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Rechte "Remigrations"-Ideen "Eine reale Gefahr, die uns alle betrifft"

Nadezhda Milanova, Bremens Migrations- und Integrationsbeauftragte, ist sicher, dass rechtsextreme "Remigrations"-Ideen unser Zusammenleben vergiften. Die Demo "Laut gegen rechts" ist ein Pflichttermin für sie.
18.01.2024, 00:00 Uhr
Lesedauer: 3 Min
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Von Justus Randt

Es gab Konkurrenz: "Sozialhilfekarriere", "Gratismentalität" oder "Abnutzungskrieg" waren Anwärter auf den Titel "Unwort des Jahres". Am Ende ist es die "Remigration" geworden. Hinter jedem der Begriffe steht eine Idee. Die der "Remigration" haben Rechtsextremisten für sich abonniert: Menschen, die nach Deutschland geflohen oder hier eingewandert sind, sollen in ihre Herkunftsländer zurückkehren – in großer Zahl, auch unter Zwang. Das Medienhaus Correctiv hatte darüber berichtet, dass Rechte und Rechtsextreme in Potsdam unter Federführung einzelner Mitglieder der AfD und der CDU über Pläne zur "Remigration“ gesprochen hatten. In Bremen führte das dazu, dass die Fraktionsspitzen von SPD, Grünen und der Linken ein Verbotsverfahren gegen die AfD fordern. Der Begriff der "Remigration" ist unterdessen in aller Munde, und manchen fällt dazu das Wort Deportation ein.

Zielgruppen sollen dem Bericht zufolge Asylbewerber, Ausländer und Ausländerinnen mit Bleiberecht und auch "nicht assimilierte Staatsbürger" sein. Dass die AfD dem Wort Taten folgen lassen will, fühlt sich für Nadezhda Milanova an "wie ein Schlag in die Magengrube". Die Lektüre der Originalquelle zum AfD-Treffen hatte sie abgebrochen und aufs Wochenende verschoben – "weil ich gemerkt hatte, dass das eine größere Dimension hat". Die Systematik, die hinter dem "Unwort des Jahres" steht, ist "menschenfeindlich, faschistisch, rassistisch", sagt die Migrations- und Integrationsbeauftragte des Landes Bremen. "Das muss man ernst nehmen, es ist eine reale Gefahr, die uns alle betrifft. Wir leben in diesem Land, wir sind Freunde, Nachbarn, Kolleginnen und Kollegen." Damit müsse man sich auseinandersetzen. "Nach dem anfänglichen Schock und Entsetzen kommt jetzt das Gefühl: Okay, jetzt erst recht, jetzt müssen wir noch mehr tun, und da ist jeder Einzelne von uns gefragt. Da müssen Taten folgen."

"Faschistische Ansagen"

Die von zwei Privatpersonen angemeldete B remer Demonstration am Sonntag ist ein gutes Beispiel dafür, was Nadezhda Milanova meint: "Dass das aus der Zivilgesellschaft kommt, ist total wichtig. Sich für demokratische Werte einzusetzen, das ist etwas Konkretes, das wir tun können, alle, in Bremen und Bremerhaven", sagt sie. Die Politik sei gefragt, aber auch jeder und jede Einzelne. "Ich hoffe sehr, dass sich Sonntag zeigt, dass der Bremer Marktplatz zu klein ist. Es ist keine Option, nicht hinzugehen." Demokratie lebe von unterschiedlichen Meinungen, von Streit im respektvollen Rahmen. "Aber menschenfeindliche Haltungen, faschistische Ansagen, das sind für mich keine Meinungen.“

Auch die Wirtschaft sei gefragt, ist Nadezhda Milanova überzeugt: "Stellen wir uns vor, alle Menschen, die in diesen Plänen mitberücksichtigt sind, blieben einen Tag lang zu Hause. Unser Gesundheitssystem, unser Sozialsystem, unsere Medien, unserer Kultureinrichtungen, unsere Sicherheitsbehörden, unser Parlament, unsere Verwaltung, Bildungseinrichtungen und das Handwerk würden brachliegen." Bremen sei nun mal das  Bundesland, in dem die meisten Menschen mit Migrationsbiografien lebten: Insgesamt mehr als ein Drittel zähle dazu. "Bei den unter 18-Jährigen sind es 68 Prozent."

Angst und Wut

Aus vielen Gesprächen mit Menschen, die sich betroffen fühlen, sagt Nadezhda Milanova, wisse sie von Sorgen "um unser Land und unser Zusammenleben", von Ängsten und durchaus auch Wut. "Es gibt auch Menschen, die sich Gedanken machen: Wo gehe ich hin?" Anders als Flüchtlinge könnten EU-Bürgerinnen und EU-Bürger als "Plan B" auf ihre zweite Staatsangehörigkeit setzen. Und es gebe viele Diskussionen darüber, was zu tun richtig sei. "Ich kann den Wunsch nach einfachen Lösungen verstehen, aber die gibt es nun mal nicht. Aber wir sind alle gut beraten, uns nicht von Angst leiten zu lassen, sondern von Solidarität und Zusammenhalt und mit einer Vision anzutreten." Was ist die Vision der Migrations- und Integrationsbeauftragten? "Ich hoffe, dass mein Amt überflüssig wird, und das recht bald, dass wir in einer pluralistischen Gesellschaft leben und es nicht Ihr und Wir gibt."

Quartiermanagerinnen und -manager sind nah dran am Leben in Nachbarschaften: In der Neuen Vahr, sagt Silke Frey, sei "noch nicht viel angekommen" von dem rechten Vorstoß. Mit verstärkter Demokratiebildung wolle man unter anderem die Wahlbeteiligung von zuletzt knapp 42 Prozent steigern. Im Februar solle beispielsweise ein Arbeitskreis "Bürgerbeteiligung" die Arbeit  aufnehmen. Ihre Kollegin Sandra Ahlers in Kattenturm stellt fest, dass das Schlagwort "Remigration" nicht in den Quartiersforen angekommen sei. In der Jugendarbeit "ploppe" das Thema Extremismus immer wieder hoch. "Man tut gut daran, sich mit dem Thema zu befassen, gut zuzuhören und den Dialog zu suchen. Ohne Verständigung entstehen schnell Parallelwelten." Aykut Tasan aus dem Schweizer Viertel in Osterholz stellt fest: "Das macht den Menschen Angst. Und das spielt den rechten Parteien in die Hände. Es gab schon viele Verbote, aber damit wird das Gedankengut nicht ausradiert."

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