Als er seine Fans im Mai 2017 mit gleich zwei ausverkauften Auftritten in der ÖVB-Arena für seine lange Bremen-Abstinenz entschädigte, hatten der Rocker Udo Lindenberg und sein bewährtes Panikorchester neben vielen massenkompatiblen Hits – von „Alles klar auf der Andrea Doria“ (1973) über „Straßenfieber“ (1981) bis „Einer muss den Job ja machen“ (2016) – auch etliche sinnige Gimmicks im Tourgepäck. Darunter eine stationäre Bar (Eierlikör im Ausschank inbegriffen), ein Raumschiff samt Aliens sowie ein Schlauchboot mit Gorilla und Konfettiwerfer.
Als der Musiker dann gegen Konzertende zu den Klängen der traurigen Trinkerhymne „Woddy Woddy Wodka“ in einem mobilen Metallverschlag einen Abflug im Wortsinne hinlegte, konnte dem geneigten Beobachter schon etwas wehmütig ums Herz werden. Schließlich ist der mal kosmisch, mal komisch anmutende Künstler in seiner 47-jährigen Bühnenkarriere derart häufig von Kalamitäten, Krisen und Katastrophen gebeutelt worden, dass ein Wiedersehen bei guter Gesundheit längst nicht immer ausgemacht schien.
Gottlob hat Lindenberg dem Vernehmen nach früheren Alkoholexzessen abgeschworen, die ihm bis zu zehn Klinikaufenthalte pro Jahr eingetragen haben sollen. Davon erzählt er unter anderem in der Autobiografie "Udo", die im Oktober vergangenen Jahres im Verlag Kiepenheuer & Witsch erschienen ist.
Mittlerweile ist der auf politische Utopien, Spießbürger-Verstörung und drollige Sprachwendungen abonnierte Hoteldauergast ein älterer Herr. Am 17. Mai wird er 73 Jahre alt; punktgenau zwei Wochen später wird er neuerlich in der ÖVB-Arena erwartet (überdies gibt es tags darauf, am 1. Juni, ebenda ein Zusatzkonzert). Auch wenn der Mann mit dem charismatischen Nuschel-Timbre gegenwärtig vornehmlich seinen (Nach-)Ruhm verwaltet – jüngste Neuerscheinungen sind ein zweites MTV-unplugged-Album sowie die Retro-Box „Das Vermächtnis der Nachtigall, 1983–1998“ –, dürfte seine Show wiederum zu den Höhepunkten des Konzertfrühlings zählen. Nicht zuletzt deshalb, weil in Bremen der Startschuss zur aktuellen Tournee fällt – und Musiker bei solchen Auftaktveranstaltungen in der Regel besonders engagiert zu Werke gehen.
"Durch die schweren Zeiten"
Alt-Rocker Alice Cooper, Reggae-Musiker Gentleman und – man lese und staune – die Schauspielerin Maria Furtwängler zählen zu den Gästen des Unplugged-Nachschlags, der wiederum den Untertitel „Live vom Atlantik“ trägt. 27 Songs umfasst das Doppelalbum, darunter die anrührende Single „Durch die schweren Zeiten“, die Lindenbergs letztem Studiowerk „Stärker als die Zeit“ aus dem Jahr 2016 entstammt. Darin heißt es: „Ich werd' dich begleiten / Denn es ist nie zu spät / Um nochmal durchzustarten / Wo hinter all den schwarzen Wolken / Wieder gute Zeiten warten.“ Von einem wie Udo Lindenberg, der als Auferstehungsvirtuose gelten darf und zu dessen wichtigsten Platten nicht von ungefähr „Phönix“ (1986) zählt, lässt man sich solche Lektionen in Zuversicht gern erteilen. Umso mehr, als sich der im westfälischen Gronau geborene Wahl-Hamburger der beklagenswerten Weltlage zum Trotz seit Jahrzehnten in vorbildlicher Manier für Abrüstung, Waffenexportverbote und Frieden einsetzt.