Die Zahl der neuen Fälle, die bei der Staatsanwaltschaft eingehen, ist zuletzt deutlich gestiegen. Von etwa 112.000 Eingängen 2022 auf über 140.000 Fälle im vergangenen Jahr. Zwar wurde das Personal der Behörde aufgestockt, was dazu führte, dass auch die Zahl der erledigten Akten stieg. Trotzdem sehen sich die 79 Staatsanwälte der Bremer Behörde jeden Tag aufs Neue mit einem Berg von Akten konfrontiert. Wie wirkt sich dies im Berufsalltag aus? Was macht das mit einem und dem eigenen Berufsbild? Der WESER-KURIER hat nachgefragt und mit drei Staatsanwältinnen gesprochen.
In der Regel beginnt ein Tag für jeden Staatsanwalt mit einem Stapel Akten, der ihm oder ihr von der Geschäftsstelle auf den Schreibtisch gelegt wird. Ein zu bearbeitender Fall kann aus einer dünnen Mappe bestehen, aber auch aus mehreren Kartons voller Aktenbände. Letztlich sage die Dicke der Akte aber nichts darüber aus, wie viel Arbeit in ihr steckt, erklärt Hanna Hentschel, seit drei Jahren Staatsanwältin in Bremen. Und die Herangehensweise bleibe ohnehin gleich: "Wir müssen das alles lesen, durchdenken, verstehen und bewerten." Was fehlt noch? Wo sind weitere Ermittlungen notwendig, welche Arbeitsaufträge sind zu erteilen? Oder auch: Kann der Fall eingestellt werden?
Nicht jede Akte auf dem Schreibtisch ist ein neuer Fall. In dem täglichen Stapel befinden sich auch die Bestandsverfahren, die zum Beispiel nach der Bearbeitung durch die Polizei zurückkommen. Akten gehen meist mehrfach durch die Hände des bearbeitenden Staatsanwaltes. Aber auch die Zahl der zu bearbeitenden neuen Fälle pro Jahr dürfte über 1000 liegen, schätzen die drei Staatsanwältinnen.
Wie bei der Bearbeitung der Fälle vorgegangen wird, obliegt jedem Staatsanwalt selbst. "Man schaut in jede Akte rein, sieht, was zu tun ist und priorisiert dann", erklärt Anna Kulgart, seit zehn Jahren Staatsanwältin in Bremen. Es gebe Tage, da schaffe sie nur eine einzige Akte – jedenfalls, wenn es sich um ein großes, komplexes Verfahren handelt. An anderen Tagen entscheide sie: "Heute mach ich mal Masse." Gemeint sind damit kleinere, schnellere und ohne großen Aufwand zu bearbeitende Fälle. Davon schaffe man auch mal 20 Akten am Tag.
"Man entwickelt mit der Zeit ein Gefühl dafür, was sofort bearbeitet werden muss und was noch etwas liegen bleiben kann", sagt Hanna Hentschel. Zudem gebe es Hinweise durch die Geschäftsstelle, was besonders eilig ist, ergänzt Greta Gewieß, seit eineinhalb Jahren Staatsanwältin. Ansonsten könne das jeder für sich sortieren. "Ich zum Beispiel lege mir die schwierigeren Sachen gerne an den Anfang des Arbeitstages." Wobei das mit der Planung des Arbeitstages aber so eine Sache sei. "Ich mache mir zwar einen Plan, was ich erledigen will, doch meistens kommt dann ohnehin etwas dazwischen", erzählt Gewieß. Eine vorrangig zu bearbeitende Haftsache zum Beispiel. Oder dass man ungeplant in einer Sitzung einspringen müsse.
Anderseits mache dies ja gerade einen Teil des Reizes ihrer Arbeit aus, findet Hanna Hentschel. Immer wieder umzudenken, schnell auf unterschiedliche Lagen zu reagieren. Ja, man habe als Staatsanwältin viel zu tun. Und ja, das verlange einem viel ab. "Aber das ist auch eine sehr erfüllende Aufgabe."
Eine konkrete Vorgabe, wie viele Akten jeder Staatsanwalt zu erledigen hat, gebe es nicht, sagt Anna Kulgart, räumt aber ein, dass durch so einen Stapel zu bearbeitender Akten schon ein gewisser Druck entstehe. "Aber damit muss man umgehen und das lernt man mit der Zeit auch." Hilfreich sei, gerade bei schwierigen Fällen, das Gespräch mit Kollegen. "Man bekommt im Kollektiv viel Hilfe. Wir haben bei uns eine relativ hohe Teamfähigkeit."
Sie schätze zudem, dass sie ortsflexibel und eigenständig arbeiten könne, sagt Kulgart. Was ihr helfe, Familie und Beruf unter einen Hut zu bekommen. Sicher, am Ende müsse man die Arbeit schaffen, was auch bedeuten könne, abends oder am Wochenende arbeiten zu müssen. "Aber ich kann vieles absprechen, planen und organisieren."
Zugegeben, es gebe schon Tage, an denen man denke: "Jetzt hast du so viel gearbeitet und trotzdem liegt da wieder so ein Berg vor dir". Aber das sei in anderen Berufen nicht anders. Den Spaß an der Arbeit, da sind die drei Frauen sich einig, könne ihnen das nicht nehmen: "Wir ermitteln gerne." Straftaten zu verfolgen, Be- und Entlastendes herauszufinden – "ich stehe gerne für das Richtige ein", sagt Hanna Hentschel. Was auch ein Freispruch sein könne, betont sie. "Man ist von Anfang an dabei, kann vorgeben, in welche Richtung die Ermittlungen gehen – das ist eine wichtige und schöne Aufgabe", findet auch Anna Kulgart. "Und ein guter Dienst für unser Zusammenleben." Greta Gewieß fasst es in drei Worten zusammen: "Ein sinnstiftender Beruf."