Das bremische Projekt "Sprint Wohnen" hilft Flüchtlingen, sich nach dem Bezug einer eigenen Wohnung im Alltag zurecht zu finden. In Bremen-Nord ist unter anderem Seyfettin Ceylan als "Sprinter" aktiv.
Wenn Seyfettin Ceylan nach der Arbeit zu seiner Frau und den vier Kinder zurückkehrt, hat er oft eine Odyssee durch diverse Amtsstuben und Institutionen hinter sich. Flüchtlingsfamilien mit Kindern begleitet der 33-jährige Türke auf ihrem Weg zu Behörden, Arztpraxen, Schulen, Krankenhäusern und zum Jobcenter. Dabei fährt er durchaus mal von Vegesack nach Huckelriede und danach schnell wieder nach Grambke. Ceylan arbeitet als Sprinter, also als Sprach- und Integrationsmittler für das rein bremische Projekt „Sprint Wohnen“.
Noch zu Beginn des Jahrzehnts mussten Flüchtlinge und Asylbewerber drei Jahre in einem Übergangswohnheim leben, bevor sie Anspruch auf eine eigene Wohnung in Bremen hatten. Diese Vorgabe hat der Senat in der vergangenen Legislaturperiode zunächst auf ein Jahr und zuletzt auf drei Monate abgesenkt, um eine möglichst frühe Integration zu ermöglichen.
Seit März kümmern sich Mitarbeiter auch in Bremen-Nord um Familien und Einzelpersonen, die den Übergang in ihre eigene Wohnung nicht allein meistern können. „In den eigenen vier Wänden haben die Menschen niemanden mehr und benötigen Unterstützung, bis sie ein bisschen Deutsch können“, erläutert Projektleiterin Marita Klumpe. „Wir begleiten die Kunden, bis sie auf eigenen Füßen stehen.“
Dieses Engagement ist mitunter kräftezehrend und täglich mit etlichen Ortswechseln, intensiven Gesprächen und langen Wartezeiten verbunden. „Ich fahre nur mit Bahn, Zug oder Bus von Termin zu Termin, und oft kommen die Kunden auch zu spät, aber ich habe schon den nächsten Termin“, erzählt Seyfettin Ceylan. „Abends bin ich dann oft mit den Nerven am Ende und brauche nach dem Abendessen nur noch meine Ruhe.“
Ceylan lebt seit 28 Jahren in Deutschland und beherrscht fünf arabische Dialekte.„Die habe ich parallel zur deutschen Sprache in Bremen gelernt“, sagt er und lacht verschmitzt. Dieser Fähigkeit verdankt er nun seinen Job. Derzeit betreut er acht bis zehn junge kinderreiche Familien. Finanziert wird das Sprinter-Projekt zu zwei Dritteln vom Jobcenter, den Rest bezahlt die Sozialbehörde. Die Lagebesprechung der Nordbremer Kollegen Seyfettin Ceylan, Hamdi Avdo und Samia Harb im Studiohaus Grambke mit ihrer Projektleiterin Marita Klumpe ist fast zu Ende. Die 62-Jährige erkundigt sich noch nach einzelnen Terminen. Immer wieder vibriert Avdos Handy. „Ich habe mir irgendwann ein Diensthandy angeschafft“, sagt er. Einige Kunden hätten ihn bis dahin sogar noch um 23 Uhr angerufen.
Der Kosovo-Albaner ist bei den Flüchtlingen aus den Balkanländern sehr gefragt. Er spricht albanisch, serbokroatisch, mazedonisch, bulgarisch und türkisch. „Deshalb arbeite ich auch für ganz Bremen – nicht nur für Bremen-Nord“, erläutert der 49-Jährige. Gegenwärtig betreut er zwölf bis 13 Familien. Bremenweit gibt es zwar 14 Sprinter, Mitarbeiter, die serbokroatisch und albanisch sprechen, werden allerdings noch dringend gebraucht. „Die müssen aber Arbeitslosengeld II beziehen, und das ist oft ein Hindernis“, bedauert Marita Klumpe.
