Hemmstraße in Findorff, Montagvormittag. Ein älterer Herr im Trenchcoat geht spazieren, neben ihm, an einer langen, regenbogenfarbenen Leine, trippelt ein Dackel. Als beide ein helles Quadrat auf dem Asphalt erreichen, bleiben sie stehen, die Sonne fällt hier auf den Boden, der Mann blinzelt ihr entgegen. Dann wandert sein Blick ein paar Meter weiter, dorthin, wo zwei Postkartenständer auf dem Bürgersteig stehen. Ein banales Bild, eigentlich. Heute aber ist das anders, heute sind die Ständer ein Signal. Dieses Geschäft, verkünden sie, hat geöffnet.
Das Geschäft, das geöffnet hat, ist das Findorffer Bücherfenster. Zum ersten Mal seit vier Wochen darf Inhaberin Barbara Hüchting die Tür ihrer Buchhandlung öffnen, zum ersten Mal wieder Menschen in den Laden lassen. Ein Grund zur Freu
Einerseits ja, sagt Hüchting. Die vergangenen Woche seien „ein Knochenjob“ gewesen, 14 bis 16 Stunden täglich, E-Mails beantworten bis spät in die Nacht. Um weiterhin Geld zu verdienen, hatte sie wie viele Buchhändlerinnen und Buchhändler Bestellungen per E-Mail, Telefon und über den Onlineshop angenommen. Und von denen kamen viele. „Ich bin sehr dankbar dafür, wie sehr uns die Menschen unterstützt haben“, sagt sie. „Trotzdem muss ich zugeben, dass ich wenig Lust gehabt hätte, noch lange so weiterzumachen.“ Der Kontakt zu den Menschen habe ihr gefehlt, die Möglichkeit, Bücher zu empfehlen, ins Gespräch zu kommen. All das zu tun, was ihre Arbeit normalerweise ausmache.
Und damit zu: andererseits. Denn normal, sagt Hüchting, sei ja noch immer nichts. Sie zeigt auf vier weitere Postkartenständer im Ladeninneren; Hüchtings Kolleginnen haben sie zu einer Art Raumtrenner zusammengeschoben, ebenso zwei Büchertische. Die improvisierte Schutzmauer trennt Kassen- und Verkaufsbereich, „um es meinen Mitarbeitern und den Kunden zu erleichtern, Abstand zu halten“. Auch einen Spuckschutz für den Kassentresen hat Hüchting anbringen lassen.
„Ein bisschen Nervenkitzel für den Garten“
Und falls sich doch eine der Verkäuferinnen ansteckt? Damit es auch dann weitergehen kann, hat Hüchting den Schichtplan verändert: Statt zu dritt seien sie jetzt immer nur zu zweit im Geschäft, in zwei feststehenden Teams. „Wenn eine krank wird, fällt immerhin nur eine zweite Person mit aus; die anderen könnten dann die Stellung halten.“ Sicherer sei das, aber auch anstrengender: „Es fällt ja immer noch die gleiche Arbeit an; die müssen wir nun in geringerer Besetzung bewältigen.“
Draußen, vor dem Geschäft, wartet Hermann Johannes. Maximal zwei Personen lässt Hüchting jetzt in den Laden, „damit wir insgesamt nie zu viele im Raum sind“. Johannes ist Nummer drei. Er sei gekommen, um sich „einen neuen Schätzing“ zu holen, sagt der Rentner – „ein bisschen Nervenkitzel für den Garten, um die Zeit der Distanz besser rumzukriegen“.
Rein, Regal ansteuern, zahlen, raus
Eine andere Kundin ist da, um sich mit Krimis einzudecken, ein junger Mann mit Tulpenstrauß in der Hand kauft eine Grußkarte. Meik Detzel-Fasel indes schaut mit seiner kleinen Tochter vorbei, um ein neues Kinderhörspiel zu besorgen. Wie auch die anderen hält er seinen Besuch so kurz wie möglich: rein, Regal ansteuern, zahlen, raus. Ob er die buchladenlosen Zeiten vermisst habe? „Ich weniger, aber meine Frau“, sagt er. Die liebe Bücher und habe „richtig gelitten“.
„Auf den täglichen Wegen kurz in den Buchladen einbiegen, ich glaube, das gehört für viele einfach zum Alltag“, sagt Hüchting. Nein, normal, das seien die Tage auch jetzt nicht, längst nicht. Aber vielleicht ein kleines bisschen normaler als zuvor.