Wurden im Bremer Amateurfußball sensible Daten illegal genutzt? Und das von Mitarbeitern der Polizei und der Ausländerbehörde? Zu diesem Verdacht ermittelt die Bremer Staatsanwaltschaft, nachdem mehrere Spieler Anzeige erstatteten – darunter ein Akteur der SV Hemelingen, der von einer Polizeikontrolle an seiner Wohnung aufgeschreckt wurde. Frank Passade, Sprecher der Staatsanwaltschaft, bestätigt auf Anfrage des WESER-KURIER, dass „gegen einen Mitarbeiter der Ausländerbehörde wegen der Verletzung von Dienstgeheimnissen ermittelt wird sowie gegen einen Polizeibeamten“.
Der Fall ist auch deshalb speziell, weil zahlreiche Polizisten und Behördenmitarbeiter nebenher in der Bremen-Liga aktiv sind: als Trainer, Spieler oder Funktionäre. Das gilt auch für den Brinkumer SV, der in den Fall verwickelt ist. Der beschuldigte Mitarbeiter des Migrationsamtes gehört zur Vereinsführung des Vereins. Viele der Polizisten oder Behördenmitarbeiter im Bremer Amateurfußball kennen sich seit Jahren. Ob da jeder immer die Grenzen seiner beruflichen Aufgaben eingehalten hat, ist Gegenstand der Ermittlungen.
Es geht um ein Wochenende im März 2023
Dabei geht es vor allem um das, was rund um ein Wochenende im März 2023 passierte. Damals gewann die SV Hemelingen an einem Sonntag mit 2:1 gegen den Brinkumer SV. Einer der besten Hemelinger Akteure war ein ausländischer Spieler – und der hatte zwei Tage vorher, am Freitag, morgens die Polizei vor seiner Wohnung stehen. Um 7.30 Uhr an jenem Tag hielt der wortführende Kriminalhauptkommissar in der Beschlagnahmebescheinigung für den Reisepass des Spielers fest: „Verdacht illegaler Aufenthalt / Prüfung Aufenthaltsstatus“. Dass dieser Polizist auch Fußballtrainer in Bremen ist, wusste der Spieler nicht.
Nur wenige Stunden später bekam die SV Hemelingen eine Mail vom Bremer Fußball-Verband (BFV). Der Absender der Mail, die dem WESER-KURIER vorliegt, war zu diesem Zeitpunkt ebenfalls noch hauptberuflich bei der Polizei. Um 12.04 Uhr an jenem Freitag forderte er in seiner Funktion als BFV-Mitarbeiter „die lieben Sportfreunde vom SV Hemelingen“ auf, ihm „alle vorhandenen Unterlagen“ über den ausländischen Spieler zukommen zu lassen, dessen Reisepass beschlagnahmt wurde. Hemelingens Trainer Günter Tuncel sagt: „Da müsste der Informationsfluss zwischen Polizei und Fußball-Verband sehr schnell gewesen sein, wenn das mit rechten Dingen zuging. Das waren nicht mal fünf Stunden.“

Günter Tuncel von der SV Hemelingen.
Nach Informationen des WESER-KURIER richten sich die Ermittlungen nicht gegen den Polizisten, der an der Wohnung war. Er wird als Zeuge geführt. Demnach erfolgte das Aufsuchen der Wohnung nicht zur Prüfung des Aufenthaltstitels, sondern in einem Verfahren wegen Urkundenfälschung gegen eine andere Person, die nicht angetroffen wurde. Folglich wäre der Spieler zufällig in die Kontrolle geraten. Ermittelt wird gegen den Polizeibeamten, der für den Fußball-Verband arbeitet.
Das Problem: Die Zufälle häufen sich in diesem Fall. Montags nach dem Hemelinger Sieg gegen Brinkum soll der Polizist beim Migrationsamt angerufen haben – und zwar bei dem Mitarbeiter, der als Funktionär beim Brinkumer SV wirkt. Abgefragt wurde dabei der Aufenthaltsstatus von vier Hemelinger Spielern. Bei zwei von ihnen gab es tatsächlich Unstimmigkeiten. Eine solche Abfrage sei Routine im Zusammenspiel zwischen Polizei und Ausländerbehörde, betont der Mitarbeiter des Migrationsamtes: „Ich habe nur meine Arbeit gemacht und Fragen der Polizei beantwortet.“ Dass sein Gesprächspartner auch für den Verband arbeite, sei nicht klar gewesen.
Geld- und Haftstrafen sind möglich
In der Folge wurde der Bremer Amateurfußball von einem Beben erschüttert. Nach einem Protest des Brinkumer SV wegen Verstößen gegen die BFV-Statuten wurden die Spielberechtigungen von mehr als 70 ausländischen Spielern überprüft, 26 von ihnen durften nicht mehr spielen - wegen ihres Aufenthaltsstatus. Der Fall war unangenehm für den Bremer Verband, der es versäumt hatte, eine Vorgabe des Deutschen Fußball-Bundes umzusetzen, wonach Nicht-EU-Ausländer ohne dauerhaften Aufenthaltstitel im Amateursport mitspielen dürfen. Im Rest der Republik war das längst geändert worden, die Bremer mussten nachbessern. Die Spieler, die Anzeige erstatteten, gehören zu den damals gesperrten Fußballern.
