Früher war alles besser – das sagen in der Regel alte Leute. Aber Steven Helvogt ist erst 36. Der lizenzierte Fitnesstrainer ist seit vielen Jahren im Sport aktiv, auch als Ernährungscoach und lizenzierter Fußball-Athletiktrainer. Bis zur Pandemie hatte er mehrere Fitness-Studios in Bremen und Umgebung betrieben. Im Fußball-Nachwuchs arbeitet er heute mit vielen Altersklassen zusammen. Die Jüngsten sind sieben Jahre, es geht bis rauf zu den jungen Erwachsenen. Zu ihm kommen die Kinder, die ambitioniert sind und noch besser werden wollen.

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Und doch hat er festgestellt: „Ich beobachte bei vielen Kindern, dass grundlegende Bewegungserfahrungen fehlen – nicht bei allen, aber deutlich häufiger als früher. Das zeigt sich auch in der Koordination. So etwas entstand früher über den Alltag, weil Kinder den Großteil des Tages draußen gespielt haben. Mit den heutigen Jahrgängen ist das kaum noch zu vergleichen. So ausgeprägt wie heute war das Bewegungsdefizit aus meiner Sicht noch nie.“
Das gelte nicht für alle, auch heute gebe es außergewöhnliche Bewegungstalente. „Aber im Durchschnitt ist die negative Entwicklung unverkennbar“, sagt Helvogt. Als eine Ursache hat er die Digitalisierung ausgemacht. „Früher war Hausarrest eine harte Strafe, heute gehen die Kinder dann grinsend in ihr Zimmer.“ Handy, Computer, Spielekonsole – alles passiert im Sitzen oder Liegen. Stundenlang. Aber der Körper bewegt sich kaum. „Das merkt man dann, wenn es zum Beispiel im Fußballtraining in die volle Belastung geht“, sagt Helvogt. Viele der Jungs oder Mädels würden unerwartet schnell an ihre Grenzen stoßen.

Seit diesem Sommer arbeitet Steven Helvogt als Athletiktrainer der ersten Mannschaft beim FC Oberneuland.
Für Helvogt sind die Eltern Teil des Problems – und gleichzeitig die Lösung. „Ich weiß, dass der Alltag fordernd ist – aber Kinder lernen am stärksten durch Vorbilder. Wenn Eltern selbst viel Zeit am Handy oder vor dem Fernseher verbringen, prägt das ihre Kinder. Gleichzeitig ist es für viele im Alltag praktisch, wenn das Kind ruhig ist, weil es mit Konsole oder Tablet beschäftigt ist. Aber genau da liegt die Herausforderung: Bewegung und Aktivität müssen wieder selbstverständlicher Teil des Familienalltags werden.“
Weil gleichzeitig der Schulsport häufig ausfalle, kämen die Bewegung und das Verbessern der motorischen Fähigkeiten bei vielen Kindern zu kurz. Was frühere Generationen auf dem Bolzplatz, beim Radfahren oder Fangenspielen zusätzlich zum Schul- und Vereinssport an Beweglichkeit erlernten, fehle heute. Und das sei nur ein Teil der Wahrheit. Der zweite Teil bestehe aus Kalorien. „Mehr Bewegung gleich mehr Kalorienverbrennen. Und umgekehrt“, sagt Helvogt.
Die Eltern müssen es vorleben
Bewegungsmangel und das daraus häufig resultierende Übergewicht seien ein Übel der heutigen Zeit. Auch hier nimmt der Fitness-Fachmann die Eltern in die Pflicht. Helvogt: „Wenn die Eltern es vorleben, sich gesund zu ernähren und sich sportlich zu betätigen – dann kennen es die Kinder nicht anders und wachsen da wie selbstverständlich mit rein. Fehlt das Vorbild, fehlt oft auch der Antrieb.“
Ein anderes Problem sei die Struktur vieler Sportvereine. Für einen Mitgliedsbeitrag könne ein Kind oft nur eine Sportart ausüben. „Es wäre viel besser, wenn ein Kind mit diesem Beitrag verschiedene Sportarten ausprobieren könnte“, meint Helvogt, „um herauszufinden, was ihm wirklich Spaß macht.“ Denn das sei der Schlüssel, um einer Sportart über Jahre treu zu bleiben.
