Ein Betrugsopfer, das keines sein will – das war die Überraschung am Mittwoch im Prozess gegen Niels Stolberg.
An diesem Tag geht es um den härtesten Vorwurf gegen Niels Stolberg und einen weiteren Angeklagten im Beluga-Prozess vor der Großen Wirtschaftsstrafkammer des Bremer Landgerichts: Schwerer Betrug, das Strafmaß beträgt bis zu zehn Jahre Haft. Stolberg soll mit einem seiner Manager einen Reeder aus Hamburg über den Baupreis von vier Schiffen getäuscht haben, die sie dem Unternehmer überlassen hatten.
Überraschend, dass das vermeintliche Betrugsopfer es völlig anders sieht. „Der Baupreis war mir egal, solange ich mit den Schiffen eine auskömmliche Charterrate erzielen konnte“, sagt der Reeder vor Gericht. Im Verhältnis zu Beluga sei bis zuletzt alles bestens gewesen. Und Stolberg? „Ein sehr guter Geschäftspartner, der seinen Verpflichtungen immer nachgekommen ist.“
Der Zeuge, 68 Jahre alt und in seiner Reederei, einem 150 Jahre alten Familienunternehmen in Finkenwerder, nach eigenen Worten nur noch beratend tätig, hat erkennbar Mühe, den Sinn der Anklage zu ergründen. Sie ist für ihn offenbar mehr oder weniger substanzlos, denn: „Das war sein gutes Recht, dass Stolberg von der Werft Kommissionen gefordert hat. Der macht so ein Geschäft ja nicht für null.“
Erheblicher Vermögensschaden
Das ist der Kern der Anklage: Stolberg hat in China vier Schiffe zu einem Gesamtpreis von 118 Millionen Euro in Auftrag gegeben. In Rechnung gestellt wurden von den Chinesen tatsächlich zehn Millionen weniger, in amerikanischer Währung – eine Kommission von 2,5 Millionen US-Dollar pro Schiff. Dem Reeder aus Hamburg soll Stolberg das verschwiegen haben, als der ihm die Schiffe, die noch im Bau waren, zu dem ursprünglichen Preis abkaufte.
Dem Käufer sei damit ein erheblicher Vermögensschaden entstanden, argumentiert die Staatsanwaltschaft. Falsch, sagt der Reeder: „Mit der Charter, die Beluga garantiert hat, war ich fein raus.“ Baupreis: egal. Wichtig nur, dass die beiden Größen – Charter und Baupreis – so zueinander stehen, dass die Kosten der Finanzierung gedeckt sind und am Ende auch etwas übrig bleibt.
So schlicht und einfach soll das gewesen sein? Die Staatsanwaltschaft glaubt es nicht. Sie hält dem Reeder vor, was er in den Vernehmungen vor dem Prozess ausgesagt hat, über ein Gespräch vor allem, ein Telefonat mit Stolberg: „Sind meine Schiffe teurer als deine?“, hatte der Reeder damals von seinem Bremer Geschäftspartner wissen wollen. Stolbergs Antwort: „Frag mich so etwas nie wieder.“ Hat der Reeder dann auch nicht mehr getan. „Ich hatte Sorge, Stolberg zu verärgern.“
Finanzierung mit Darlehen der NordLB
Woanders in den Protokollen fassen die Ermittler bei den Kommissionen nach. „Haben Sie davon gewusst?“, fragten sie den Reeder. „Schön wär’s“, lautete seine Antwort. Drei Jahre später kann er sich vor Gericht nicht mehr erklären, warum er das gesagt hat. Noch einmal der Eindruck, dass der Mann sich zumindest aus heutiger Warte von Stolberg nicht betrogen fühlt.
Weil das so ist, entsteht die kuriose Situation, dass just der Mann, der aus Sicht der Staatsanwaltschaft Geschädigter ist, in dieser Rolle geradezu widerborstig wird und sie partout nicht annehmen will. Selbst wenn seine Aussagen von früher nicht unbedingt zu dem passen, was er jetzt erzählt oder woran er sich erinnern will, stehen die Ankläger schlecht da. Die Verteidiger von Stolberg müssen geradezu an sich halten, um ihre Genugtuung darüber nicht allzu sehr zum Ausdruck zu bringen.
Finanziert hat der Reeder den Kauf der vier Schiffe mit Darlehen der NordLB. „Uns war sonnenklar, dass das klappt.“ Es war die Boomzeit vor dem Crash im Jahr 2008. „Die Banken sind damals jedem hinterhergelaufen, der eine Schiffermütze aufhatte.“ Und haben Geschäfte gemacht, so der Reeder, die sie besser gelassen hätten: „Schauen Sie sich die Bremer Landesbank an, kein Wunder, dass die pleite ist.“ Die Bank habe völlig unsinnig gehandelt. „Die haben Schiffe neu ausgerüstet, die bereits zehn oder zwölf Jahre alt waren. Das konnte nicht gut gehen.“ Banken, meint der Zeuge, rechnen anders. Wie denn, will die Vorsitzende Richterin Monika Schaefer wissen. „Leider gar nicht.“
"Reedereien sind pleite"
Die vier Schiffe sind in China fertig gebaut worden, da war Beluga bereits in der Insolvenz. Sie sind bis heute auf den Weltmeeren unterwegs und werden weiterhin von dem Hamburger Unternehmen bereedert. Ohne großen Erfolg allerdings, weil die Märkte sich nach acht Jahren Krise immer noch nicht erholt haben. „Wir sind unter den Schlechten noch die Besten“, sagt der Zeuge. Doch das hilft offenbar nicht viel. „Die Reedereien sind pleite, alle, wie sie da sind.“
Der Prozess wird am kommenden Dienstag fortgesetzt. Am Mittwoch tritt als Zeuge noch einmal der Deutschland-Chef des US-Investors Oaktree auf, der die Beluga-Reederei im März 2011 komplett übernommen hatte, bevor das Unternehmen wenig später in die Insolvenz ging.