Der Anruf in der Geschäftsstelle des großen Bremerhavener Sportvereins sorgt für plötzliche Verwirrung. "Au, da fragen Sie mich jetzt aber etwas", sagt die freundliche Dame am Telefon. Sie überlegt eine Weile, und weil sie die richtige Antwort nicht weiß, spricht sie ihre Kollegin an. Es ist keine weltbewegende Frage, aber die Diskussionen und Gedanken, die sie auslöst, machen deutlich: Die Frage hat ihre Berechtigung. Und sie ist, um es vorwegzunehmen, am Ende des Gesprächs noch nicht beantwortet.
Die Frage, um die es geht: Heißt es nun der oder die SFL Bremerhaven? Und heißt es der oder die TS Woltmershausen? Wer regelmäßig über einen Verein berichtet oder dort Sport treibt, möchte das gerne wissen – allein schon, um Fehler und manchmal auch Ärger zu vermeiden, den ein falscher Artikel vor dem Namen auslösen kann. Im Fall von SFL Bremerhaven scheint die Auflösung schon deshalb schwierig, weil sich hinter der Abkürzung dieser Name verbirgt: Sport Freizeit Leherheide Bremerhaven. Es heißt der Sport, aber die Freizeit. Ist nun der Sport "Freizeit Leherheide" gemeint oder die "Sport-Freizeit" Leherheide?
Vielleicht könnte man es sich einfach machen und sagen: Es heißt "der SFL", denn der Wortkombination Sport Freizeit Leherheide Bremerhaven ist, wie bei Sportvereinen üblich, noch ein e.V. hintenan gestellt. Diese Abkürzung steht für "eingetragener Verein" – es ist also eindeutig "der e.V." und nicht "die e.V.". Auf der Homepage des Vereins ist vor der Abkürzung SFL auch der männliche Artikel zu finden. Warum und ob überhaupt das so richtig ist, kann aber selbst der SFL-Vorsitzende Frank Schildt auf Anhieb nicht sagen. Er wolle es in Erfahrung bringen, verspricht er.

Auf den Anzügen steht TS Woltmershausen. Aber wofür steht dieses "TS"?
Der oder die TS Woltmershausen?
Wäre die Lösung doch so einfach wie in Woltmershausen: Der Verein heißt in der Langversion Turn- und Sportverein Woltmershausen, ist also männlich und wird abgekürzt mit TS Woltmershausen. Laut der "Liste von Sportvereinskürzeln" bei Wikipedia steht TS allerdings für Turnerschaft, zu der wiederum der weibliche Artikel gehört. Freundlicherweise weist Wikipedia auch darauf hin: Nicht alle Kürzel seien eindeutig zu definieren. Wohl wahr, wie TS Woltmershausen zeigt.
Der Vorsitzende Robert Lürssen kann aufklären, warum sein Turn- und Sportverein als Abkürzung TS trägt und nicht, wie sehr häufig für einen Turn- und Sportverein verwendet, TSV oder TuS. Es sei historisch begründet. Als sich 1974 der Turnverein Woltmershausen und der Sportverein Woltmershausen zum TS Woltmershausen zusammenschlossen, sollten sich beide Vereine auch in der Abkürzung wiederfinden können. "Man wollte keinen Verein benachteiligen", erklärt Lürssen. Dass er es genau weiß, ist kein Zufall, denn: Sein Vater war an der Fusion beteiligt, und sein Großvater wurde der allererste Vorsitzende des neuen TSW.

Abteilungsleiter Heinz Mahnke grüßt in Hemelingen vor dem Sportheim. Das "SV" bei Hemelingen steht nicht für Sportverein.
Doch wer glaubt, vor den Abkürzungen TSV oder TuS oder SV sei der männliche Artikel stets der richtige, der irrt. Das V steht keineswegs immer für Verein, sondern nicht selten für Vereinigung. Vor BTV von 1877 steht "die", weil es die Bremer Turnvereinigung von 1877 ist – übrigens trotz des Zusatzes "e.V." hinter dem Namen. Vereinsfunktionäre der BTV v. 1877 waren manches Mal nicht gerade amüsiert, wenn die Rede von "der BTV von 1877" war. Ähnlich verhält es sich bei der TSV Farge-Rekum, die eine Turn- und Sportvereinigung ist, und bei der SV Hemelingen, bei der die Abkürzung nicht für Sportverein, sondern für Sportvereinigung steht. Das aber ist den Buchstaben "SV" nicht anzusehen – entweder man weiß es oder man weiß es nicht.
Plural oder Singular?
Es gibt – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – weitere Beispiele, in denen der richtige Artikel vor der Abkürzung nicht hergeleitet, sondern nur gefunden werden kann, wenn der komplette Vereinsname bekannt ist. Bei zwei "FT's" in Bremen-Nord geht es nicht mal mehr nur um männlich oder weiblich, sondern um Einzahl oder Mehrzahl. So muss den (und nicht der) FT Blumenthal streng genommen der Plural folgen, weil "FT" in diesem Fall für Freie Turner steht. Anders bei der FT Hammersbeck: Hier genügt der Singular, weil "FT" für Freie Turnerschaft steht und weiblich ist. Alles klar?
Wer noch nicht genug hat: Das "TV" vor Ost steht nicht für Turnverein, sondern für Tennisvereinigung, die folglich weiblich ist. Weitere Klubs mit schwer zu entschlüsselnden Abkürzungen sind die BTS Neustadt – weiblich, weil es die Bremer Turn- und Sportgemeinde Neustadt ist – und der VSK Osterholz-Scharmbeck – männlich, weil es der Verein für Sport und Körperpflege ist. In beiden Fällen wäre viel Fantasie nötig, um zu erraten, wofür die jeweilige Abkürzung steht.
Ein weiteres Kuriosum ist im Bremer Norden zu finden, wo der MTV Eiche Schönebeck – jawohl: männlich – beheimatet ist. Ein alter Verein noch aus der Zeit, als Frauen nicht oder nicht gerne in Vereinen gesehen wurden. Die gute Nachricht dabei: Obwohl "MTV" für Männerturnverein steht, sind im Klub lange schon auch Frauen und Kinder willkommen.
Beispiele aus dem Weltfußball
Das Problem mit den Vereinsnamen findet man natürlich auch außerhalb von Bremen. Für den großen Fußball gibt es in Deutschland seit mehr als 100 Jahren eine Institution: das Kicker-Sportmagazin. Mit wissenschaftlicher Präzision werden in dessen Nürnberger Zentrale Namen und Vereine durchdekliniert, für Generationen von Lesern und Sportjournalisten definiert der Kicker damit quasi die reine Lehre. Einmal im Jahr erscheint sogar ein Almanach als Nachschlagewerk, er ist mehrere Hundert Seiten dick.

