Es sieht wüst aus im zweiten Stock. Alte Holzbalken lehnen an der Wand, aus denen große Nägel ragen. Auf dem Boden abgerissene Wandverkleidungen, Bauschutt und Pappen, dazwischen Werkzeuge, Trinkflaschen, Tapetenreste. „Der Raum war schon zweimal komplett voller Schutt, den wir inzwischen entsorgt haben“, sagt Lilja Girgensohn. „Wir“ – das sind die aktiven Mitglieder der Genossenschaft Horner Eckhaus, in dessen Vorstand Girgensohn sitzt. Erst vor einem halben Jahr haben sie das Gebäude im Viertel gekauft, seitdem laufen die Vorbereitungen für eine umfangreiche Sanierung des Altbaus von 1899.
Es ist in gewisser Weise eine Rettungsaktion, auch für das Gebäude, aber vor allem für die dort seit Jahrzehnten beheimatete Eckkneipe, eben das Horner Eck. Eigentlich schon die zweite Rettung, denn als der Gründer und Wirt Enno Barfs die Kultkneipe 2018 nach rund 35 Jahren aufgab, wurde sie schon einmal durch eine Genossenschaft wiederbelebt. Rund 60 Leute fanden sich dafür ab 2019 zusammen, vor allem Stammgäste und Nachbarn. Der Erhalt des Viertel-Treffpunkts stand im Vordergrund, nicht der Gewinn. Gleichwohl sollte die Kneipe unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten ordentlich betrieben werden, sich selbst tragen und die Mitarbeiter hinter dem Tresen korrekt bezahlt werden.
Am Ende kostete der sanierungsbedürftige Altbau 580.000 Euro
Deshalb wurde die Genossenschaft Horner Eck gegründet. Sie übernahm als Mieter das Kneipengeschäft. Als dann 2023 der Eigentümer des Hauses das ganze Gebäude verkaufen wollte, sahen sich das Horner Eck und die noch junge Kneipen-Genossenschaft ein zweites Mal bedroht. Die größte Befürchtung: Ein Investor als Käufer reißt das ganze Gebäude nebst Erweiterung aus den 1970er-Jahren ab und baut an dieser Stelle, mitten im gefragten Bremer Viertel, neue Eigentums- oder Mietwohnungen, die lukrativ vermarktet werden. Dann wäre es vorbei mit dem Charme der alten Eckkneipe.
Kurzerhand wurde eine weitere Genossenschaft Horner Eckhaus aus der Taufe gehoben, mit einem ganz besonderen Plan: Durch Genossenschaftsanteile und viele kleine Direktkredite ohne Bankenbeteiligung sollte möglichst viel Eigenkapital für einen Kauf aufgebracht werden. Ein ambitioniertes Unterfangen, denn rund 750.000 Euro standen ursprünglich auf dem Preisschild. Doch der Coup gelang, auch weil viele Begehungen und Gutachten hohen Sanierungsbedarf erkannten, sodass am Ende 580.000 Euro im Kaufvertrag standen.

Wohnraum im Anbau aus den 1970er-Jahren: Noch viel Arbeit erforderlich.
Nicht zuletzt stand der Vorbesitzer den Aktivitäten der Genossenschaften prinzipiell wohlwollend gegenüber: Er gewährte Zeit und ein Vorkaufsrecht, bis genügend Genossen und Geld vorhanden waren. Die Summe konnte schließlich tatsächlich ohne Finanzierung durch eine Bank mittels zahlreicher Kleinkredite aus privater Hand eingesammelt werden. Im Oktober 2024 wurde der Kaufvertrag unterschrieben. Ab Januar dieses Jahres konnten die Genossen übernehmen.
Seitdem arbeiten sie an der Sanierung des verschachtelten Eckgebäudes, denn das ursprüngliche Haus und die Erweiterung bilden eine eigenwillige Architektur. Das fängt schon damit an, dass der Anbau ursprünglich über gar keinen Eingang verfügte. „Neben der Kneipe war eine kleine Wohnung für den Wirt, da kam man aber nur durch die Gaststätte hinein“, sagt Amanda Küster, die nicht nur Genossenschaftsmitglied ist, sondern auch Architektin. Hier soll die Kneipe mit einem Gesellschaftsraum erweitert werden. „Der kann für Veranstaltungen und Feiern genutzt werden, auch als Gemeinschaftsraum für die Nachbarschaft“, erklärt sie.

Treppe im Altbau: Hinter der Kneipe verbirgt sich ein ziemlich verschachteltes Gebäude.
Über eine verwinkelte Treppe führt der Weg ins Obergeschoss, wo die beiden Genossenschaften für Kneipenbetrieb und Hausverwaltung ein Büro haben. Daneben liegt ein kleines Apartment, das als Gästeunterkunft dient. „Hier schlafen auswärtige Künstler, die in der Kneipe auftreten, oder unsere Residenzler“, sagt Girgensohn. Denn die Kneipengenossenschaft finanziert kleine Kunststipendien in Form von Residenzen: Für einen Monat ziehen Künstler nach Bremen, um in der Kneipe Kunst zu schaffen und auszustellen. Ein Fotograf aus dem Kongo war schon da, freischaffende Künstler aus Helsinki und Prag fanden so den Weg nach Bremen.
Noch ein Stockwerk höher erstreckt sich dann eine große Wohnung etwas verwirrend über die ganze Gebäudefläche und eine weitere Etage. In der Erweiterung aus den 1970er-Jahren liegt sie im zweiten Stock, im Altbau – einige Stufen versetzt – bildet sie den ersten Stock, direkt über der Kneipe. „Die Geschosse im Altbau sind wesentlich höher“, erklärt Küster.

Die Sanierung hat begonnen: ”Der Raum war schon zweimal bis oben hin voll mit Bauschutt”, sagt Lilja Girgensohn.
Die Wohnung will die Haus-Genossenschaft sanieren und dann regulär vermieten, um nicht allein von der Kneipenpacht existieren zu müssen. Wohnen soll dort am Ende aber immer der Vorstand der Hausgenossenschaft. Aus Girgensohns Sicht kein Privileg, sondern Verpflichtung. „Wer hier wohnt, wird sich immer um alles kümmern müssen, was das Haus betrifft.“ Das sind neben den praktischen Aufgaben in einem Altbau von 1899 in erster Linie die mehreren Hundert Kreditgeber der Genossenschaft, die Zinsen und Tilgung erwarten. Dazu kommt wohl doch noch ein größerer Kredit von der Bank, denn bislang ist zwar der Gebäudekauf finanziert, nicht aber die Sanierung. „Wir kalkulieren dafür aktuell erst mal knapp mit rund 250.000 Euro.“