Dieser Raum kommt unerwartet. An Seestücken, Stillleben und Porträts flaniert man vorbei, tritt durch eine Tür und steht mittendrin in einer Farb- und Formenexplosion. Die Wände sind dunkelblau grundiert, mit einem Stich ins Gelbliche. Drei Bilder, ordentlich gerahmt und gehängt, sind zu sehen, eins rechts, eins frontal, eins links, aber alle sind eingebettet in Malerei, die die Wände mal geometrisch geordnet, mal wüst schlingernd okkupiert. Das ist das passende, weil erstaunliche Ambiente, denn: Was ist schon herkömmlich an den Arbeiten von Franz Ackermann?
Für die neue Präsentation der Sammlung der Kunsthalle, „Remix 2020“, hat Ackermann eins der Kabinette gestaltet. Er habe im Vorfeld der Ausstellung einen „sehr erfreulichen Anruf“ von Kunsthallendirektor Christoph Grunenberg erhalten; die beiden kennen sich seit 20 Jahren. Und natürlich habe er diese Herausforderung angenommen und sei nach Bremen gereist, um die „Physis des Hauses zu überprüfen“ und den für seine Zwecke geeigneten Raum auszuwählen. „Klar war, es sollte ein Störfaktor innerhalb der Präsentation werden“, beschreibt er den Ansatz. Eingestimmt auf eine vergangene Epoche mit Porträts aus dem Barock und fast schon zu Helden stilisierten Segelschiffen könnte man durch den Raum flanieren, durch die eine Tür hinein, durch die andere auf direktem Weg gleich wieder hinaus. Oder aber man begibt sich tief in ihn hinein, was sich definitiv lohnt.
„Dies ist meine derzeit wichtigste Rauminstallation“, sagt der Künstler und wirkt zufrieden. Das ist durchaus eine Auszeichnung für das Museum an der Kulturmeile, denn Franz Ackermanns Werke hängen auch in Häusern wie dem Museum of Modern Art in New York. Der 57-jährige Wahlberliner ist Professor für Malerei an der Kunstakademie Karlsruhe, bekannt für Wandgestaltungen und für Kunstwerke, die er unter dem Begriff „Mind Maps“ zusammenfasst. Das kann man sehr frei mit „vor dem inneren Auge entstandene Landkarten“ übersetzen. Die Bremer Version mit den drei Bildern firmiert unter den Titeln „Sohn“ sowie „Schutzhütte I“ und „Schutzhütte II“. Immer geht es um eine Annäherung an Architektur, an Gestaltung von Raum.
Der Begriff „Schutzhütte“ bewirkt beim Betrachter die meisten Assoziationen, und so soll es auch sein. Klima, Reisen, Flucht und Zuflucht. Für Ackermann sind das Themen, die ihn von jeher beschäftigen. Er ist viel herumgekommen in der Welt, immer mit dem Anspruch, sich dem Fremden, der anderen Kultur zuzuwenden. Mehr geht nicht, alles andere würde eine Aneignung und womöglich eine Bewertung bedeuten, die nur zu einem Miss-Verständnis führen kann. Zu sehen sind in seinen Werken daher Fragmente, die sich zu einem Kaleidoskop fügen.
Die eine „Schutzhütte“ ist geformt aus vielen, vor allem horizontal gestapelten farbigen Blöcken, das Bild wächst über seinen Rahmen und seine klare Linienführung hinaus auf die Wand. Es mündet in ein sich schlängelndes pinkes Rinnsal, das zur Quelle für einen Stalaktiten wird, der die Wand herunterwächst. Franz Ackermann spielt mit den Gegensätzen zwischen harten und weichen Kanten, zwischen Farbflächen, geometrischen Details und Linien. „Schutzhütte II“, das eine gesamte Wand umfasst, liegt ein Foto aus der indischen Megacity Mumbai zugrunde und ist eine durch einen Rahmen definierte, mehrschichtige Collage.
Diese wiederum ist in ein Wandgemälde integriert, das wie eine Maxiversion von „Schutzhütte I“ wirkt. Immer bleibt Ackermann seinem Ansatz treu, keine menschlichen Figuren zu zeigen. Der Betrachter sieht Teile eines Slums, Industriebauten oder Waren, die gehandelt werden. Kleine Beigaben wie ein Armband, Haken, Mosaiksteine verweisen auf diejenigen, die sie verwenden. Das muss reichen. Gleichzeitig ist die Collage wie ein Schiff geformt und fügt sich damit augenzwinkernd zu der Segler-Gala der zuvor besuchten Räume. Am nächsten dran ist sie an der politisch aufgeladenen Installation „Cui bono“ von Hew Locke.
Wichtige Zwischenstopps
Reisen und Bewegung, eine wesentliche Inspirationsquelle seiner Kunst, sind momentan nur unter erschwerten Bedingungen möglich. Franz Ackermann hat sich dem angepasst. Sowieso hat er sich einer speziellen Art des Hin- und Ankommens verschrieben: Er legt Zwischenstopps ein, um die kulturellen Unterschiede, die sich zwischem Abfahrts- und Zielort auftun, zu erfahren. Für den in Berlin lebenden gebürtigen Bayern sieht eine Route derzeit daher so aus: „Ich schaue mir erst in Halberstadt den Dom an, dann radele ich nach Magdeburg weiter.“