Losgefahren sind sie am frühen Morgen um 5.30 Uhr in Oberneuland mit einer gehörigen Portion Wut im Bauch. Jetzt, als der WESER-KURIER die Bremer Fahrgemeinschaft auf der Rückfahrt gut acht Stunden später per Handy erwischt, ist die Stimmung eine andere. „Ich glaube“, sagt Eckart Hoehne, „ich glaube, die Botschaft ist angekommen.“ Sein Sitznachbar Carsten Schnakenberg geht sogar noch einen Schritt weiter. „Ich glaube“, sagt Schnakenberg, „dass die Ampelkoalition ihre Entscheidung zurücknehmen muss.“
Hoehne ist Landwirt aus Hemelingen, er betreibt Ackerbau und nennt 5500 Legehennen sein Eigen. Schnakenberg ist Berufskollege, Milchbauer aus Borgfeld mit rund 100 Kühen und 100 Hektar Grünland. Zwischen Abfahrt nach und Rückkehr aus Berlin liegt eine der größten Bauerndemonstrationen, die die Bundeshauptstadt je erlebt hat. Rund 10.000 Menschen und 3000 Trecker hatten sich auf den Weg zum Brandenburger Tor gemacht, um zu demonstrieren. Aus Sicht von Hoehne und Schnakenberg ist das überzeugend gelungen.
Beeindruckend, sagen sie, dass es innerhalb weniger Tage gelungen sei, eine solche Masse zu bewegen. „Die Ampel muss weg“ und „Es reicht“ stand auf Transparenten und auf Plakaten „Finger weg vom Agrardiesel“ und „Grüne Wiesen, Vieh und Felder opfert ihr für Steuergelder“.
Bauern sollen auf knapp eine Milliarde Vergünstigungen verzichten
Die Bundesregierung verlangt von den deutschen Bauern, dass sie auf knapp eine Milliarde Euro an Vergünstigungen verzichten sollen. Die Regierung ist zum Sparen gezwungen, nachdem das Bundesverfassungsgericht den Nachtragshaushalt für das Jahr 2021 für verfassungswidrig und nichtig erklärt hatte. 17 Milliarden Euro insgesamt müssten laut Finanzminister Christian Lindner von der FDP eingespart werden.
Im Moment können sich Landwirte noch 21,48 Cent pro Liter Diesel zurückholen, wenn sie einen entsprechenden Antrag bei der Zollverwaltung stellen. Ihre Fahrzeuge – Trecker oder Mähdrescher zum Beispiel – sind überdies von der Kfz-Steuer befreit. Beide Regelungen sollen künftig wegfallen.

„Ich glaube, die Botschaft ist angekommen", sagt Eckart Hoehne, Landwirt aus Hemelingen.
Zwischen 18.000 und 20.000 Liter Diesel tankt Bauer Hoehne nach eigener Aussage jedes Jahr, zwei Schlepper, ein Radlader und sechs Anhänger gehören zu seinem Fuhrpark. 4500 Euro würde ihn allein das Ende des Agrardiesels kosten, sagt er. Eine weitere vierstellige Summe würde dazu kommen, wenn die Steuerbefreiung für die Fahrzeuge wegfiele. 10.000 Euro, schätzt Schnakenberg, würden ihn die Pläne der Ampelkoalition kosten.
„Wir nehmen das nicht hin“, sagte Bauernpräsident Joachim Rukwied unter dem Applaus der Demonstranten, von denen mehr als 2000 aus Bremen und Niedersachsen in Bussen und Autos, im Zug und auf Treckern gekommen waren. Er sprach von „unzumutbaren Vorschlägen“ und drohte Proteste an, wie sie „das Land noch nicht erlebt“ habe, sollten die Pläne bis zum 8. Januar nicht komplett zurückgenommen sein. „Es reicht, zu viel ist zu viel“, rief Rukwied.
Es reicht, das finden auch die Bremer Landwirte. Er sei geschockt, sagt Hoehne, dass die Ampelkoalition ihre Pläne so knallhart durchziehe. Mehrere Denkfehler machen die Bauern bei den Koalitionsspitzen aus. Ein Beispiel: Einerseits sollten Landwirte den Einsatz von chemischen Pflanzenschutzmitteln reduzieren. „Das bedeutet dann aber, dass ich häufiger auf die Felder fahren muss, wenn ich es mechanisch machen soll“, sagt Hoehne. Dadurch jedoch werde mehr statt weniger Sprit verbraucht.

„Ich glaube, dass die Ampelkoalition ihre Entscheidung zurücknehmen muss“, sagt Carsten Schnakenberg, Landwirt aus Borgfeld.
Mit Spannung hatten die Bauern den Auftritt von Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir erwartet. „Ich weiß, dass Sie mit einer Riesenwut hier nach Berlin gekommen sind“, sagte der Grünen-Politiker. „Ich halte nichts von den Streichungen in diesem Umfang. Deshalb kämpfe ich im Kabinett dafür, dass es in dieser Härte nicht kommt.“ Das wiederum nahmen viele der Demonstrierenden dem Minister nicht ab. Özdemirs Rede wurde mehrfach von Pfiffen und Zurufen unterbrochen. „Der Minister hat sich sichtlich unwohl gefühlt“, sagt Christian Kluge. Der Geschäftsführer des Bremer Bauernverbandes war ebenfalls in Berlin.
Rückendeckung bekommen die Bauern von der Opposition. CSU-Generalsekretär Martin Huber sagte: „Ohne jede Rücksicht bringt die Bundesregierung die deutschen Bauern in Existenznot.“ Anders sehen es die Umweltorganisationen. „Bei allem Verständnis für die Bäuerinnen und Bauern“, sagt etwa Martin Hofstetter, Landwirtschaftsexperte bei Greenpeace, „Agrardiesel staatlich zu verbilligen ist teuer, klimaschädlich und gehört abgeschafft.“ Anders als vom Bauernverband behauptet, werde das Ende der Dieselsubventionen kein massives Höfesterben zur Folge haben. Dem widerspricht Niedersachsens Bauernpräsident Holger Hennies: „Für viele Betriebe ist das ein Signal, schlechter gestellt zu werden als unsere europäischen Nachbarn. Es geht auf die Dauer direkt vom Einkommen ab.“
4500 Euro beim Dieselverbrauch einzusparen, sagt Ackerbauer Hoehne, sei ein Ding der Unmöglichkeit. „Wir haben die Fahrzeuge ja nicht auf dem Hof stehen, weil sie so schön aussehen, sondern weil wir jedes Einzelne davon brauchen.“