Der Polizist könnte gegen einen Paragrafen des Bremischen Polizeigesetzes verstoßen haben, in dem es um den Schutz von personenbezogenen Daten geht. Bei dem Mitarbeiter des Migrationsamtes geht es um die Verletzung von Dienstgeheimnissen. In Fällen wie diesen beiden geht es bei der Straferwartung um eine Geldstrafe oder um eine Freiheitsstrafe von bis zu zwei oder fünf Jahren.
Der Polizist wurde inzwischen pensioniert. Es geht ihm nicht gut mit dieser Geschichte, die Dauer der Ermittlungen belastet ihn. Er sagt: „Nach meiner festen Überzeugung habe ich keinen Datenmissbrauch begangen.“ Möglich ist, dass er in seiner Doppel-Rolle als Polizist und BFV-Mitarbeiter in eine unglückliche Lage geriet.
Grundsätzlich steht noch ein anderer Verdacht im Raum. Denn seit Jahren wurde getuschelt, dass ausländische Spieler in Schwierigkeiten geraten könnten, wenn sie stark gegen Brinkum spielten. Wie das intern abgelaufen sein soll, erzählt ein früherer Trainer des Vereins, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Er berichtet: „In meiner Brinkumer Zeit war es normal, dass es nach nicht gewonnenen Spielen von Funktionären aus dem Verein hieß: Wir schauen erst einmal, ob die ausländischen Spieler beim Gegner überhaupt hätten mitwirken dürfen. Sonst holen wir uns die Punkte am Grünen Tisch.“ Er selbst habe dagegen protestiert, „denn so willst du als Trainer keine Punkte gewinnen. Aber in der Vereinsführung wurde offen darüber gesprochen“.
Brinkums Fußball-Abteilungsleiter Jogi Bender, gegen den nicht ermittelt wird, hält solche Vorwürfe für „absolut haltlos“. Es würden Lügen verbreitet. Bender erklärt: „Ich bin jahrelang beim Brinkumer SV und weiß davon nichts. Das hätte dann ja hinter meinem Rücken passieren müssen – und das kann ich mir nicht vorstellen.“ Man unterstütze den Vereinsmitarbeiter und glaube nicht, dass dieser Daten missbraucht habe.
Die Ermittlungen dauern schon mehr als ein Jahr an. In diesem Fall sei „eine Vielzahl von Zeugenvernehmungen erforderlich“, erklärt Oberstaatsanwalt Passade.
Erinnerungen an den Fall Sey
Zu den Zufällen in dieser Sache gehört auch, dass Erinnerungen wach werden an den Fall Muhammad Sey, ein Gambier, der vor Jahren als Flüchtling über Italien an die Weser kam. Im Trikot des Bremer SV schoss er ein Tor gegen Brinkum, wenig später bekam er Probleme wegen seines Aufenthaltsstatus und musste zurück nach Italien, weil ihm ein Stempel fehlte. Heute spielt Sey in Berlin.

Brinkums Fußball-Abteilungsleiter Jogi Bender, gegen den nicht ermittelt wird, hält solche Vorwürfe für „absolut haltlos“.
Als ein Vorstand des Bremer SV in Brinkum nachfragte, woher sie vom Status des Spielers gewusst hätten, sei die Antwort gewesen: Das hätte man zufällig aufgeschnappt. Heute sagt Bender dazu: „Bei einem Spieler aus Gambia, Japan oder Russland weiß doch jeder, dass es keine EU-Ausländer sind. Da braucht man keine Datenbank für.“ Nach den Statuten hätten diese Spieler nicht mitwirken dürfen, weshalb es doch interessant sei, meint Bender, wie manche Bremer Vereine trotzdem eine Spielerlaubnis für diese Fußballer erwirken konnten. Dazu hätten sie falsche Angaben machen müssen.
Ein Hemelinger Spieler, der Anzeige erstattete, war vorher selbst Kandidat in Brinkum. Dort habe man ihn wegen des fehlenden Aufenthaltstitels fortgeschickt, sagt Bender, „und dann kann er plötzlich für Hemelingen spielen und gegen uns Tore schießen?“
Der Polizist arbeitet wieder für den Verband
Hemelingens Tuncel hingegen betont: „Wenn es illegale Datenabfragen gab, um Amateursportlern zu schaden, wäre das ein Skandal. Wir sind froh, dass Staatsanwaltschaft und Polizei sich das nun anschauen. Viele Spieler warten gespannt auf das Ergebnis.“
Der Polizist ist wieder ehrenamtlich für den Fußball-Verband aktiv. Nach Auskunft des BFV berät er den Verbandsspielausschuss. In seinem Fall gelte „grundsätzlich und uneingeschränkt die Unschuldsvermutung“, sagt BFV-Sprecher Oliver Baumgart und erklärt: „Der BFV ist nach wie vor weder Beteiligter des Ermittlungsverfahrens noch in anderer Form einbezogen und äußert sich daher nicht zu Ermittlungsverfahren, die den Verband nicht betreffen.“
Einer der Spieler, die Anzeige erstatteten, wollte damit "verhindern, dass anderen in Bremen auch so etwas passiert“. Er betont: „Es geht hier nicht um Profifußball. Das private Schicksal von Amateurspielern zu beeinflussen, um Punkte in der 5. Liga zu bekommen, das wäre total überzogen.“