Wenn im politischen Raum über die Zukunft der medizinischen Versorgung diskutiert wird, geht es meist um die Krankenhäuser. Sind sie ausreichend finanziert? Muss der stationäre Bereich insgesamt anders aufgestellt werden? Berechtigte Fragen, aber aus Sicht der niedergelassenen Mediziner gerät die ambulante Versorgung dabei ein wenig aus dem Blick. Denn auch dort gibt es große Herausforderungen. Es mangelt an Ärzten und Assistenzpersonal, und die Praxen werden häufig von Patienten angesteuert, die eigentlich andere Ansprechpartner bräuchten.
Die Kassenärztliche Vereinigung Bremen (KVHB) wollte es nicht mehr bei der Klage über die widrigen Bedingungen belassen. Bei einer Auftaktveranstaltung im Dezember und einem Workshop am 6. März haben sich niedergelassene Ärzte und ihre nicht-medizinischen Beschäftigten Gedanken darüber gemacht, wie sich konkrete Verbesserungen für den Alltag in den Praxen erreichen lassen. Das Resultat ist ein Papier mit 17 Forderungen. Sie richten sich zum Teil an die Bundesebene, sofern es um den gesetzlichen Rahmen geht, aber auch an die politisch Verantwortlichen vor Ort. „Letztlich geht es um die Frage: Wie macht man eine gute Gesundheitspolitik unter dem Eindruck des Diktats der Knappheit“, bringt es der Kinderarzt Stefan Trapp auf den Punkt. Er ist Vorsitzender der KV-Vertreterversammlung. Die wichtigsten Punkte aus dem Forderungskatalog lauten:
Qualifizierte Überweisung: Schon lange krankt die ambulante Versorgung an einer „ungesteuerten Inanspruchnahme“ ärztlicher Leistungen, wie es in dem Thesenpapier heißt. Soll heißen: Längst nicht jeder, der eine Haus- oder Facharztpraxis aufsucht, braucht tatsächlich das diagnostische und therapeutische Angebot, das dort vorgehalten wird. „Etwa ein Viertel der Leute kommt eigentlich mit sozialen Fragen“, sagt der stellvertretende KV-Chef Peter Kurt Josenhans. Da geht es dann beispielsweise um Konflikte mit Behörden oder Anforderungen von Schulen. Das bindet Behandlungskapazitäten. Gerade der fachärztliche Bereich soll deshalb mit einer qualifizierten, das heißt wirklich verbindlichen Überweisung durch Hausärzte gegen solche Fehlanforderungen abgeschirmt werden. Eigentlich ist den Hausärzten auch heute schon eine Lotsenfunktion im ambulanten Sektor zugewiesen. Doch die wird oft unterlaufen, „weil es praktisch keine Sanktion gibt“, wie KV-Sprecher Christoph Fox weiß. Mit einem höheren Grad an Verbindlichkeit wäre das anders, so die Erwartung. Die Hausärzte selbst müssten nach den Vorstellungen wiederum von nicht-medizinischen Aufgaben entlastet werden. Gefragt seien kommunale Angebote an der Schnittstelle von ambulanter Versorgung und Sozialarbeit in den Quartieren. Als Vorbild nennt die KV das Liga-Gesundheitszentrum in Gröpelingen.
Sprachmittlung in den Praxen: Eine entlastende Wirkung für die niedergelassenen Ärzte würde aus Sicht der Kassenärztlichen Vereinigung auch von einem Übersetzungsdienst ausgehen, der während der Praxis-Sprechzeiten kostenfrei telefonisch zur Verfügung steht. Denn wenn sich der Dialog zwischen Arzt und Patient zäh gestaltet, weil es Verständigungsschwierigkeiten gibt, kostet auch das Zeit und Mühe. Der Appell der KV lautet: Das Land Bremen und seine beiden Städte sollen einen solchen Service bereitstellen.
Zugangssteuerung: Die Inanspruchnahme von Ärztlichem Bereitschaftsdienst, Klinikambulanzen und Rettungsdiensten hat in den vergangenen Jahren drastisch zugenommen – vor allem weil dort viele Bagatellfälle auflaufen. Die Forderung lautet deshalb: Das Instrument der strukturierten medizinischen Ersteinschätzung (SMED) soll beim Zugang zum Ärztlichen Bereitschaftsdienst verbindlich zum Einsatz kommen. Dieses internetgestützte „Patienten-Navi“ stellt dem Hilfesuchenden Fragen für eine erste schnelle Abklärung des Behandlungsbedarfs und seiner Dringlichkeit. Im St.-Joseph-Stift, wo es einen kombinierten Tresen von klinischer Notaufnahme und Ärztlichem Bereitschaftsdienst gibt, sollen voraussichtlich im Sommer zwei SMED-Terminals aufgestellt werden.
Gesundheitsbildung: In den Schulen soll die Gesundheitsbildung verbessert werden. Neben Themen wie Ernährung, Lebensführung und Prävention soll es dabei auch darum gehen, Kenntnisse zu Einrichtungen des Gesundheitswesens zu vermitteln. Also auch zu der Frage: In welchen Fällen wende ich mich jeweils an Praxen, Krankenhäuser, Rettungsdienst und Ärztlichen Bereitschaftsdienst?
Nachwuchsförderung: Die Medizinischen Fachangestellten (MFA) sind unverzichtbares Assistenzpersonal in den Praxen. Der Mangel verschärft sich allerdings, weil MFAs massiv von Krankenhäusern oder Pflegeeinrichtungen abgeworben werden. „Hier muss das Land Bremen dringend nachsteuern und zusätzliche Ausbildungsstellen und Angebote für die Ausbildung und Weiterqualifizierung schaffen“, heißt es in dem 17-Punkte-Papier. Im ärztlichen Bereich sieht die KV weiterhin die Notwendigkeit eines vollwertigen Studiengangs Humanmedizin in Bremen, gegebenenfalls in Kooperation mit anderen medizinischen Fakultäten in der weiteren Region. Für niederlassungsbereite Mediziner soll es ein Bündel an Starthilfen geben, etwa Subventionen für Kauf oder Miete von Praxisräumen.
Ausdrückliches Ziel der Kassenärztlichen Vereinigung ist es, mit der Politik über den Forderungskatalog ins Gespräch zu kommen. Für den 24. April ist eine hochkarätig besetzte Podiumsdiskussion geplant. Dazu werden unter anderem Gesundheitssenatorin Claudia Bernhard (Linke), die stellvertretende Vorsitzende des Bundestags-Gesundheitsausschusses Kirsten Kappert-Gonther (Grüne) und die gesundheitspolitischen Sprecher der Bürgerschaftsfraktionen erwartet.