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"Wetten, dass..?" Medienwissenschaftlerin: Gottschalk darf das

Am Wochenende geriet "Wetten, dass..?" zum Quotenhit. Die Bremer Medienwissenschaftlerin Anke Offerhaus erzählt, wie es so weit kommen konnte und ob Fernsehen Altherrenwitze braucht.
09.11.2021, 19:35 Uhr
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Medienwissenschaftlerin: Gottschalk darf das
Von Simon Wilke

Frau Offerhaus, was war das? Plötzlich schalten am Sonnabend fast 14 Millionen Menschen bei "Wetten, dass..?" ein. Wie konnte das passieren?

Anke Offerhaus: Das widerspricht auf den ersten Blick tatsächlich allem, was man erwarten würde. Das heißt ja schließlich nichts anderes, als dass all diese Menschen zur gleichen Zeit vor dem Fernseher gesessen haben. In Zeiten, in denen Filme und Serien zur Wunschzeit abgerufen werden können, ist das schon sehr ungewöhnlich. Die Frage ist ja aber: Kann man daraus ableiten, dass dieser Erfolg auch von Dauer wäre.

Und, kann man?

Da bin ich skeptisch. Ich glaube, das Besondere an dieser Neuauflage war, dass die Menschen neugierig waren und die Sendung zum Anlass genommen haben, sich noch einmal zurück zu erinnern.

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"Wetten, dass..?" war also eine Reise in die unbeschwerte Vergangenheit?

Ganz genau. "Wetten, dass..?" ist Teil des kulturellen Gedächtnisses mehrerer Generationen. Wir erinnern uns daran als ein mediales Format, das in unserer Kindheit und Jugend wichtig war.

So, wie man wehmütig daran zurückdenkt, wie man früher Kassetten mit seinen Lieblingsliedern bespielt hat oder an Silvester darauf wartete, dass Butler James in Miss Sophies Esszimmer über den Tigerkopf stolpert?

So ist es. Es hat etwas Nostalgisches, eine positive Wehmut. Es gibt Filme und Medien, deren Anblick bei uns genau so eine emotionale Erinnerung auslösen wie "Wetten, dass..?". Und trotzdem gab es auch Elemente, die das jüngere Publikum ansprechen sollten – zum Beispiel die Influencerinnen Lisa und Lena, die als Backstage-Reporterinnen aufgetreten sind.

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Womit punktet die Sendung denn am meisten: spektakuläre Wetten, berühmte Gäste oder durch einen Showmaster wie Thomas Gottschalk?

Da geht es nicht um entweder oder. Es waren sicherlich immer schon Gäste wie Michael Jackson, die Einschaltquoten garantiert haben. Aber es ging auch immer um Aktualität – ein neuer James Bond, ein neues Album. Und es war familienfreundlich. Als Markus Lanz übernahm, wurde ihm ja die schwindende Quote angelastet, aber man muss sagen, dass in seiner Zeit viele neue Anbieter auf den Markt drängten. Youtube beispielsweise, später kam Netflix dazu. Das Nutzungsverhalten hat sich einfach geändert. Doch an diesem Sonnabend war es einfach der Erinnerungseffekt, ein Stück heile Welt in Zeiten von Corona. Salopp gesagt: Da guckt man sich den Gottschalk mit seinen Kalauern noch einmal an.

Für die er ja auch von vielen Seiten kritisiert wurde. Die "Frankfurter Rundschau" schreibt im Rückblick auf die Sendung: "Thomas Gottschalk lädt zum Fremdschämen ein". Aber zeigt der Erfolg nicht, dass Gottschalks "Altherrenwitze" besser ankommen als jede aalglatte Moderation ohne Ecken und Kanten?

Das ist schwer zu beurteilen. Intuitiv würde ich sagen: Ich glaube, Gottschalk darf das, weil er bekannt ist, man ist bei ihm eher geneigt zu sagen: Ach ja, so ist er halt. Unterm Strich steht er eben für etwas Positives. Stünde an seiner Stelle ein anderer, unbekannter Moderator und finge an, so grenzüberschreitend zu kommunizieren, wie es Gottschalk tut, würden die Menschen das vermutlich nicht akzeptieren. Kurzum, ich glaube nicht, dass das ein Sendemodell ist.

Gerade beim jüngeren Publikum, in der Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen, war "Wetten, dass..?" erfolgreich. Hier lag der Marktanteil bei mehr als 50 Prozent. Warum?

Es kommt eben drauf an, wer die Fernbedienung in der Hand hält. Ich kann mir vorstellen, dass hier die Elterngeneration gesagt hat: Komm, das schauen wir mal wieder. Die Kinder und Teenager hätten sich wahrscheinlich anders entschieden. Man konnte das gut bei der Kinderwette sehen: Der Junge kannte Thomas Gottschalk ja gar nicht. "Wetten, dass..?" haben all die gewählt, die früher selbst im Schlafanzug auf dem Sofa saßen und sich diebisch freuten, dass der Gottschalk mal wieder überzieht, weil sie dann länger aufbleiben durften.

Man könnte auch sagen: Die Sender sollten lieber auf der Retro-Welle surfen, als sich neue Ideen für Quotengaranten zu überlegen.

Das wäre, glaube ich, zu harsch. Sie sind schließlich erfolgreich mit einer Mischung aus alten und neuen Formaten, ähnlich wie beim "Tatort". Neue Filme, aber die Struktur ist über Generationen hinweg etabliert. So gesehen machen die Fernsehsender gute Arbeit.

Also ist die endgültige Wiederaufnahme von "Wetten, dass..?" doch nur eine Frage der Zeit?

Das wäre natürlich hochriskant. Dann hätte man vielleicht noch ein, zwei nostalgische Sendungen mit höheren Einschaltquoten, anschließend würde es sich abnutzen, weil wir in Zeiten leben, in denen Algorithmen uns Filme anbieten, die genau unseren Vorlieben entsprechen.

Aber brauchen Sender nicht Zugpferde mit Strahlkraft, in deren Windschatten andere Formate mitlaufen?

Ich glaube nicht, dass das generell ein Erfolgsrezept ist. Letztendlich bräuchte es dafür ja eine gewisse Sendertreue, aber dieser Gedanke ist nicht realistisch. Lineares Fernsehen und Sendertreue sind bei der Vielfalt medialer Angebote in weiten Teilen der Bevölkerung nicht mehr vorherrschend.

Das Gespräch führte Simon Wilke.

Zur Person

Anke Offerhaus

ist Universitätslektorin am Zentrum für Medien-, Kommunikations- und Informationsforschung (ZeMKI) der Universität Bremen. Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählen die Journalismusforschung, die Medien- und Öffentlichkeitssoziologie und die Medienaneignung.

Zur Sache

Show-Comeback? Deutsche gespalten
Die Frage, ob die ZDF-Show „Wetten, dass..?“ wieder regelmäßig im Fernsehen laufen soll, spaltet in Deutschland die Gemüter. Laut einer aktuellen Online-Umfrage sind 40 Prozent der Erwachsenen in Deutschland dafür, den Klassiker in der einen oder anderen Form wieder regelmäßig auszustrahlen. 35 Prozent sind gegen weitere Shows aus der Reihe, wie das Meinungsforschungsinstitut Yougov mitteilte. Die Befürworter haben sehr unterschiedliche Vorstellungen, wie oft „Wetten, dass..?“ im Fernsehen laufen sollte. 20 Prozent würden eine Fortsetzung mehrmals im Jahr und 18 Prozent einmal im Jahr begrüßen. Zwei Prozent sagten, die Show solle seltener als einmal im Jahr laufen.

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