Mehr als die Hälfte der Flüchtlinge besteht ihren Deutschtest nicht. Die Zahl derjenigen, die in Jobs vermittelt werden können, ist gering. Es gibt zu wenig Wohnungen. Und die Bereitschaft der Bevölkerung, Flüchtlinge ehrenamtlich zu unterstützen, ist gesunken. 2015 hat unsere Redaktion Familien ein Jahr lang begleitet und miterlebt, wie sie in der neuen Heimat erste Erfahrungen gesammelt haben. Die Serie „Fluchtpunkte“ beleuchtet erneut die Situation der Flüchtlinge in Bremen-Nord aus verschiedenen Perspektiven, um so ein Gesamtbild rund drei Jahre nach der Ankunft zu skizzieren. Es geht darum, welche Sorgen die Familien heute haben und was passieren muss, damit die Neuankömmlinge integriert werden können.
Mehr als 68 Millionen Menschen sind nach Zahlen des UN-Flüchtlingswerks UNHCR weltweit auf der Flucht, das sind mehr als je zuvor. Doch die Zahl der Schutzsuchenden, die in Deutschland ankommen, ist in den vergangenen drei Jahren stetig geschrumpft. 890 000 Menschen suchten 2015 Zuflucht in Deutschland. Ein Jahr später war es nur noch ein Drittel dessen: 280 000.
„Im ersten Quartal 2018 sind 375 Menschen nach Bremen gekommen, um einen Antrag auf Asyl zu stellen“, sagt Bernd Schneider vom Sozialressort. Etwa ein Drittel waren Syrer, ein Zehntel Afghanen. Außerdem suchten 30 Männer und Frauen aus der Türkei, 26 aus Ägypten, 25 aus dem Iran, 17 aus der Russischen Förderation und nicht zuletzt 15 Menschen aus dem Irak Schutz in Bremen. Trotz sinkender Zahlen sagt Schneider: „Die Herausforderungen in der Integration sind nach wie vor erheblich.“
Längst geht es nicht mehr nur um Fragen der sofortigen Unterbringung. Notunterkünfte wie die Zelte, die das Sozialressort an der Ermlandstraße und der Heidlerchenstraße hatte aufbauen lassen, sind aufgelöst worden. Heute gibt es nach Angaben der Sozialbehörde stadtweit noch 5000 Plätze in Übergangsheimen. Die meisten Plätze gibt es wegen der zentralen Erstaufnahmeeinrichtung in Vegesack: 840. In Lesum sind es 390, in Blumenthal aktuell 330 Plätze. Nach Auskunft der Sozialbehörde sind 2015 mehr als 1500 Schutzsuchende in eine Wohnung vermittelt worden, 2016 waren es bereits über 1800. „Vermittelt wird immer noch in hoher Zahl“, so Bernd Schneider. Die Wohnungssuche bleibt in der Flüchtlingsfrage ein wichtiges Thema. Mitarbeiter des Awo-Migrationsdienstes verzeichnen hier viel Beratungsbedarf. Obgleich es ein Projekt „Mehr Wohnungen für Flüchtlinge in Bremen“ der Sozialbehörde gibt, ist das von Gewoba, Brebau und privaten Vermietern zur Verfügung gestellte Wohnungskontingent inzwischen geschrumpft. So sind einige Großfamilien gezwungen, weiter in Übergangswohnheimen zu leben.
Die Zahl der Flüchtlinge geht zwar zurück, aber der Beratungsbedarf ist sogar leicht gestiegen. „Wir arbeiten in der Beratungsstelle für Flüchtlinge inzwischen mit vier Kolleginnen und haben 2017 in 1033 Fällen unterstützt und geholfen. 2016 waren es noch 975 Fälle. Was sich verändert hat, sind die Beratungsinhalte. Ganz viel wird nach Familiennachzug gefragt“, sagt Awo-Mitarbeiterin Andrea Nolte-Buschmann.
Ein großes Hemmnis bei der Integration bleibt die Sprachbarriere. Mehr als die Hälfte aller Zuwanderer besteht den Deutschtest am Ende der Integrationskurse nicht. Knapp jeder Zweite erreichte nach Angaben des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf) das Kursziel B1 nicht. „Man muss auch sehen: Die Menschen kamen mit unterschiedlichem Qualifikationsniveau. Anfangs kamen Akademiker aus Syrien, Studenten mit guter Schulbildung, später auch weniger qualifizierte Menschen. Sie tun sich entsprechend schwerer mit dem Erlernen einer fremden Sprache“, sagt Bernd Schneider. Man dürfe auch nicht vergessen, dass viele ihre Familien zu Hause auf der Flucht zurückgelassen haben und traumatisiert vom Krieg gar nicht in der Lage waren, sich als Erstes um die deutsche Sprache zu bemühen.
Doch die mangelnden Sprachkenntnisse führen dazu, dass das Jobcenter erst wenige Flüchtlinge in Lohn und Brot vermitteln konnte. Nach Worten des Geschäftsführers des Vegesacker Jobcenters, Volker Wöhlmann, waren im April 2018 exakt 1797 Flüchtlinge in Bremen-Nord arbeitssuchend gemeldet. Aber nur 126 Menschen konnten 2017 in den ersten Arbeitsmarkt vermittelt werden. Dass es funktionieren kann, zeigen Positivbeispiele. Etwa das eines 20-Jährigen aus dem Senegal, der als erster Geflüchteter bei Arcelor Mittal eine Ausbildung durchläuft.
Als das Wort Flüchtlingskrise erstmals die Runde machte, meldeten sich sofort viele Nordbremer spontan, um zu helfen. „Der große Enthusiasmus ist weg“, sagt Jochen Windheuser, Sprecher der Initiative. Die Gruppe der Ehrenamtlichen der Willkommensinitiative Vegesack ist mittlerweile um etwa die Hälfte geschrumpft. Einige Flüchtlingshelfer hätten der Initiative nur deshalb den Rücken gekehrt, weil sie „ihre“ Geflüchteten nur noch auf persönlicher Basis begleiten wollten. Andere hätten sich mit der Begründung zurückgezogen, sie seien nun zu alt oder es seien jetzt nicht mehr so viele Geflüchtete, die kommen und Hilfe brauchen. Der frühere Hochschulprofessor Windheuser glaubt, dass es auch daran liegt, dass sich die Arbeit der Ehrenamtlichen im Laufe der Zeit verändert hat: „Das, was jetzt erforderlich ist, überfordert viele Ehrenamtliche."
Es melde sich niemand mehr automatisch, stellt auch Wolfgang Schröder von der Burglesumer Willkommensinitiative fest: "Man muss an die Leute rangehen." Regelmäßig informiert die Initiative deshalb in einem Infobrief über Aktivitäten und verzeichnet inzwischen sogar Zuwächse. Die Initiative zähle 150 Personen: "Viele wollen keine Zeit aufbringen und keine feste Aufgabe übernehmen, sind aber bereit, kurzfristig auszuhelfen", so Schröder. Zusammen mit seinem Team und Geflüchteten hat Schröder seit 2016 um die 250 Räder in der Fahrradwerkstatt auf dem Areal der Friedehorst-Stiftung repariert. Nächste Wochen will das Team eine zweite Werkstatt am Wohnheim am Rastplatz eröffnen. "Unsere Kanzlerin sagt, wir schaffen das – aber ohne Ehrenamtliche würde es auch heute nicht gehen."
Dieser Artikel ist Teil der zwölfteiligen Serie "Fluchtpunkte".
Die anderen Teile finden Sie hier: