Im Jahr 2074 regt sich niemand mehr darüber auf, dass die EU-Kommission nicht so richtig plietsch war beim Ordern von Impfstoff. Denn dann gibt es keine Kommission und auch keine Europäische Gemeinschaft mehr. Doch auch die Freunde des Nationalstaats müssen tapfer sein: Statt Deutschland, Frankreich oder Italien denken die Menschen nun in Stämmen und reden von Territorien. Europa ist, nach einem verheerenden Blackout, in die Vor-Zivilisation zurückgefallen.
In dieser Zukunft spielt die deutsche Netflix-Serie „Tribes of Europa“, deren erste Staffel mit sechs Folgen recht überschaubar ausgefallen ist. Produziert wurde sie von Quirin Berg und Max Wiedemann, die mit „Dark“ einen hoch gelobten und zudem komplex erzählten Hit gelandet haben. Auch „Tribes of Europa“ hat den Anspruch, über dem Serien-Einerlei angesiedelt zu sein. Im Mittelpunkt stehen die Geschwister Liv (Henriette Confurius), Elja (David Ali Rashed) und Kiano (Emilio Sakraya), deren Stamm der Origines als Hardcore-Ökos im Wald lebt. Ihre Wege trennen sich nach einem Angriff der sadistischen Crows in drei unterschiedliche Erzählstränge.
Liv wird von den Crimsons gerettet, einer Armee, die die alte Ordnung in Europa wiederherstellen will, allerdings unter ihrer autokratischen Führung. Liv wird versuchen, Kiano und ihren Vater Jakob (Benjamin Sadler) aus der Sklaverei zu befreien, in die die Crows sie verschleppt haben – ins ehemalige Berlin. Elja schließlich will den geheimnisvollen Cube, einen mit KI vollgestopften Würfel, zu einer noch geheimnisvolleren Arche bringen. Eine Mission, die an Frodo und den Ring erinnert und genauso gefährlich ist; denn alle wollen den Cube, der Macht verheißt. David Ali Rasched als Elja sieht sogar ein bisschen so aus wie Elijah (!) Wood in den Filmen von Peter Jackson.
„Tribes“-Erfinder Philipp Koch hat kein Problem damit, erstaunlich dreist andere Serien und Filme zu zitieren, von „The Walking Dead“ über „Star Wars“, „Mad Max“, den erwähnten „Herrn der Ringe“ bis zu „Game of Thrones“. Manchmal kopiert er sogar komplette Szenen inklusive Kameraeinstellungen.
Wen das nicht stört, bekommt nach einem holprigen Auftakt eine visuell ausgefeilte Dystopie zu sehen, deren drei Protagonisten eher zögerlich an Profil gewinnen. Den dämonischen Crows und ihrer Welt hat sich Koch dagegen umso sorgfältiger gewidmet. Hier wirken alle so, als habe der Blackout sie während einer Fetischparty im Backstage-Bereich von Rammstein erwischt, und den Ärger darüber müssen nun alle anderen ausbaden. Immerhin gibt es mit Lord Vavara (Melika Foroutan) eine Anführerin, die auch ihre schwachen Momente hat. Das Staffelende wartet mit so vielen Cliffhangern auf, dass es nur eine Frage der Zeit sein dürfte, bis Netflix Teil zwei ankündigt.
Weitere Informationen
Tribes of Europa. Staffel eins (sechs Folgen). Anbieter: Netflix.