Ein zweiter Ansatz, den er ins Spiel bringt, betrifft den Ausfall des Schulsports. Helvogt ist überzeugt: „Wenn es an Lehrern für Sport fehlt, würde die Kooperation mit Sportvereinen und deren Trainern eine Win-Win-Situation schaffen.“ Die Schulen wären personell entlastet, die Kinder könnten Sport treiben – und die Vereine kämen mit Talenten und potenziellen neuen Mitgliedern in Kontakt.
Der Fitness-Experte weiß: Gerade ab der Pubertät drängt es viele Jungs und Mädels ins Fitness-Studio. Für die Familien ist das oft ein Kostenfaktor, weshalb die günstigen Angebote großer Fitness-Ketten verlockend wirken. Er selbst rät dringend, an dieser Stelle nicht zu sparen. „In den großen Studios ist manchmal gar kein Personal, das sich um die Jugendlichen kümmern kann. Aber gerade in jungen Jahren kann man beim Trainieren so viel falsch machen, dass es zu schweren Schäden führen kann“, betont Helvogt. „Damit wird das sportliche Bemühen eher torpediert. Für 20 Euro mehr im Monat bekommt man oft eine tolle Betreuung mit Trainern, die sich wirklich auskennen. Das ist sehr gut investiertes Geld. Man will doch als Eltern, dass es dem Kind gut geht.“
Ab 14 Jahren sei ein Besuch im Fitness-Studio sinnvoll, aber gerade am Anfang müsse die Qualität des Trainings wichtiger sein als die Quantität, damit sich die jungen Körper an die Übungen gewöhnen. Wichtig sei ein altersgerechtes Training – und das gebe es auf den vielen Videos im Internet nicht.
Was obendrein oft fehle, seien kostenfreie Sportangebote in den Bremer Stadtteilen. Gepflegte Bolz- und Basketballplätze, aber auch Kletter- oder Fitness-Parcours. Helvogt: „Viele Fußballplätze sind abgeschlossen. Wenn ich so etwas sehe, bekomme ich die Krise.“ Denn so würde man Kindern aus weniger gut gestellten Familien die Chance nehmen, um die Ecke Sport treiben zu können.
Beim Thema Ernährung ist Helvogt kein Freund der Sozialen Medien, wo den Jugendlichen irgendwelche Wundermittel vorgegaukelt würden. Normaler Menschenverstand sei wichtiger. „Keine zuckerhaltigen Getränke, aber auch keine Energy-Drinks“, mahnt er, „das Beste ist Wasser. Ein Liter pro 20 Kilo Körpergewicht – so viel sollte es pro Tag sein.“
Im Fußball hat er sich auf Schnelligkeitstraining spezialisiert, er ist Speedcoach. Wie schnell ein Spieler laufen kann, liege entgegen der landläufigen Meinung nicht an den Genen, sondern am Training. „Mit gezieltem Training lässt sich die Sprintgeschwindigkeit verbessern – in der Spitze sogar um mehrere km/h.“ Aber auch hier sei die Ernährung wichtig. Wer kurz vor dem Training schwer verdauliche, sehr fettige Mahlzeiten esse – etwa einen Döner –, riskiere Bauchschmerzen oder Seitenstechen. Der Körper sei dann noch mit der Verdauung beschäftigt und nicht bereit für intensive Bewegung.
Aber auch das Gegenteil sei schlecht, nämlich zu wenig zu essen. Erst neulich habe er abends einen jungen Fußballer im Training gehabt, der nach wenigen Minuten körperlich einbrach. Als er den talentierten und willigen Jungen fragte, wann er denn das letzte Mal etwas gegessen habe, sei die Antwort gewesen: „Heute Morgen beim Frühstück.“ Dann sei es kein Wunder, dass der Körper keine Energie mehr hatte für ein anstrengendes Training. Helvogt wirbt für einen Klassiker: „Wenigstens eine Banane vor dem Sport – das sollte es schon sein.“