Bremen. Theater müsse „Lust und Schrecken der Verwandlung“ sein, notierte der Dramatiker Heiner Müller. Am Kleinen Haus wird diese Forderung bei der deutschsprachigen Erstaufführung von Jonathan Safran Foers 700-Seiten-Roman „Hier bin ich“ in einer Fassung von Jan Eichberg auch bezüglich der Maskenbildnerei beherzigt: Einige der Akteure, die zu heiterer Hammondorgel („Sunny“ von Boney M.) die Bühne entern, sind kaum wiederzuerkennen. Das verdankt sich auch den Kostümen, die Elke von Sivers Siegfried W. Maschek, der mit Verve einen sprechenden Hund spielt, und Deniz Orta, die einen rebellischen Sohn gibt, angedeihen lässt.
Grundlegend transformiert ist Nadine Geyersbach, die zu Jacob, einem Intellektuellen mit Brille und Bartschatten, mutiert ist, der dem Urheber des Romans frappierend ähnelt, in dem sich eine jüdische Familie in New York in rasanten Dialogen, hitzigen Disputen und nah am Tourette-Syndrom angesiedelten Wortspielereien zu zerfleischen droht. Lustig und erschreckend zugleich gerät auch die Metamorphose von Matthieu Svetchine, der später als Jacobs bulliger Cousin Tamir im Kampfanzug, mit modelliertem Kinn und frappierender Frisur die Szene betritt.
Schulaufführungsgestus
Zunächst findet in einer rosafarben grundierten Wohnküche eine skurrile Familienaufstellung statt, wie sie ähnlich in früheren Inszenierungen von Felix Rothenhäusler zu sehen war, der sein zwischen Stocken und Sprudeln, Statik und Statisterie, Verzögerung und Übereilung angesiedeltes Sprechtheater im planvollen Schulaufführungsgestus seinerseits gern im familiären Kreis erprobt. Nicht von ungefähr erinnert das Format des beachtlichen Bühnenbildes (Katharina Pia Schütz) an einen Flachbildschirm: Zum einen hatte Foer seinen 2016 erschienenen Roman ursprünglich als Serie konzipiert; zum anderen arbeiten sich die Bewegtbild-Junkies Rothenhäusler und Eichberg in ihren Kooperationen bislang zuverlässig wie passioniert an Sitcom-Strukturmerkmalen ab.
Das war so bei „Mr. Robot“ (2017), das war so bei „Ödipus/Antigone“ (auch 2017), und wenn den TV-Aficionados nichts Neues einfällt (was indes mittelfristig wünschenswert wäre), lassen sich daraus noch jahrelang unterhaltsame Spektakel im Zeichen kritischer Crossmedialität machen. Erneut jedenfalls wirkt es, als hätten sie im Verbund mit dem Musiker Matthias Krieg, der für die punktgenaue Markierung von Pointen, Leer- und Unbestimmtheitsstellen zuständig ist, jede Menge jungenhaften Spaß gehabt: beim Rezipieren, Verschneiden und Takten der saftigen Foer-Prosa, telegenen Jingles, Computerspiel-Geräuschen und einschlägigen (Zeichentrick-)Serien wie „Family Guy“.
„Spürst du denn keinen Kick, wenn die wohlige Kälte einer perfekt geschriebenen Serie dein Wohnzimmer illuminiert, dein Smart-TV für kurze Zeit zum Tempel, zu einer Pforte, zu einer parallelen Realität mutiert, die bei weitem interessanter ist als dein echtes Leben“, heißt es in einem Dramolett, das Dramaturg Akın Emanuel Şipal für den Programmzettel schrieb. Zum Kick gerät dem Theaterpublikum der Staccato-Schlagabtausch ausweislich des Schlussapplauses nur bedingt. Dafür verbraucht sich der Reiz des Screwball-Prinzips zu rasch. Trotz aufklärerischer Absicht; trotz aller Inkorrektheit zwischen Shoa, Sperma und Hundekacke, die einige Zuschauer fast die gesamte Spieldauer (85 Minuten) gackern und glucksen lässt – rhythmisch und repetitiv wie die Inszenierung.
Was diesen Abend im pinken Puppenheim dennoch zum Erlebnis macht, sind Akkuratesse und Hochkomik der Regie und des Ensembles. Ohne Scheu vor albernen, ja peinigenden Szenen, in denen unterschiedslos Traumata und Geheimnisse, erogene SMS-Zonen und tierische Notdurft, das Ringen um Identität und die Ethik der Lebenslüge mal verhandelt, mal verbrämt werden. Nadine Geyersbach, die als Mediator den wohl schwierigsten Part in dieser schrecklich netten Familie hat, meistert die tragikomische Herausforderung mit reduzierter Gestik und automatisierter Sprechweise bravourös. Ihrem Jacob zur Seite stehen drei in ihren reflexhaften Äußerungen exzellent aufeinander abgestimmte Söhne (Bastian Hagen, Justus Ritter, Deniz Orta). Annemaaike Bakker ist eine Gattin von großer Insistenz (Maschinengewehr kann sie besonders gut), Verena Reichhardt ein ungemein pointierter Opa, Maschek ein sympathisch reinliches Haustier, Svetchine als gewissenhafter Gesandter des Staates Israel ein schwadronierender Blickfang.