Frauen verdienen weniger als Männer, das ist statistisch bewiesen. Die Frage nach der Größe der Lohnlücke sorgt aufs Neue zum Equal Pay Day für Diskussionen. Denn die geschlechtsspezifische Lohnlücke, auch Gender Pay Gap genannt, wird je nachdem, wen man fragt, unterschiedlich groß beziffert. Mal 21 Prozent, mal sechs Prozent. Beide Quoten beantworten die Frage nach der Lohnlücke zwar, aber hinter den Zahlen stecken unterschiedliche Ursachen und Probleme. Welche der beiden maßgeblich für die Politik oder mögliche Gesetzesentwürfe sind, ist deshalb nicht einfach zu beantworten.
An beiden Quoten ist nichts falsch. Allerdings nutzen Statistiker für ihre Berechnung unterschiedliche Ausgangslagen: Bei der bereinigten Quote von sechs Prozent werden die Stundenlöhne von Frauen und Männern mit gleichen Qualifikationen und in den gleichen Berufen verglichen, bei der unbereinigten Quote von 21 Prozent hingegen alle Durchschnittsverdienste der jeweiligen Geschlechter unabhängig von ihrem Beruf.
Frauen häufiger in Teilzeit
An diese zweite Quote ist auch das Datum für den Equal Pay Day geknüpft: Bezieht man diese Lohnlücke auf das Jahr, ist der 18. März der Tag, ab dem Frauen ihr Gehalt bekämen – während Männer schon seit Neujahr bezahlt werden würden. Während Männer 2016 einen durchschnittlichen Bruttostundenverdienst von 21 Euro hatten, waren es bei den Frauen 16,59 Euro – 21 Prozent weniger. Im Bundesland Bremen lag die Gehaltslücke 2017 sogar bei 23 Prozent, schlechter sieht es nur in Hessen, Baden-Württemberg und Bayern aus. Außerdem steht Deutschland im europäischen Vergleich schlecht da, denn der europäische Gender Pay Gap liegt bei 16 Prozent. Nur in Tschechien, Österreich und Estland ist die Lücke größer.
Das Statistische Bundesamt begründet diese Differenz mit den Bruttostundenverdiensten der unterschiedlichen Branchen und Berufe, in denen Frauen und Männer tätig sind. Auch ungleiche Verteilung auf Führungspositionen spiele eine Rolle, außerdem seien Frauen öfter in Teilzeit beschäftigt als Männer. „Damit lassen sich Dreiviertel des Gender Pay Gap erklären“, heißt es im Bericht des Bundesamtes.
Solche Erklärungen ärgern Bärbel Reimann, Vertreterin der Bremer Landesbeauftragten für Frauen. Der Staat müsse sich auch für die unbereinigte Quote interessieren. „Sie ist eine Kennzahl für die Ungleichheit auf dem Arbeitsmarkt.“ Denn die Gehaltslücke habe grundsätzlich mit drei Faktoren zu tun: strukturelle Probleme bestimmter Branchen, ungleiche Bezahlung bei gleicher Qualifikation sowie die Vereinbarkeit von Beruf und Familie.
Bremen hat viele gut bezahlte Männerberufe
In Bremen werden diese Probleme durch die ortsansässigen Branchen verschärft. „Bremen als Wirtschaftsstandort ist sehr speziell.“ Auf der einen Seite gebe es extrem gut bezahlte Arbeitsplätze in der Luftfahrt-, Raumfahrt- sowie Automobilindustrie, auf der anderen Seite ausgeprägte Einzelhandels-, Tourismus-, Gastronomie- und Pflegesektoren. Kurz gesagt: Viele gut bezahlte Männerberufe stehen schlecht bezahlten Frauenberufen gegenüber.
Neben der Branche wirkt sich auch das Arbeitszeitmodell auf das Gehalt aus. Nach Angaben der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten werden in Bremen 67 Prozent der Teilzeit- und Minijobs von Frauen ausgeführt. Reimann sagt, dass sich das besonders im Einzelhandel zeige. Dort seien die Stundenlöhne gering und die Aufstiegschancen rar. „Wo gibt es schon Führung in Teilzeit?“, sagt Reimann. Deswegen sei es auch im Einzelhandel üblich, dass Filialleitungen von Männern besetzt werden. Dahinter stecke auch die Idee, dass Frauen wegen ihrer Familie nicht nach oben wollen. „Bei Frauen rechnet man mit der Schwangerschaft und dem Ausstieg.“
Schon beim Berufseinstieg hätten es Frauen schwer, die gleichen Gehälter und Aufstiegschancen wie die männlichen Kollegen zu bekommen. Allerdings seien Berufsunterbrechungen das weitaus größere Problem: „Da, wo die Kinder kommen, vergrößert sich der Gender Pay Gap“, sagt Reimann. Denn durch den Mutterschutz und die Elternzeit fallen Frauen regelrecht zurück. Während Männer Fortbildungen machen und aufsteigen, bleiben Frauen zu Hause bei den Kindern. „So wird es nahezu unmöglich, die Lücke zu schließen.“ Das heißt: Auch wenn Frauen und Männer mit gleichem Gehalt eingestiegen sind, kommt der Bruch spätestens bei der ersten Schwangerschaft und beruflichen Auszeiten. Wenn Frauen dann noch in Teilzeit gehen, um sich um die Kinder oder Angehörige zu kümmern, vergrößert sich der Lohnunterschied.