Wieder klingelt Hamdi Avdos Handy. Er spricht kurz mit einer Mutter, deren Kinder der Sprinter am Vormittag in die kieferchirurgische Praxis am Klinikum Nord begleitet hat. Avdo: „Da war ich heute von 9 bis 13.30 Uhr.“ Unter Vollnarkose haben die Mediziner den kleinen Albanern etliche kariöse Zähne behandelt oder entfernt. „Die Ärzte wollen so was nicht ohne Übersetzer machen“, erklärt Avdo, selbst Vater von vier Kindern.
Entscheidend sei die korrekte Übersetzung vor allem bei Diagnosen oder Dosierungen von Medikamenten. „Im Vorfeld habe ich deshalb Termine vereinbart und die Arztgespräche geführt. Ohne mich hätte das alles nicht geklappt“, fügt der Kosovare stolz hinzu und zeigt den Kollegen ein Handy-Foto von den Kindern.
Arzt- und Krankenhausbesuche sind für die Sprinter an der Tagesordnung. „Etwa 40 Prozent der Termine sind Arzt- und Klinikbetreuungen“, sagt Marita Klumpe, denn viele Flüchtlinge seien wegen der Strapazen oder mangelhafter medizinischer Versorgung in den Herkunftsländern behandlungsbedürftig. „Bei den Ärzten dürfen die Sprachmittler als Übersetzer arbeiten“, betont die Projektleiterin. Bei Unterschriften auf Dokumenten müssten sie den Begriff „Dolmetscher“ jedoch durchstreichen, „denn dies ist eine geschützte Berufsbezeichnung“.
Hamdi Avdo hat gegenwärtig auch Klienten, denen die Ausweisung droht. Bei Bedarf begleitet er die Familie auch zu Beratungsstellen und Rechtsanwälten. Bei Gericht seien hingegen ausschließlich Dolmetscher zugelassen. Avdo hat aber auch Kunden vom Balkan, die es gar nicht erst so weit kommen lassen und freiwillig in ihr Heimatland zurückkehren statt ausgewiesen zu werden.
„Ich finde das richtig“, sagt Samia Harb. Die Libanesin ist erst seit wenigen Tagen im Nordbremer Sprinter-Team. „Wir sind 1990 selbst als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen und haben alles erlebt, was die jetzt erleben“, sagt die 42-jährige Mutter von drei Kindern. Derzeit hilft Samia Harb einigen Klienten, die ihre Zeugnisse beglaubigen lassen müssen, um in Deutschland ihr Studium fortsetzen zu können. „Ich begleite sie zu den Ämtern.“
Viele Flüchtlinge hätten wegen der lateinischen Schriftzeichen massive Probleme mit der deutschen Sprache, weiß Seyfettin Ceylan. Diese Männer und Frauen werden von den Sprintern zu Intensiv-Sprachkursen angemeldet. „In Bremen-Nord geht das schnell, und ich kann die auch noch gleich beim Jobcenter nebenan anmelden“, sagt Ceylan. „Und sobald sie beim Jobcenter angemeldet sind, können sie arbeiten“, ergänzt Marita Klumpe.
„Wir müssen den Flüchtlingen die deutsche Welt verständlich machen“, so die Projektleiterin und gibt ein Beispiel. Eine große Gruppe von Flüchtlingen sei in einen Bus der BSAG eingestiegen. Jeder habe ein Ticket gehabt, aber niemand habe es abgestempelt. Prompt sei ein Kontrolleur gekommen. Der habe aber beide Augen zugedrückt.
Marita Klumpe hat noch ein anderes Beispiel: „Viele Afrikaner zum Beispiel reden sehr laut“, man müsse ihnen also klarmachen, dass es in Deutschland etwas ruhiger zugehe.