispiel. Die würde ich mir nie im Leben zutrauen.
Sonst alles?
Nein. Vor den leichten Rollen fürchte ich mich auch. Ich mag halt keine langweiligen Charaktere. All die Adinas, Paminas und wie die einfältigen jungen Mädchen alle heißen: nichts für mich. Übrigens gut so. Mit Adina im "Elisir d’amore" kann man heutzutage keine Karriere mehr machen. Man hat Erfolg nur über die Gefahren, die man eingeht.
Ich muss gestehen, dass ich keine Ahnung habe, wie zum Beispiel Ihre Lady Macbeth im Sommer in Salzburg klingen wird …
Ich auch nicht. Ich habe, ehrlich gesagt, überhaupt keine Ahnung, wie ich das hinkriegen soll. Gegenwärtig sagt mein Körper: "Sieh zu, dass du Land gewinnst! Nichts wie weg." Nur: So war es immer. Das ist der einzige Weg für mich. Augen auf, Angst kriegen, und durch.
Ich könnte auch keine Sängerin angeben, die dasselbe Rollenportfolio bedient wie Sie. Sind Sie so unvergleichlich?
Oh, danke sehr. Das ist fast das größte Kompliment, das ich mir überhaupt vorstellen kann. Es geht mir allerdings nicht darum unvergleichlich zu sein. Sondern nur darum, meine eigene Geschichte zu erzählen. Ich habe ja eigentlich keine Vorbilder. Außer vielleicht meine Mutter, die eine bessere Salome war als ich. Dennoch war es, schon seit ich angefangen habe, mein Ziel, gerade nicht mit ihr verglichen zu werden. Seit der “Salome” in Salzburg, tatsächlich eine meiner besten Sachen, ist mir das halbwegs gelungen.
Was denken Sie, wenn Sie von der Bühne abgehen?
Gar nichts mehr. Dann ist da nur noch eine Mischung aus Glück und Ärger. Ich bin froh darüber, den Auftritt hinter mir zu haben. Und hadere mit meinen Fehlern. Auch das wird aber mit den Jahren besser. Ich bin es müde geworden, mich immer selbst übertreffen und an mir selbst messen zu müssen.
Sie trinken nicht gerne Wein, sondern bevorzugen Whisky oder Cognac. Wann haben Sie Gelegenheit, dieser Vorliebe nachzugehen?
Wenn ich Leute treffe, die gleichfalls etwas trinken. Meine neueste Entdeckung: Tequila.
Das Gespräch führte Kai Luehrs-Kaiser.