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Online-Glücksspiele ab 1. Juli legal Neue Spielregeln

Es ist eine Art historischer Tag für das Glücksspiel in Deutschland. Vom 1. Juli an sind Online-Spiele offiziell erlaubt und damit nicht mehr illegal. Die Branche frohlockt, Suchtexperten haben Bedenken.
29.06.2021, 21:51 Uhr
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Neue Spielregeln
Von Norbert Holst

Mit dem 1. Juli 2021 wird sich der Glücksspiel-Markt in Deutschland maßgeblich verändern. An diesem Tag tritt der Glücksspielstaatsvertrag in Kraft, der den beinahe 15-jährigen Dauerstreit um eine Grundsatzreform beenden soll. Den „Beginn eines neuen Zeitalters“ bejubelt der Deutsche Sportwettenverband. Andere sprechen von einem „Armutszeugnis“, auf den sich die 16 Bundesländer mit ihrem Kompromiss eingelassen haben. Fakt ist: Es ist nicht der erste Staatsvertrag mit Regelungen für die Zockerbranche, aber der mit der bislang weitreichendsten Liberalisierung.

So waren virtuelle Automaten-Spiele, Online-Poker und Casino-Spiele bislang in Deutschland verboten, also illegal. Sportwetten via Internet waren nur unter restriktiven Bedingungen erlaubt. Einzig Schleswig-Holstein machte seit 2012 eine Ausnahme – und avancierte damit zu einer Art Las Vegas des Nordens. Gespielt wurde zwischen Hamburg und Berchtesgaden natürlich trotzdem massenhaft: Das Internet kennt nun einmal keine Grenzen und die Glücksspiel-Portale sind allesamt auf internationales Publikum ausgerichtet.

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Auch der Anbieter „Vulkan Vegas“ präsentiert sich in gleich 13 Sprachen, darunter Chinesisch. Klickt man die Seite an, folgt sogleich die Einladung zum Geldausgeben: Ein Glücksrad dreht sich, es gibt einen Willkommensbonus in Höhe von 200 Euro und satte 125 Freispiele. Gebunden ist dieses Angebot allerdings an einen entsprechend hohen  Einsatz. Seit 2011 ist „Vulkan Vegas“ online und hat sich auf dem Markt fest etabliert. Geboten wird, was das Zockerherz höher schlagen lässt: Roulette, Poker, Live-Casino.  Der Kunde kann auch zwischen Dutzenden von Automatenspiele wählen. Sie heißen  „Ramses Treasure“, „Hyper Gold“ oder „Joker Stoker“ – die Namen sind Programm. Der Firmensitz von „Vulkan Vegas“ ist Limassol auf Zypern. Die Lizenz für das Spielangebot in der EU hat der Anbieter allerdings aus einer ganz anderen Ecke der Welt bekommen: von den niederländischen Antillen – obwohl EU-Recht nur bedingt auf die Inseln anwendbar ist.

Die Zahl der Glücksspiel-Portale im Internet ist kaum noch überschaubar. Darunter sind auch unseriöse Anbieter. Mit den Regelungen im neuen Staatsvertrag sollen die Spieler unter anderem besser vor schwarzen Schafen geschützt werden. Weitere Leitgedanken des Vertrags: Die Suchtprävention soll besser werden und nach dem Alleingang von Schleswig soll es wieder einheitliche Regeln für das ganze Land geben. Ziel der Politik ist es, den Spielbetrieb zu kanalisieren, zu überwachen und in regulierte Bahnen zu lenken.

Für Suchtforscher Tobias Hayer von der Universität Bremen ist der Staatsvertrag ein „fauler Kompromiss“ zu Lasten der Suchtprävention. „Die Anbieter haben im illegalen Bereich Fakten geschaffen, Spielanreize gesetzt und argumentieren nun damit, man müsse einen sogenannten Spieltrieb kanalisieren. Dieses Bedürfnis nach Glücksspielen, das sie eigentlich erst entfacht haben. Da würde ich mich als Politikerin oder als Politiker verschaukelt fühlen.“

Tatsächlich haben sich einige Länder diesem Kompromiss nur schweren Herzens zugestimmt. Auch Bremens Innensenator Ulrich Mäurer reklamiert für sich eine „kritische Grundhaltung“ zum Staatsvertrag. „Es ist eine Entscheidung zwischen Pest und Cholera“, sagt der SPD-Politiker. Letztlich hat der Senator zugestimmt, weil er befürchtete, dass es ohne den Staatsvertrag einen komplett unregulierten Markt gegeben hätte.

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Auch Niedersachsen hat es sich nicht leicht gemacht. Die rot-schwarze Landesregierung von Ministerpräsident Stephan Weil bewertet den Kompromiss als „maximal erreichbaren Kompromiss zwischen den Ländern“. In einer Mitteilung klingt erheblicher Frust durch: „Trotz einiger Erfolge zum Beispiel im Bereich der Zahlungsunterbindung ist es mit den zur Verfügung stehenden Mitteln nicht gelungen, das unüberschaubare Glücksspielangebot im Internet entscheidend einzudämmen.“

Kernpunkte der neuen Regelungen sind klare Vorgaben für die einzelnen Spielangebote und die Kontrolle der teilnehmenden Spieler. Bei den Sportwetten etwa sind künftig Live-Wetten zum Beispiel auf das nächste Tor erlaubt. Sogenannte Ereigniswetten, etwa die nächste Rote Karte für eine Mannschaft, bleiben verboten, um Wettmanipulationen vorzubeugen. Live-Casinos, also Spiele mit echtem Dealer, gelten als besonders verführerisch und sind ebenfalls verboten. Und auch das ist neu: Verschiedene Glücksspiele müssen in getrennten Portalen angeboten werden, um zum Beispiel das Springen zwischen Sportwette und Pokerspiel zu erschweren. Bei Verstößen gegen diese Regeln drohen saftige Strafen in Höhe von bis zu einer halben Million Euro.

