Es lag wohl nicht zuletzt an den Aussagen der beteiligten Handels-, Handwerks- und Arbeitnehmerkammer, dass es beim Wahl-Talk des WESER-KURIER in der Bürgerschaft hauptsächlich um die Themen Wirtschaft, Arbeit, Steuern und Investitionen ging. Aber natürlich wurden die Bremer Spitzenkandidaten Ulrike Hiller (SPD), Kirsten Kappert-Gonther (Grüne), Thomas Röwekamp (CDU), Volker Redder (FDP), Doris Achelwilm (Linke) und Sergej Minich (AfD) von dem Berlin-Korrespondenten des WESER-KURIER Markus Peters sowie Chefredakteur Benjamin Piel auch zur inneren Sicherheit und Migrationspolitik befragt.
Neben vielfach bekannten Positionen gab es im Laufe der über zweistündigen Runde vor rund 200 Zuhörern auch einige unerwartete Aussagen. So gestand Röwekamp der vormaligen Ampelregierung zu, nicht an der aktuellen wirtschaftlichen Strukturkrise Schuld zu sein. Die habe tiefere Ursachen, die länger als drei Jahre zurückreichten. Hiller schloss sich wiederum als Einzige auf dem Podium Röwekamps Forderung zur anlasslosen Speicherung von IP-Adressen im Internet an. Redder bezeichnete eine Reform der Schuldenbremse zwar als „letztes Mittel“, aber schloss sie nicht absolut aus.

Was zum Thema Wirtschaft gesagt wurde:
Röwekamp machte vier Faktoren für die aktuelle Rezession verantwortlich: zu hohe Energiekosten, zu viel Bürokratie, zu hohe Arbeitskosten und zu hohe Steuern. Alles zusammen bremse die Entwicklung. „Und um diese Hindernisse zu lösen, braucht es nicht in erster Linie mehr Staatsknete, sondern weniger Regulierung.“ Eine ähnliche Einlassung kam von Redder, der mehr Freiraum für Unternehmen forderte. Es sei inzwischen soweit, dass selbst Unternehmer nicht mehr investierten, weil sie auf staatliche Intervention setzten. „Dieses Mindset zu verändern, ist auch Teil der Wirtschaftswende.“
Kappert-Gonther plädierte für Investitionen in den Klimaschutz und die Infrastruktur, sowohl staatlich als auch aus privater Hand. „Dafür brauchen die Unternehmen natürlich Planungssicherheit.“ In diesem Zusammenhang angesprochen auf die Äußerung von Alice Weidel, man werde alle Windräder niederreißen, sprach Minich von einer Übersubventionierung, die es abzubauen gelte. „Ein Windrad, das sich nur durch Staatsgeld rechnet, muss weg.“
Was zur Schuldenbremse gesagt wurde:
Grundsätzlich verteidigt hat die Schuldenbremse nur der AfD-Vertreter. „Sie verhindert linke Träumereien auf Staatskosten.“ Die AfD wolle Bürger und Unternehmer zudem radikal steuerlich entlasten, dafür beim Bürgergeld sparen, insbesondere wenn weniger Flüchtlinge zu versorgen seien. Für den liberalen Redder ist die Schuldenbremse „kein Glaubensbekenntnis“, aber eine Reform nur die „letzte Möglichkeit“, wenn man zuvor alle anderen Möglichkeiten genutzt habe. Röwekamp flankierte diese Haltung mit dem Hinweis auf rund eine Billion Euro Steuermittel, die der Staat Jahr für Jahr einnehme. „Es muss doch möglich sein, mit diesem Geld auszukommen.“
Anders die Kandidaten von SPD, Grünen und Linken: Sie alle hielten eine Reform der Schuldenbremse für unumgänglich, um notwendige staatliche Investitionen finanzieren zu können. Achelwilm brachte auch die Vermögens- und Erbschaftssteuer ins Spiel. Sie verstehe gar nicht, warum private Milliardenvermögen immer verteidigt werden. „Das Geld ist meist nicht von den Besitzern erwirtschaftet worden.“ Der Wegfall der Vermögenssteuer habe allein für Bremen Einnahmeverluste von zwei Milliarden Euro bedeutet.
Was zum Bürokratieabbau gesagt wurde:
André Grobien, Präses der Handelskammer, hatte den Fokus auf diesen Aspekt gelegt und erntete durchgehende Zustimmung, allerdings mit unterschiedlichen Akzenten. Röwekamp sah ein grundsätzliches Misstrauen des Staates, der darum den Unternehmen übertriebene Dokumentationspflichten aufdrücke. Redder machte vor allem EU-Vorgaben verantwortlich, die Deutschland aber stets in Deluxe-Ausführung umsetze. Auch Achelwilm sah einen „Grenznutzen“, wenn mittelständische Unternehmen bis zu 1000 Datenpunkte angeben sollten, etwa beim Lieferkettengesetz. Hiller machte auf einen Praxischeck aufmerksam, den die Ampel-Regierung eingeführt habe, wenn es neue Gesetze gebe, die Unternehmen neue Pflichten auferlege. „Aber ganz ohne Dokumentation geht es bei vielen Themen nicht.“
Was zur inneren Sicherheit gesagt wurde:
An mehreren Stellen der Debatte wurde ein verändertes Sicherheitsgefühl der Bevölkerung beklagt. Die Sozialdemokratin Ulrike Hiller machte auch die Abfolge von Pandemie und Ukrainekrieg dafür verantwortlich. „Diese Ereignisse haben viele insgesamt erschüttert.“ Doris Achelwilm sieht auch die fortwährende Verstärkung einzelner Ereignisse durch soziale Medien als Grund für ein schlechteres Sicherheitsgefühl. Konkret wurde es beim Thema Vorratsdatenspeicherung, die FDP, Grüne, Linke und AfD in seltener Einmütigkeit ablehnten.
