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Innensenator setzt Projektgruppe ein Bremer Polizei: Rekordstand bei unerledigten Fällen

Seit Jahren schiebt die Bremer Polizei einen Berg unerledigter Fälle vor sich her. Abhilfe soll jetzt eine hochkarätig besetzte Projektgruppe schaffen. Zu deren Zielen macht Innensenator Mäurer klare Ansagen.
06.01.2022, 15:59 Uhr
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Bremer Polizei: Rekordstand bei unerledigten Fällen
Von Ralf Michel

Die Zahl der unerledigten Fälle bei der Bremer Polizei hat einen neuen Rekordstand erreicht. 17.302 zurückgestellte oder verzögerte Vorgänge waren es laut einer aktuellen Vorlage der Innenbehörde im November, knapp 3500 mehr als zu Beginn des Jahres. Trotz vielfältiger Bemühungen "konnte eine nachhaltige Trendumkehr bisher nicht erreicht werden", räumt Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) ein und spricht von einem "ernüchternden Ergebnis".

Zum "nachhaltigen Abbau" dieser Halde haben Innensenator und Polizeipräsident Dirk Fasse besondere personelle Maßnahmen beschlossen. Erklärtes Ziel: Die Rückstände "auf ein vertretbares und mit anderen Polizeibehörden im Bundesgebiet vergleichbares Maß" zu reduzieren, heißt es in einer Vorlage des Innenressorts. Gegenüber dem WESER-KURIER brachte es Mäurer zugespitzter auf den Punkt: "Ich will, dass dieses Thema erledigt ist. Ohne Wenn und Aber. In einem halben Jahr will ich diese Halde nicht mehr sehen."

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In den vergangenen beiden Jahren hat es laut Innenbehörde bereits zahlreiche Versuche  gegeben, um den Berg der unerledigten Fälle abzubauen: Zum Beispiel Bereitschaftspolizisten, die einfach gelagerte Vorgänge abgearbeitet haben, oder Studierende der Polizeihochschule, die wegen coronabedingten Unterrichtsausfalls wochenlang einfach gelagerte Betäubungsmittelverfahren, Betrugsdelikte und Cyber-Ermittlungen bearbeiteten. Selbst szenekundige Beamte vom Fußball, die aufgrund von Geisterspielen Zeit hatten, und Diensthundeführer der Bereitschaftspolizei halfen dabei, die Rückstände zu bearbeiten.

Trotzdem wuchs die Halde weiter an. Von 7926 Vorgängen Ende 2016 auf 17.302 Ende November 2021. Hinzu kommen 3508 unerledigte Vorgänge bei der kriminaltechnischen Untersuchung, wobei die Innenbehörde davon ausgeht, dass mehrere Hundert Fälle in beiden Halden auftauchen, also doppelt gezählt wurden. Zur Einordnung der Zahlen: Zwischen 2016 und 2020 hatte die Bremer Polizei durchschnittlich 68.350 Vorgängen im Jahr zu bearbeiten. 2020 wurden etwa 79 Prozent der eingegangen Verfahren noch im gleichen Jahr vollständig abgeschlossen.

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Als Grund für das Anwachsen der Halde nennt die Innenbehörde vor allem zwei Faktoren. Zum einen die hohe Zahl personeller Fehlstellen, die insbesondere in den Jahren 2018 und 2019 für einen Anstieg gesorgt habe. Zum anderen das Aufkommen "herausgehobener und ressourcenbindender Schwerpunktermittlungen" in bislang ungekanntem Ausmaß. Hierfür werden Sonderkommissionen (Soko) und Ermittlungsgruppen eingesetzt, für die zum Teil über längere Zeiträume hinweg Personal aus den unterschiedlichsten Abteilungen zusammengezogen wird, das dann zur Bearbeitung der "Alltagsroutine" fehlt.

So wurde etwa nach dem Brandanschlag auf das Luft- und Raumfahrtunternehmen OHB am Donnerstag die Soko "Linksextremismus" beschlossen. Weitere Beispiele: die besondere Aufbauorganisation „Thor“ für die Encrochat-Ermittlungen, die Ermittlungsgruppe Greensill, die Soko Rechtsextremismus, die Ermittlungsgruppe "Feuer" zur Bearbeitung der linksextremistischen Brandserie, die Soko "Spielplatz", die wegen der Pulverbriefserie ermittelt, und die Soko Weser, die einer möglichen Serie von  Tötungsdelikten eines Bremer Pflegers nachgeht. Nicht zu vergessen die Ermittlungsgruppe "Antrag", in der sich Dutzende Ermittler monatelang mit vermuteten Unstimmigkeiten beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) befassten.

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Die unerledigten Fälle umfassen vor allem Delikte wie das Erschleichen von Leistungen, Ladendiebstahl, Sachbeschädigung, Beleidigung, Betäubungsmittelkriminalität oder Körperverletzungen. Sofern auch Sexualstraftaten (zwischen 100 und 400 Vorgänge, die verzögert bearbeitet werden) betroffen sind, handele es sich überwiegend um Vergehen wie sexuelle Belästigung, Exhibitionismus oder Verletzungen von Persönlichkeitsrechten durch Bildaufnahmen. Bei Kapital- und Branddelikten (im Schnitt 106 Fälle pro Jahr) würden nur solche Vorgänge verzögert bearbeitet, bei denen dies aus kriminalistischer Sicht erlaubt wäre. 

Kümmern soll sich um all dies jetzt ein "professionelles Rückstandsmanagement", wie Mäurer und Fasse ein auf sechs Monate angelegtes Projekt betiteln. Eigens dafür wurde hochrangiges Personal aus Innenbehörde und Polizei freigestellt. Unter dessen Leitung sollen Ansätze entwickelt werden, um Prozesse in der Ermittlungsarbeit und das Zusammenspiel der verschiedenen Polizeidirektionen zu verbessern und die Bearbeitung einfach gelagerter Sachverhalte weiter zu standardisieren. Der Abbau sämtlicher über Jahre angewachsener Rückstände innerhalb von sechs Monaten sei aber unwahrscheinlich, heißt es in der Vorlage der Innenbehörde. Konkretes Projektziel sei, eine Trendumkehr zu schaffen und eine verlässliche Systematik zu entwickeln, um verbliebene Rückstände nachhaltig und in überschaubarem Zeitraum abzubauen".

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