Hamburg. Wissen Sie eigentlich, was die schönste Zeit Ihres Lebens war? Vielleicht die Jugend, in der Sie sich verliebt haben, in der Sie überall rauchen und trinken durften, in der die freie Liebe ihren Reiz hatte? Dann könnten Sie zu einer Agentur gehen, die Ihnen genau dieses Erlebnis eines bestimmten Tages noch einmal verschafft. Mit einer originalgetreuen Umgebung, natürlich mit Schauspielern, aber Sie selbst sind echt. Mittendrin. Das ist das Geschäftsmodell von Antoine für betuchte Kunden.
„Die schönste Zeit unseres Lebens“, mit einem famosen Daniel Auteuil in der Hauptrolle des Comiczeichners Victor ist es ein französischer Film, der das zehntägige Filmfest Hamburg am späten Donnerstag eröffnet hat. Wieder mit vielen Gästen, die über den roten Teppich vor dem Cinemaxx-Kino am Dammtor defilierten. Darunter Filmfest-Dauergast Hannelore Hoger, Schauspielpreisgewinner Louis Klamroth, Tatort-Kommissar Axel Milberg, Nina Petri oder Burghart Klaußner. Aber auch die Bremerin Schauspielerin Sandra Quadflieg, die erst vor knapp einer Woche in einem Wettstreit vom NDR zur „Leuchte des Nordens“ gekürt worden ist.
Sie alle durften sich den Film des Regisseurs und Drehbuchautors Nicolas Bedos ansehen und sich den Namen gleich merken, denn es ist ein Meisterwerk. Vielleicht gar der beste Eröffnungsfilm in 27 Jahren Filmfest Hamburg, mindestens aber einer der besten, je nach Geschmack. Eine Hommage an das französische Kino und die gute alte Zeit, in der sich Kraft für die Gegenwart tanken lässt.
Bedos gelingt es, auf mehreren Illusionsebenen gleichzeitig eine manchmal abgründig komische Geschichte zu erzählen. Es geht um Victor, der lustlose Zeichner, der mit der schnellen Welt nicht mehr zurechtkommt und am Abend statt der virtuellen Realität die Literatur bevorzugt: „Ich teste ein Buch aus Papier. Einmal umblättern und man kann weiterlesen.“ Was seine attraktive, multitaskingfähige und fremd gehende Frau Marianne (Fanny Ardant) in den Wahnsinn treibt.
Sie schmeißt ihn raus, was ihn in die Eventagentur von Antoine treibt. Naja, und dort landet er am 16. Juni 1974, als er eben diese seine Frau als große Liebe kennengelernt hat. Doria Tillier umgarnt ihn als junge Marianne, in die er sich als alter Mann tatsächlich noch einmal verliebt. Doch sie ist eben eine Schauspielerin und macht einen Job. Und während sich die echte Ehefrau langsam wieder sammelt, kommt er aus der Fiktion nur schwer heraus. Naja, es kommt, wie es kommen muss. Der 16. Juni 1974 läuft noch einmal ab, diesmal mit der echten Ehefrau, und sie wissen wieder, warum sie sich einmal geliebt haben.
Der tosende Beifall der 1400 Zuschauer jedenfalls war eindeutig. Sandra Quadflieg fand: „Das ist ein Geschenk, das spielen zu dürfen. Liebenswürdig, menschlich, es hat mich wahnsinnig berührt.“ Und ausgewogen besetzt, wie sie fand, denn Quadflieg ist nicht nur Schauspielerin, sondern Repräsentantin von Women in Film and Television (WIFT) mit weltweit 13 000 Mitgliedern, darunter so prominente wie Meryl Streep. Das Netzwerk setzt sich für die Darstellung differenzierter Rollenbilder von Männern und Frauen in Film und Fernsehen sowie gleiche Bezahlung ein.
Peter Tschentscher als Hamburger Bürgermeister spannte den Bogen noch etwas weiter: „Wir sind eine Stadt mit 600 000 Menschen mit Migrationshintergrund aus 180 Ländern, wir schätzen Begegnungen mit allen Kulturen und Religionen.“ Was könne da besser sein, als nicht nur im Eröffnungsfilm eine Zeitreise zu machen, sondern zehn Tage lang die Welt kennenzulernen?
Weitere Informationen
„Die schönste Zeit des Lebens“ startet am 28. November in den Kinos. Beim Filmfest sind bis zum 5. Oktober 144 Filme aus 56 Ländern zu sehen. Programm: www.filmfesthamburg.de
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