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Die Berliner Elektropunk-Band Grossstadtgeflüster erzählt bei ihrem Gastspiel im Bremer Tower von Ausflügen und Ausflüchten Von Wochenendhäuschen und blauen Wundern

Bremen. Eine grüne Trainingsjacke mit weißen Streifen trägt die Frontfrau beim umjubelten Auftritt der Berliner Band Grossstadtgeflüster im Tower. Diese Kleiderordnung ist allenfalls bedingt eine Reverenz an den ortsansässigen Fußballverein.
18.11.2016, 00:00 Uhr
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Von Wochenendhäuschen und blauen Wundern
Von Hendrik Werner

Bremen. Eine grüne Trainingsjacke mit weißen Streifen trägt die Frontfrau beim umjubelten Auftritt der Berliner Band Grossstadtgeflüster im Tower. Diese Kleiderordnung ist allenfalls bedingt eine Reverenz an den ortsansässigen Fußballverein. Jennifer „Jen“ Bender mag bequeme Kledage, wie in einschlägigen Videos ausführlich zu besichtigen ist; das Energiebündel bedarf ihrer sogar, um der Menge bei Liedvorträgen exzessiv vortanzen zu können. Beim Bremer Gig wird daraus nichts. Leider. „Ich bin zutiefst verletzt“, sagt Jen, eine kleine Frau mit einer großen Stimme, gleich zu Beginn. Kreuzbänder. Nichts zu machen. Der geneigte Fan möge sich vorstellen, dass sie flummigleich über die Bühne springe.

Auch ohne entsprechende Einlagen zeigt sich die Sängerin der Elektroband im Rahmen ihrer Möglichkeiten agil. Wer jenseits ihrer Jacke partout Zeichen finden will, die als Bekenntnisse zu Bremen lesbar sind, muss nicht lange fahnden: Der Keyboarder Raphael Schalz, mit dem Bender die Gruppe anno 2003 gründete, wurde ebenda geboren. Das hört man seinen launigen Ansagen und laxen Animationssprüchen auch an. Drittes Mitglied der in Bremen gut abgestimmt agierenden Combo ist der Schlagzeuger Chriz Falk, der seit 2008 mit von der musikalischen Partie ist, die erfahrungsgemäß in eine ausgelassene Party umschlägt.

Jene Songs, die Jen textet, sind – ungewöhnlich genug für Berliner Thirtysome­things – überwiegend heiter, zumindest zuversichtlich grundiert. Ironie immer inbegriffen. Philosophie und Freiheitsreflexionen dienen der begnadeten Spötterin ebenso als Unterfutter für kompakte Dichtungsminiaturen wie Freizeit- („Düsen“) und Gesundheitsthemen („Ich rollator mit meim Besten“); Kalauer sowieso. „Bin nicht sonderlich schön, / aber schön sonderlich“, heißt es in der eingängigen Befindlichkeit-mit-Alkohol-Studie „Blaues Wunder“.

Bei diesem Song mag die wunderbar wandelbare Stimme der Frontfrau dezent an jene von Anna Loos erinnern; bei anderen Liedern denkt man – auch wegen der Kombination aus filigraner Lyrik und emphatischer Darbietungsform – an Judith Holofernes in der großen Wir-sind-Helden-Zeit. Was die Instrumentierung angeht, sind Grossstadtgeflüster ähnlich melodisch und doch deutlich druckvoller als Frida Gold.

Von 15 bis 50 reicht die Altersspanne unter den Besuchern des ausverkauften Bremer Konzerts, bei dem sich die Kernkompetenzen des Trios – Elektropop & Elektropunk – die Waage halten. Noch jünger sind einige Fans, die Keyboarder Raphael wegen fabelhafter Familienshirts eigens auf die Bühne bittet. Man ahnt: Mit „Ufos überm Fernsehturm“, der Up-Tempo-Nummer zum Auftakt, lässt sich altersunabhängig so gut
reüssieren wie mit einem Beziehungsleid-Lied namens „Kartoffelsuppe“.

Höhepunkt des stimmungsvollen Abends, was die Beliebtheit des Liedes und das Engagement des Publikums anbelangt, ist die originelle Chill-Hymne „Fickt-euch-Allee“, bei der das Auditorium emsig Hände und Stimmen einsetzt, um dem Eskapismus der Sängerin gen Wochenendhäuschen beizupflichten. Der Einsatz lohnt und ist gerechtfertigt. Schon ein Song-Fragment wie „Urlaub in den Misanthropen“ bietet mehr rotzigen Witz als bei anderen Bands des nämlichen Spektrums das gesamte Repertoire. Laute Beifallskundgebungen honorieren diesen beachtlichen Beitrag, der den Humorstandort Deutschland bereichert.

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