In der Beratungsstelle für Beziehungsgewalt herrscht großer Andrang. Der ist so groß, dass das Berater-Trio kaum noch dagegen ankommt. Und deshalb jetzt eine drastische Konsequenz ankündigt.
Gewalt in der Partnerschaft beginnt nicht erst bei Schlägen. Ständige Kontrolle, Beschimpfungen, Demütigungen, Drohungen – meist baut sich häusliche Gewalt in den unterschiedlichsten Formen und über einen längeren Zeitraum auf. Diese Spirale zu durchbrechen, ist erklärtes Ziel von „Neue Wege“, der Beratungsstelle gegen Beziehungsgewalt in Bremen.
Allerdings droht dieser Weg jetzt in einer Sackgasse zu enden. Die drei Mitarbeiter klagen über unzureichende Arbeitsbedingungen. Und kündigen als Konsequenz ihren Ausstieg aus der Beratungsstelle an.
Die Beratungsstelle richtet sich an alle, die von häuslicher Gewalt betroffen sind, also gleichermaßen an Frauen und Männer, erklärt Susanne Bänfer, eine Mitarbeiterin aus dem dreiköpfigen Team der Einrichtung. Wobei sie trotzdem eine klare Unterscheidung trifft: Bei der Frauenberatung handele es sich um Opferberatung, bei den Männern fast immer um Täterberatung.
Etwa die Hälfte der Frauen, die in die Beratungsstelle kommen, habe bereits Gewalt erlebt und würden unter den Folgen leiden, berichtet Susanne Bänfer. „Ebenfalls etwa die Hälfte der Frauen lebt noch in einer gewaltvollen Beziehung und möchte dies ändern.“ Es kämen aber auch Frauen, die sich nicht sicher sind, ob das, was ihnen widerfährt, überhaupt Gewalt ist. Die unsicher seien, etwas an ihrer Situation ändern wollten, aber nicht wüssten wie.
Männer an ihren Grenzen
Genau hier setze die Arbeit der Beratungsstelle an, erläutert Sahhanim Görgü-Philipp, die wie Bänfer die Frauen berät. „Erst mal geht es um Aufklärung. In welcher Situation befindet sich die Betroffene? Was für Rechte, was für Möglichkeiten hat sie?“ Vor allem aber gehe es um eine Frage: „Was möchte der Klient? Wobei sollen wir ihn unterstützen?“
Was ganz genauso für die Männerberatung gilt. Auch Männer suchten die Beratungsstelle in ganz unterschiedlichen Lebenssituationen auf, berichtet Ralf Hillebrandt-Tasmin. Natürlich seien da die gewalttätigen Männer. „Aber es kommen auch Männer, die merken, dass sie gefährdet sind. Die spüren, dass sie an Grenzen geraten und zuschlagen könnten.“ Manche Männer, die zu der Beratung kämen, seien aber auch selbst Opfer von Gewalt.
118 Frauen und 77 Männer suchten 2016 die Beratungsstelle auf. Dorthin gelangten sie auf unterschiedlichen Wegen, erklärt Susanne Bänfer. „Viele von ihnen wurden von der Polizei oder von anderen Behörden geschickt, andere von Bekannten, manche haben uns auch einfach übers Internet gefunden.“ Bei den Männern sei es nicht selten auch die Partnerin, die Druck ausübe, ergänzt Hillebrandt-Tasmin: „Wenn du das jetzt nicht machst, trenne ich mich von dir.“
"Die gefährlichen kommen nicht freiwillig"
Auffallend sei allerdings, dass nur selten jemand von den Gerichten in die Beratungsstelle geschickt würde, etwa als Auflage in Verbindung mit einer Strafe. Nachvollziehen kann Hillebrandt-Tasmin dies nicht. „Denn die wirklich Gefährlichen kommen natürlich nicht freiwillig.“
Dabei könne die äußere Motivation, wie etwa der Zwang einer gerichtlichen Auflage, sich während der Beratung zu einer inneren Motivation wandeln. „Wir haben durchaus Fälle, die erst nur kommen, weil sie müssen, dann aber irgendwann merken, dass ihnen die Beratung gut tut.“ Nicht wirklich überraschend für den Psychologischen Psychotherapeuten: „Viele dieser Männer haben nie mit jemandem geredet, sind oft stark vereinsamt. Hier im Gespräch tauen sie dann auf.“
Die Beratungsstelle kann den Betroffenen zumeist nur eine Art Erstanalyse der Situation bieten. „Unsere Aufgabe ist es, die Betroffenen zu stabilisieren, natürlich auch eine Risikoeinschätzung vorzunehmen und eine erste Rechtsberatung zu bieten“, erklärt Sahhanim Görgü-Philipp die übliche Vorgehensweise.
Eine tiefergehende Beratung wäre theoretisch zwar möglich, scheitere praktisch aber zumeist an den Kapazitäten. Viele Jahre war „Neue Wege“ ein eingetragener Verein, dessen Unterstützungsangebote ausschließlich von Honorarkräften getragen wurden. Seit 2013 fungiert die Reisende Werkschule Scholen als Träger, seit 2015 arbeite das heutige Berater-Trio als fest angestelltes Team, allerdings auf Stundenbasis. Addiert kommen die drei Berater auf weniger als eineinhalb Vollzeitstellen.
Keine Basis für Weiterarbeit
Keine Basis, auf der man dauerhaft weiterarbeiten könne, sagt Ralf Hillebrandt-Tasmin. Eigentlich gelte es, gerade in diesem Bereich der Gewaltprävention nachhaltige Strukturen zu schaffen, betont er. Ressortübergreifend und mit einem schlüssigen Gesamtkonzept.
Doch die Realität in Bremen sehe anders aus, sei geprägt von einer chronischen Unterfinanzierung durch das Land sowie einem Chaos auf institutioneller Ebene. Und dies in Zeiten überfüllter Wartezimmer. „Der Bedarf an Beratung in Bremen ist riesengroß. Wenn das richtig organisiert wäre, würden wir 1000 Klienten im Jahr haben.“
„Wir sehen den steigenden Bedarf und können das einfach nicht mehr übernehmen“, fasst Sahhanim Görgü-Philipp die Situation zusammen. Die ist inzwischen so unbefriedigend für das Berater-Trio, dass es jetzt drastische Konsequenzen ankündigt: „Wir kleckern hier nicht weiter rum. Entweder wird die Beratungsstelle richtig finanziert oder Ende März 2018 ist für uns Schluss.“