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Arbeitswelt New Work ist mehr als Homeoffice und Tischfußball

Corona hat der Arbeit im Homeoffice einen Schub verliehen. Soll das New Work, die schöne, neue Arbeitswelt sein? Falls dem so ist, ist New Work nur ein Modell für einen ausgewählten Zirkel, meint Marc Hagedorn.
31.12.2022, 05:00 Uhr
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New Work ist mehr als Homeoffice und Tischfußball
Von Marc Hagedorn

New Work ist eine große Sache, so viel steht schon mal fest. Wer den Begriff bei Google eingibt, bekommt mehr als 15 Milliarden Treffer angezeigt. Experten sprechen von einem „Megatrend“.

Allerdings gibt es auch eine ziemliche Begriffsverwirrung, wenn die Sprache auf New Work kommt. Von einem „Containerbegriff“ spricht der Fachautor Markus Väth. Jeder legt hinein, was er möchte, und so scheint alles, was sich in der Arbeitswelt gerade verändert, New Work zu sein. Wenn der Chef zum Grillen einlädt. Wenn die Belegschaft in der Mittagspause am Tischkicker ein Turnier veranstaltet. Und natürlich wenn Homeoffice die Präsenzpflicht im Büro ablöst und Gleitzeit den gewohnten Neun-bis-17-Uhr-Rhythmus.

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Das ist alles nicht ganz falsch, trifft aber auch nicht den Kern. Der Sozialphilosoph Frithjof Bergmann hat den Begriff New Work Ende der 1970er-Jahre als eine gesellschaftliche Utopie geprägt. Eine seiner Annahmen: Arbeit sei mehr als reines Mittel zum Überleben und Geldverdienen.

New Work in den 2020er-Jahren greift diesen Aspekt auf. Die reine Lohnarbeit verliert für viele Erwerbstätige – vor allem für Menschen im Alter unter 40 – an Relevanz, wie das Meinungsforschungsinstitut You-Gov herausgefunden hat. Demnach gab fast jeder zweite Vollzeitbeschäftigte an, lieber in Teilzeit arbeiten zu wollen. Und drei von vier Beschäftigten wünschten sich die Einführung einer Vier-Tage-Woche.

Diesen (Werte-)Wandel muss ein System erst einmal verdauen, das jahrzehntelang auf Fünftagewochen und Achtstundentage gebaut hat und damit erfolgreich gefahren ist. Für die Forscher des Zukunftsinstituts gibt es kein Zurück. Sie schreiben: „Die klassische Karriere hat ausgedient, die Sinnfrage rückt in den Vordergrund.“ Klassische Entscheidungskriterien für eine Stelle wie Gehalt und Position verlieren an Bedeutung gegenüber flachen Hierarchien, persönlichen Entwicklungsmöglichkeiten und Familienfreundlichkeit. New Work, richtig verstanden, stellt die Bedürfnisse der Mitarbeiter ins Zentrum.

Der Weg dorthin ist weit, für Unternehmen wie für die Beschäftigten. Für jedes Pro von New Work gibt es auch ein Kontra, das hat nicht zuletzt die Corona-Pandemie gezeigt. Homeoffice etwa erhöht die Gefahr, dass Grenzen zwischen Familie, Freizeit und Arbeit ungesund verschwimmen. Auch die Vorstellung, stärker als bisher sein eigener Herr sein zu können, ist nicht jedem geheuer.

Zudem offenbart der aktuelle Umgang mit New Work eine Schwäche. New Work wird bisher fast ausschließlich dort diskutiert, wo Menschen arbeiten, die am Schreibtisch sitzen. So gedacht, ist New Work ein Modell für einen ausgewählten Zirkel, für die Bürowelt.

Um Erzieherinnen in Kitas, Arbeiter in Werkshallen, Mitarbeiter in Supermärkten, Pflegekräfte in Krankenhäusern oder Personal in Bussen und Bahnen geht es eher selten, um nicht zu sagen nie, wenn von New Work die Rede ist. Dabei galten genau diese Berufsgruppen während Corona noch als „systemrelevant“, als diejenigen, die den Laden am Laufen halten. Aber wie lange wird der Laden noch laufen, wenn in der Pflege bis 2035 fast eine halbe Million Kräfte fehlen sollen, wie das Institut der Deutschen Wirtschaft errechnet hat? Was wird aus der Verkehrswende, wenn rund 100.000 neue Stellen in der Branche bis 2030 nicht besetzt werden können?

Man kann manche Ausprägung von New Work als Mode abtun. Was sich nicht ignorieren lässt, sind die Fakten. Deshalb dürfte es sich lohnen, Elemente wie Freiheit, Sinnhaftigkeit, Selbstverantwortung oder Flexibilität genauer als bisher auch für Berufsgruppen in den Blick zu nehmen, bei denen Homeoffice nicht möglich ist und Schichtarbeit unverzichtbar.

New-Work-Experte Väth berichtet von einem Feldversuch. Die Berliner Verkehrsbetriebe haben ihren Reinigungskräften mehr Autonomie gegeben. Das Unternehmen hat den Beschäftigten zugestanden, selbstständig ihre Teams ein- und die Arbeits- und Urlaubszeiten aufzuteilen. Das Ergebnis: Die Zahl der Krankheitstage schrumpfte, die Attraktivität als Arbeitgeber wuchs.

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