Was ist eigentlich aus den Menschen geworden, über die wir vor Jahren einmal berichtet haben? Zum Jubiläum treffen wir einige von ihnen wieder und fragen mal nach.
Bremen im Sommer 1997, Oliver Friedrich hat gerade Abi gemacht, jobbt in einem Modegeschäft in der Obernstraße. R&B findet er cool, Boygroups „eher so nö“. Die Backstreet Boys zum Beispiel, deren Single „Everybody“ gerade überall im Radio dudelt, Take That, all das. Mäßig begeistert ist er deshalb, als sein Nebenjob-Kollege Yassin Jackson von einem Aufruf erzählt: Ein Bremer Musikproduzent will eine Boyband casten. Jung sollen die Männer sein, gut aussehen sollen sie, am besten wie die Backstreet Boys. Friedrichs Reaktion fällt entsprechend verhalten aus: eher so nö. Doch dann geht er hin, „erst mal nur so“, wird genommen. Auch Jackson ist dabei, außerdem Tobias Fendt, Ron Budnick und Philipp Mehrtens. „Wie aus Normalos richtige Stars werden sollen“, titelt damals, im Juli, der WESER-KURIER; in der Unterzeile heißt es: „Bremens erste Boygroup First Love hofft auf Erfolg.“ Die Autorin des Artikels scheint da ihre Zweifel zu haben. „Retortenbabys“ nennt sie die „Jungs“, und sie attestiert: „Sie können zwar nicht singen, sehen dafür aber süß aus und sind enorm sportlich.“

First Love 1997: Yassin Jackson, Tobias Fendt, Oliver Friedrich, Philipp Mehrtens und Ron Budnick.
Doch was wurde danach aus First Love? Drei Jahre, erzählt Friedrich, heute 43, seien sie ziemlich erfolgreich gewesen. Zu viert – Ron Budnick stieg frühzeitig aus – touren die Bremer durch Deutschland, danach ziehen sie in die USA. Apartment in Los Angeles, Hunderte Konzerte, kreischende Fans, ihre Single „Freaky“ im Radio, Chickenwings mit den Backstreet Boys. Drei Jahre geht das so, dann ist er aus, der Traum vom Starsein. Die Kurzfassung, sagt Friedrichs, gehe so: „Das Management hat fatale Fehler begangen – in ein paar Wochen ging alles den Bach runter.“

Heute handelt Friedrich mit Immobilien, Budnick ist Zahntechniker, Tobias Fendt Comicverkäufer, Philipp Mehrtens Partner in einer Unternehmensberatung. Yassin Jackson lebt nicht mehr, 2018, mit Anfang 40, blieb sein Herz plötzlich stehen. „Eine traumatische Erfahrung für meine Kinder und mich“, sagt seine Witwe Jessica. Als sie einander kennenlernen, ist Yassin 18, First Love ist auch ihr Leben, von Aufruf bis Absturz. „Erst war das alles nur eine verrückte Idee, aber dann wurde es viel mehr“, sagt sie. Für sie waren es oft harte Jahre, ihr Mann in der Welt, sie mit ihrer ersten Tochter zu Hause. Trotzdem habe sie ihn immer ermuntert, weiterzumachen. „Wir haben immer rumgesponnen: Was, wenn wir Millionäre werden?“ Es kam anders, reich gemacht hat First Love keinen der Männer, zumindest nicht an Geld, dafür an Erinnerungen. Auf Yassins Beerdigung, erzählt Jessica Jackson, hätten die Gäste zu „Freaky“ getanzt. „Das ist 20 Jahre her, trotzdem begleitet es uns bis heute.“ Und Oliver Friedrich sagt: „Wenn mich jemand fragen würde, ob ich das alles noch mal machen würde, ich würde sofort ja sagen. Das war, trotz allem, die geilste Zeit meines Lebens.“
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Dieser Artikel ist Teil der Sonderveröffentlichung zum 75. Geburtstag des WESER-KURIER. Am 19. September 1945 erschien die erste Ausgabe unserer Zeitung. Anlässlich des Jubiläums blicken wir zurück auf die vergangenen Jahrzehnte: Erinnern uns an die Anfänge unserer Zeitung und auch an die ein oder andere Panne. Und wir schauen nach vorn: Wie werden Künstliche Intelligenz und der Einsatz von Algorithmen den Journalismus verändern? Natürlich denken wir auch an Sie, unsere Leser und Nutzer. Wer folgt unseren Social-Media-Kanälen, wer liest unsere Zeitung? Was ist aus den Menschen geworden, über die wir in den vergangenen Jahren berichtet haben? Und wie läuft er eigentlich ab, so ein Tag beim WESER-KURIER?