Wer in Bremen eine Anzeige wegen Körperverletzung aufgibt oder einen Diebstahl meldet, muss damit rechnen, dass seine Anzeige jahrelang nicht bearbeitet wird. Bei der Polizei Bremen liegen mehr als 15.000 unbearbeitete Anzeigen auf Halde. Die Verwaltung geht davon aus, dass der Aktenberg künftig sogar weiter wachsen wird.
Betroffen seien Bürger, die zum Beispiel Anzeigen wegen Beleidigung, Hausfriedensbruch und Erschleichen von Leistungen erstattet haben, erläutert der Landesvorsitzende der Polizeigewerkschaft in Bremen, Lüder Fasche. Wohnungseinbrüche und Raub zählten noch nicht dazu.
„Unter den Täterinnen und Tätern dürften auch Angehörige ethnischer Clans sein“, meint Fasche. Er sieht den Aktenberg als Produkt jahrzehntelanger verfehlter Personalpolitik. „Auf der Halde liegen Fälle, die nun seit mehr als zwei Jahren unbearbeitet sind. Viele davon verjähren nach drei Jahren. Es gibt Beschäftigte, die Angst vor Anzeigen betroffener Bürger wegen Strafvereitelung im Amt haben, obgleich sie diesen Umstand nun wirklich nicht zu verantworten haben.“
Dass in Bremen Tausende Anzeigen nicht bearbeitet werden können, kommt nicht von ungefähr. „Ehrlicherweise ist das kein neues Problem“, sagt der CDU-Abgeordnete Marco Lübke. „Es wird mittlerweile sichtbar, dass es ein strukturelles Problem ist. Und wir haben die Aussage, es wird noch schlimmer.“ Der Deputation für Inneres, der Lübke angehört, sei mitgeteilt worden, dass die Verwaltung mit einem „erheblichen Anstieg“ der Fälle rechnet. Bearbeitungsrückstände erwartet die Behörde vor allem bei einfach gelagerten Strafverfahren in den Bereichen Eigentums-, Wirtschafts- und Betrugskriminalität.
Erheblicher Arbeitsaufwand für das Encrochat-Verfahren
Der Grund für den weiteren Anstieg ist demnach der Bedarf an Personal, der für die Bearbeitung der sogenannten Encrochat-Verfahren benötigt wird. Die Verfahren gegen mutmaßliche Drogen- und Waffenhändler sind mit erheblichem Arbeitsaufwand für die Sicherheitsbehörden verbunden, weshalb der Senat Anfang November 39 befristete Stellen für Polizei, Landgericht und Staatsanwaltschaft bewilligt hatte.
„Wenn man liest, die Polizei habe wieder neue Stellen zugebilligt bekommen, denkt man an Polizeivollzugsbeamte. Es handelt sich dabei aber nicht um voll ausgebildete Polizeibeamte oder gar Ermittler, sondern um Fach- und Unterstützungskräfte. Die meisten werden davon aber für die Umsetzung neuer Datenschutzmaßnahmen durch das rot-grün-rote Bremer Polizeigesetz verwendet, andere für die Encrochat-Verfahren, beispielsweise im IT-Bereich. Die Halde wird von denen niemand bearbeiten“, stellt Lüder Fasche klar.
Die Bremer Polizei verweist auf ihr „Rückstandsmanagement“. „Aufgrund der Vielzahl der Bearbeitungsrückstände kann es immer mal vorkommen, dass sich insbesondere Vorgänge mit verhältnismäßig kurzer Verjährungsfrist dem Verjährungsdatum nähern“, räumt Polizeisprecherin Franka Haedke ein. Doch die Polizei behalte Verjährungsfristen im Blick. Von einem unkontrollierten Anstieg könne nicht die Rede sein. Vorgänge mit Clanbezügen würden nicht auf diesen Stapel gegeben.
In den vergangen drei Jahren gab es immer wieder Versuche, den Aktenberg abzutragen. Mal wurden in einer konzertierten Aktion mit 30 Mitarbeitern 2000 Vorgänge abgebaut, mal mithilfe von Studenten der Hochschule für öffentliche Verwaltung 4000 Fälle. Trotzdem verzeichnete die Behörde einen Anstieg von 12.395 Fällen in 2018 auf 15.670 Fälle am Jahresende 2019. „Das Ende dieser gezielten Aktionen bedeutete gleichzeitig jedoch auch einen fortschreitenden Zuwachs der Bearbeitungsrückstände“, schreibt die Verwaltung. Im August 2021 sprengte der Wert erneut die 15.000er-Marke. Er liegt bei 15.118.
Keine Haldenproblematik in Niedersachsen
Andere Bundesländer haben weniger Probleme, Anzeigen ihrer Bürger zeitnah zu bearbeiten. Das bestätigt das niedersächsische Innenministerium: „Es gibt keine generelle Haldenproblematik in Niedersachsen.“ Selbst in Hamburg liegt die Zahl der Bearbeitungsrückstände unter dem Bremer Wert: „Mit Stand vom 30. August 2021 befanden sich bei der Polizei Hamburg über 2000 Ermittlungsverfahren in der Bearbeitungsrückstellung”, sagt Daniel Ritterskamp aus der dortigen Pressestelle. „Hierbei handelte es sich vorwiegend um einfach gelagerte Vorgänge oder solche ohne erkennbare Ermittlungsansätze.” Die Rückstellungen in Hamburg werden monatlich gesichtet.