Wie der Talk bei Wählerinnen und Wählern ankam

Yvonne Gnutzmann (44) aus Findorff: ”Ich habe jetzt noch einmal ein bisschen reingehört, was die Spitzenkandidaten sagen. Bisher ist meine Meinung ziemlich gefestigt, und es hat sich heute auch wieder bestätigt. Ich habe mich zuvor noch nie so mit Politik auseinandergesetzt. Jetzt ist es an der Zeit, dass wir alle miteinander wieder ein bisschen politischer werden. Vielleicht liegt es auch am Alter ... Man wird hellhörig, guckt: Was sind die Kernaussagen und was steckt da eigentlich auch tatsächlich dahinter? Man muss immer fragen: Warum macht jemand etwas nicht? Ob es sich gelohnt hat? Auf jeden Fall war es interessant. Dass es sich gelohnt hat, würde ich nicht sagen, nein. Ich muss niemanden von der AfD dabeihaben.”
Christina Kuhaupt
Björn Tuchscherer (55) aus der Überseestadt: ”Ich fühlte mich vorher auch schon ganz gut informiert, aber es hat sich gelohnt, es war ein netter Abend. Ob ich etwas Neues erfahren habe? Naja, wer sich ein bisschen mit den Wahlprogrammen beschäftigt, erfährt nicht wirklich Neues, aber die Kandidaten noch mal live zu hören, und nicht nur den ausformulierten Politik-Sprech, das war schon ganz gut. Und auch, noch einmal zu sehen, wer wo wie gut vorbereitet ist, wer aus dem Parteiprogramm zitiert oder wer es auch mit eigenen Worten ordentlich beschreiben kann.”
Christina Kuhaupt
Eduard Gross (29) aus Walle: ”Ob ich jetzt etwas weiß, das ich vorher nicht gewusst habe? Nein, tatsächlich nicht, würde ich sagen. Tatsächlich war aber inhaltlich alles ziemlich gleich - ich wollte mich vor allem mal auf Länderebene informieren, aber es ist ziemlich gleich wie auf Bundesebene, da gab es wenig Abweichungen, nicht viel Neues. Da sehe ich gar nicht so viele Unterschiede zwischen den Parteien, abgesehen von der AfD natürlich. Mit den Programmen hatte ich mich vorher weniger beschäftigt, aber ich habe mich bundesweit umgesehen.”
Christina Kuhaupt
Asta Blumenröder (57) aus der Neustadt: ”Es war interessant, die unterschiedlichen Positionen mitzubekommen. Ich habe das schon als authentisch wahrgenommen. Ich fand auch Herrn Röwekamp gut, lebendig, rhetorisch fit. Aber letzten Endes war es auch nichts Neues, nicht überraschend. Ich bin meiner Idee treugeblieben. Ich frage mich, wenn es denn zu einer Entscheidung kommt am 23., wie diese doch sehr unterschiedlichen Positionen sich miteinander verbinden oder koalieren. Das stelle ich mir schwierig vor. Es ist zwar Wahlkampf, aber man merkt ja schon, es muss gehandelt werden, es muss was passieren. Und da frage ich mich, wie das denn geschehen soll mit der Ungeduld, die da ist.”
Christina Kuhaupt
Clemens Stief (80) aus Borgfeld: ”Mir hat der Abend eigentlich eine Bestätigung gebracht bei einer Wahlentscheidung, die ich vorher schon getroffen hatte. Das hatte ich mir tatsächlich auch erhofft von dem Abend. Es war interessant, die einzelnen Kandidaten mal live zu erleben. Überraschend war aber eigentlich wenig. Ich beschäftige mich ja sehr mit Politik, und man kennt das im Prinzip alles. Also insofern ... Was mich ein bisschen gestört hat, ist, dass Volker Redder ein paar Mal unterbrochen worden ist. Okay, er hat manchmal zu weit ausgeholt und lang geredet, aber andere haben auch lang geredet.”
Christina Kuhaupt
Fred Schwenzer (57) aus der Neustadt: ”Das war sehr interessant, fand ich. Ich habe im ersten Teil, während der ersten Stunde, gestaunt über die Eloquenz der Politiker-Antworten. Und dann war ich doch überrascht über die Qualität der Aussagen, besonders im zweiten Teil. Zuerst, fand ich allerdings, entsprachen die Antworten oft nicht der Komplexität der Fragen, da waren schon Plattitüden dabei, ja, da haben manche schon versucht, billig davonzukommen. Aber im zweiten Part wurde es auf jeden Fall schon sehr viel interessanter.”
Christina Kuhaupt