Eine ganz neue Welt kommt indes auf die Zocker zu. Sie werden in absehbarer Zeit in einer Sperrdatei, einer Limitdatei und einer Aktivitätsdatei erfasst. In der Sperrdatei werden die Namen von spielwütigen Minderjährigen und wegen Verstößen gesperrten Erwachsenen aufgelistet. Die Limitdatei ist dazu da, einen maximal monatlichen Verlust von 1000 Euro zu überwachen.Eine Aktivitätsdatei soll die parallele Teilnahme an mehreren Internetangeboten verhindern.

Ob das alles die betroffenen Spieler überzeugen wird? Die Verführung ist enorm. So kann man beim internationalen Anbieter gg.bet auf jede Partie der Fußball-Europameisterschaft mehr als 150 verschiedene Wetten abschließen. Auch die Gewinnaussichten sind teilweise nicht ohne: Bei einem Sieg der Ungarn gegen Deutschland beispielsweise hätte die Gewinnquote 1:17,40 Euro betragen.

Der Staatsvertrag fördere zusätzliche Spielanreize und damit ein höheres Suchtpotenzial, kritisiert Glücksspielforscher Hayer. Regelungen wie Sperrdatei, Einzahlungslimit oder Früherkennung reichten nicht. Zumal es auch Ausnahmen bei der maximal monatlichen Einzahlung von 1000 Euro für Online-Glücksspiele geben werde. „Die Branche hat es geschafft, diese Ausnahmeregel durchzuboxen“, sagt Hayer.

Der Forscher spricht sich für ein weitgehendes Werbeverbot aus. Schon jetzt zeige sich im schon früh geöffneten Markt für Online-Sportwetten „was da noch auf uns zukommen wird“, sagt der Wissenschaftler. „Das ist das Gegenteil von Suchtprävention.“ Es sollte erhebliche Werbebeschränkungen für Glücksspiele ähnlich wie für Nikotin und Alkohol geben. Der Psychologe: „Durch die aggressive Vermarktung auch mit prominenten Fußballern wie Oliver Kahn werden diese Produkte gesellschaftsfähig und glorifiziert.“

Dabei ist die Spielsucht bereits jetzt ein weit verbreitetes Problem. Laut Hayer gelten rund 200.000 Menschen in Deutschland als spielsüchtig. Die Zahl der Deutschen, die in unterschiedlicher Ausprägung Probleme durch das Glücksspiel haben, beläuft sich sogar auf knapp eine halbe Million.

Zur Sache

Obwohl gerade eine Glücksspiel-Bundesbehörde in Halle aufgebaut wird, bleibt es bei der Länderhoheit in diesem Bereich. Da mit dem neuen Staatsvertrag die Landesgesetze- und Verordnungen angepasst werden mussten, haben etliche Länder die Möglichkeit genutzt, auch für Spielhallen und Wettbüros teilweise neue Vorgaben zu machen.

Ein Problem, das Politikern, aber auch dem Dachverband der Automatenwirtschaft ein Dorn im Auge ist: Da in Cafés und Schankwirtschaften das Aufstellen von bis zu drei Spielautomaten erlaubt ist, soll es "verkappte" Spielhöllen geben, die sich oberflächlich als Café oder Kneipe "tarnen". Vor allem in Berlin sind sie ein großes Problem, aber auch in Bremen gibt es solche Fälle.

Generell stehen Spielhallen und Wettbüros im Visier der Aufsichtsbehörden. Im Sommer 2020 war die Glücksspielaufsicht zusammen mit Vertretern des Ordnungsamtes unterwegs. Zahlreiche "Gelben Karte" wurden verteilt. Soll heißen: erste Verwarnung.  Im Wiederholungsfall wird es unangenehm, dann drohen empfindliche Geldstrafen. Etwa wenn ein Wettbüro von außen überhaupt nicht einsehbar ist.

Bei den Spielhallen geht es oft um die Einhaltung von Mindestabständen. In Bremen müssen beispielsweise 250 Meter Luftlinie zwischen zwei Spielorten liegen, im benachbarten Niedersachsen sind es indes 500 Meter. Zudem müssen in beiden Ländern Mindestabstände zu Schulen und Jugendeinrichtungen beachtet werden.

Mit der Vergabe der neuen Konzessionen für Online-Anbieter haben die Behörden in Bremen indes nichts zu tun. Dazu heißt es von der Innenbehörde: "Bremen ist für die Erteilung solcher Erlaubnisse nicht zuständig." Laut Staatsvertrag kümmern sich übergangsweise Hessen und Sachsen-Anhalt um die Erlaubnis für Online-Glücksspiele. 2023 soll dann die Bundesbehörde in Halle diese  Aufgaben übernehmen.

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