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Rinkes Rauten Zweite Halbzeit

Der Dramatiker und Romanautor Moritz Rinke schaut in "Rinkes Rauten" jeden Sonnabend im WESER-KURIER auf die Welt. Thema muss nicht immer der SV Werder sein.
26.10.2024, 08:47 Uhr
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Von Moritz Rinke

Das Video, das ich mir in Antalya auf dem Smartphone ansah, war sehr verwackelt. YouTube. Das Centenario-Stadion von Montevideo. 8. Juni 1977. Ausschnitte eines Spiels der deutschen Nationalmannschaft gegen Uruguay. Im Tor der Deutschen: Dieter Burdenski, der Torwart von Werder Bremen, er gibt sein Debüt.

„Schau mal“, sagte ich zu meinem Sohn, „das ist Burdenskis allererstes Länderspiel“, da war ich 9, so alt wie jetzt du!“ Mehrmals stellte ich das Video wieder auf Anfang, um noch einmal Burdenski zu sehen – das alles tat ich am Dienstagnachmittag, als in Bremen, im Konzerthaus der „Glocke“, die Fußballwelt von Burdenski Abschied nahm, der viel zu früh verstorben war.

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„Wenn wir nicht schon in den Ferien wären, dann wäre ich mitgekommen nach Bremen zu Burdenski“, antwortete mein Sohn, wir waren am Flughafen auf dem Weg nach Ankara, er hatte seine Torwarthandschuhe im Handgepäck, er wollte dort in der Mannschaft seines Cousins über die Herbstferien mittrainieren.

Selten habe ich mich an zwei Orten so gleichzeitig gefühlt. Am Flughafen mit den Torwarthandschuhen und geistig in der „Glocke“ in Bremen. „Nicht du bist an dem Ort, der Ort ist in Dir“, dieses Zitat fiel mir aus einer Uni-Hausarbeit ein, die ich einmal schreiben musste, ich weiß nicht mehr, wer das gesagt hat, richtig verstanden hatte ich es auch nie, aber plötzlich war es klar!

Einer Freundin bei Radio 1 hatte ich gebeten, mir alle Einspieler zu schicken, die sie vor und nach der Trauerfeier in der „Glocke“ senden würden, ich bekam sie schon nach Antalya per Audiodateien bevor sie in Bremen im Radio liefen.

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Eine andere Bremer Freundin schickte mir Live-Berichte, sie stand mit ihrem Smartphone auf der Domsheide vor der „Glocke“ – so sah ich Bernd Neumann von der CDU, mit dem Burdenski immer samstags in einer Halle Fußball spielte; ich sah Torsten Frings, den ich als Spieler besonders mochte und dessen Stirnband mir Burdenski einmal besorgt hatte; ich sah Ex-Bürgermeister Henning Scherf, der mir gegenüber beim Werder-Jubiläum noch über Burdenskis positive Art ins Schwärmen geraten war; ich sah Jörg Wontorra, dessen „Sportschau“-Bericht ich meinem Sohn mehrmals auf YouTube vorgespielt hatte, als Werder den FC Bayern bezwang, und Rummenigge immer wieder an Burdenski scheiterte.

Gleich danach googelte ich noch Bilder von der Trauerfeier, sie waren schon online. Das rote Rosenherz für Burdenski war zu sehen, die weißen Rosen der Werder-Familie, zwei seiner Fotos, eines in seinem immer perfekt sitzenden schwarzen Anzug, das andere im gelben Trikot der Nationalmannschaft, einen Ball haltend. Felix Magath war auch gekommen, den ich eben noch in Montevideo gesehen hatte, er hielt eine der Trauerreden, tief bewegt, wie mir die Freundin übermittelte. Auch Rudi Völler war gekommen, Pierre Littbarski sah ich, viele der Werder-Familie, vor allem Thomas Schaaf, der alte Freund und Zimmergenosse aus früheren Spieler- und Trainertagen.

Ich zeigte meinem Sohn die letzte Nachricht von Burdenski, er hatte sich kurz vor seinem Tod noch um ein Auto für mich kümmern wollen, meines war kaputt gegangen. Etwas weiter oben im Chatverlauf waren noch die kleinen Torwartparaden meines Sohns zu sehen, ich schickte sie Burdenski seit Jahren – und meinem Sohn bedeutete es viel, dass ein echter Nationaltorwart sie auf WhatsApp kommentierte.

„Wollen wir Burdenski nicht genau heute, am Tag seiner Ehrenfeier, versprechen, dass du ihn irgendwann einmal bei Werder im Kasten vertrittst?“, fragte ich, ich sagte es wohl eher zu meiner eigenen sentimentalen Kinderseele, wir saßen schon im Flugzeug.

„Ja, versprochen“, antwortete er.

„Ein Torwart, hat Burdenski gesagt, spricht während des Spiels immer positiv mit sich selbst, Regel Nummer eins!“, erklärte ich. „Regel Nummer zwei, das hat Burdenski auch gesagt: Stell dir vor dem Spiel immer vor, wie du einen scharf getretenen Freistoß mit beiden Fäusten im Sprung herausboxt!“

„Mach ich!“, antwortete mein Sohn.

„Ach, dieser Torwart bedeutet mir so viel“, sagte ich noch, „dass ich am Ende sogar zwei Kolumnen über ihn geschrieben haben werde.“

Ich fing in der Luft sofort damit an, meine zweite Halbzeit für einen Freund, die Liveschaltung in die „Glocke“ war ja nun unterbrochen.

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