Rudi Völler und Otto Rehhagel in den 1980er-Jahren in Bremen, bevor "Ruuudi" nach Italien wechselte.
Aus dem Kicker (der sich selbst übrigens mit kleinem "k" schreibt) weiß man daher, dass es nicht der AS Monaco heißt, sondern die AS Monaco. Denn im Fürstentum spielt die "Association Sportive de Monaco Football Club", also die Sportvereinigung, feminin. Ähnlich ist es bei Eindhoven: Wenn vom PSV Eindhoven die Rede ist, rümpft der Kicker-Experte die Nase. Es heißt die PSV, die Abkürzung steht für die "Philips Sportvereinigung", es ist der Werksverein des Elektrokonzerns. Dass Rudi Völler früher Tore für den AS Rom schoss, wäre auch falsch: "Associazione Sportiva Roma", also Sportvereinigung, demnach die AS Rom.
Auch Huub Stevens musste damit leben
Doch einen kniffligen Streitfall hatte auch der Kicker auszufechten: Mehrere Generationen von Redakteuren beschäftigte die Frage, ob es Niederlande heißen muss oder ob auch Holland geht. Der Trainer Huub Stevens wünschte sich immer Niederlande. Als sich die "Niederlande-Fraktion" beim Kicker durchsetzte und neue Kollegen entsprechend belehrte, fragte der genervte Chefredakteur kurzerhand beim niederländischen Königshaus nach. So landete in der kicker-Zentrale ein Brief mit königlichem Siegel, der die Bezeichnung "Holland" als Synonym fürs ganze Land ausdrücklich als korrekt einstufte. Seitdem gibt es in der deutschen Fußball-Bibel wieder beide Bezeichnungen fürs Nachbarland. Huub Stevens muss damit leben.
Ein schwieriger Fall ist auch "FC Arsenal London". Viele Sportreporter und Fans lernten, man müsse den Klub FC Arsenal nennen, weil man auch nicht "FC Schalke Gelsenkirchen" oder "FC Oberneuland Bremen" sage. Dabei ist Arsenal kein Stadtteil von London, sondern eine U-Bahn-Station und war mal eine Rüstungsfabrik, deren Arbeiter den Verein gründeten. Daher auch der Spitzname "Gunners", also Kanoniere. Als fast alle deutschsprachigen Medien – dem Kicker folgend – vom FC Arsenal berichteten, da sprach der Ex-Bremer Per Mertesacker plötzlich immer von "Arsenal London", und das nach mehr als 150 Spielen für Arsenal, deren Kapitän er war und wo er bis heute arbeitet. Er müsste es also eigentlich ziemlich gut wissen. Kurios dabei: "Arsenal London" wird als Vereinsname in keiner anderen Sprache der Welt genutzt, nur im deutschsprachigen Raum.

Jubel in London: Per Mertesacker (neben dem früheren Bremer Mesut Özil) bejubelt den Gewinn des FA-Cup 2015.
Auch die deutsche Hauptstadt kennt so ein Problem, es gibt nämlich gar kein Hertha BSC Berlin, obwohl das viele Leute sagen. Das B in BSC steht schon für Berlin, es ist der Berliner Sport-Club Hertha. Es heißt also der BSC, aber die Hertha, weil das wiederum der Name eines blau-weißen Haveldampfers war, den die Gründer einst als Namensgeber aussuchten. Der Name Hertha ist weiblich.
Zurück zum Rätsel um den oder die SFL Bremerhaven: Für Klarheit sorgt der Vorsitzende Frank Schildt. "Es heißt der SFL", sagt er nach einer vereinsinternen Recherche. Begründung: Der Artikel beziehe sich auf "der Verein SFL Bremerhaven". Außerdem stehe in der Satzung vor SFL auch der Artikel "der". Na gut, dann ist das so. Ihm sei vor allem wichtig, betont Schildt, dass der Gebrauch des Artikels vor "SFL" im Verein einheitlich erfolge und nicht mal so, mal so. Das allerdings dürfte viel leichter gesagt sein, als getan. Da hilft nicht mal ein Königshaus.