Esther Schröder von der Arbeitnehmerkammer Bremen beschäftigt sich seit vielen Jahren mit diesen Problemen. „Je länger Frauen raus sind, desto schwerer ist der Anschluss“, sagt sie. Gerade in Zeiten der Digitalisierung werden Qualifikationen schnell entwertet. Schröder und ihre Kolleginnen beraten regelmäßig Frauen in der Arbeitnehmerkammer. Sie empfehlen ihnen meist, nach der Geburt der Kinder möglichst kurze Auszeiten zu nehmen und zu versuchen, nicht zu lange in Teilzeit zu arbeiten. „Ich tue meinem Kind nichts Schlechtes, wenn ich voll arbeiten gehe“, sagt Schröder. Doch auch die Unternehmen seien gefragt, um etwa eine stufenweise Wiedereingliederung zu ermöglichen.
Höheres Armutsrisiko für Frauen
Eines der Hauptprobleme hinter der Lohnlücke zwischen den Geschlechtern sei allerdings die unterschiedliche Bewertung von Frauen- und Männerarbeit, sagt Schröder: Zum einen werden Frauenberufe grundsätzlich schlechter bezahlt. Zum anderen werden aber Männer, die in diesen frauentypischen Branchen arbeiten, besser bezahlt als ihre Kolleginnen. Karrierechancen gibt es für Frauen in diesen Branchen kaum, auch in anderen Jobs haben sie es schwer. Die Auswirkungen zeigen sich bis ins Alter, wo Frauen nur halb so viel Rente bekommen wie die Männer.
Karin Gottschall, Professorin für Soziologie an der Universität Bremen, beschäftigt sich in ihrer Forschung seit Jahren mit typischen Frauenberufen. „Das Verständnis ist weit verbreitet, dass der Dienst am Nächsten eine Berufung ist und keine Erwerbstätigkeit.“ Das sei besonders in Deutschland sehr ausgeprägt. „Frauen übernehmen in der Familie unentgeltlich die Hausarbeit und oft auch die Pflege von Angehörigen“, sagt Gottschall. Das hemme bis in die heutige Zeit Initiativen, diese Berufe besser zu entlohnen. Einkommen in der Altenpflege oder auch Kinderbetreuung seien oft nicht existenzsichernd, wegen der hohen Belastung werden sie außerdem oft in Teilzeit ausgeübt. Damit erhöhe sich für Frauen in diesen Bereichen auch das Armutsrisiko. Besonders betroffen seien Frauen ohne Partner mit einem weiteren Einkommen oder alleinerziehende Frauen.
Sie sagt, ein wichtiger Schritt nach vorne wäre eine Aufwertung bestimmter Berufsgruppen: „Die Sozial-, Erziehungs- und Gesundheitsberufe müssen besser entlohnt werden, sonst wird die Lohnlücke nicht verringert.“ Der unbereinigte Gender Pay Gap habe gesellschaftliche Gründe. Darin sei ersichtlich, dass der Teil der Bevölkerung, der etwa Pflege außerhalb des Marktes leiste, auf dem Arbeitsmarkt systematisch benachteiligt werde. Außerdem zeige auch die bereinigte Quote, dass Männer und Frauen mit ähnlichen Qualifikationen unterschiedlich entlohnt werden. Denn: Die Ausbildungszeit eines Mechatronikers und einer Einzelhandelskauffrau sei zwar gleich, die Einstiegsgehälter und Aufstiegschancen allerdings grundverschieden.
Gottschall sagt, dass eine Lösung des Problems in neuen Erwerbsmodellen liege. So gebe es skandinavische Arbeitsmodelle, in denen beide Geschlechter in einer Art langfristiger Teilzeit arbeiten, bei der trotzdem ein guter Verdienst herauskomme: „Wenn beide zusammen 60 Stunden pro Woche arbeiten, können sie eine Familie ernähren und haben zugleich Zeit für ihre Kinder und den Partner.“ In Deutschland sei das schon bei höher qualifizierten Paaren, sogenannten Dual-Career-Konstellationen, oder in neuen Elternzeitmodellen erkennbar. Das müsse für mehr Familien möglich sein. „Wir leben in einer Gesellschaft, in der die soziale Sicherung davon abhängig ist, wie kontinuierlich und umfangreich die Erwerbstätigkeit ist“, sagt Gottschall. Deswegen sei es auch nicht egal, ob die Frau oder der Mann die Kinder betreue. „Frauen zahlen einen höheren Preis.“
Bessere Vernetzung für Frauen
Was also tun, um die Lohnlücke zu überwinden und Frauen in der Karriere zu fördern? Häufig werde argumentiert, sagt Gottschall, Frauen müssten bei Fragen des Aufstiegs nachdrücklicher Gehaltserhöhungen und Beförderungen fordern oder sich besser vernetzen. Sicher sei die Netzwerkkultur bei Männern ausgeprägter, weil sie schon wesentlich länger bestehe, sagt Gottschall. Allerdings sei es schwer für Frauen, neben dem Beruf, Pflege von Angehörigen und Kindererziehung auch noch Netzwerke aufzubauen. „Wenn es Frauen allerdings gelingt, sich zu vernetzen, dann können sie davon auch profitieren.“
Am besten sei es jedoch, wenn reduzierte Arbeitszeiten und Sorge für Familienmitglieder im Erwerbssystem nicht mehr bestraft werden. Nur so könne eine Gleichverteilung erreicht werden. Doch der Weg, sagt Gottschall, sei noch lang.