Bremen-Nord/Schwanewede. Die Züchtung von Tieren betreibt der Mensch bereits seit der Jungsteinzeit: Hühner, Schafe, Ziegen, Schweine oder Rinder liefern Fleisch, Milch, Daunen, Leder oder Fell. Im Laufe vieler Jahrhunderte haben sich die Nutztierrassen an die Gegebenheiten einzelner Regionen angepasst, wie zum Beispiel die Küsten mit ihren salzigen Böden oder Moore und Heiden mit ihrem meist dürren Bewuchs. Schafe entwickelten dicke Wollfelle zum Schutz vor Kälte, harte Klauen oder robuste Mägen und können deshalb bis heute ganzjährig draußen gehalten werden. Rassen wie das Schwarzbunte Rind, Heide- oder Moorschnucken oder auch das Rheinische Kaltblutpferd erwarben eine spezifische genetische Ausstattung, die sich in Verhalten und Aussehen niederschlägt.
Alte Rassen wie zum Beispiel Wollschweine liefern jedoch nicht nur hochwertiges Fleisch oder sind eine Attraktion besonders für Kinder – wegen ihrer Genügsamkeit werden viele Rassen von Schafen, Ziegen, Rindern oder Pferden auch als Landschaftspfleger im Naturschutz eingesetzt: Auf dem Sandspülfeld Mittelsbüren im Werderland betreibt der BUND Bremen zum Beispiel ein Beweidungsprojekt mit Dülmener Pferden, einer harten und anspruchslosen Rasse, die den Wildpferden genetisch noch nahe steht. Die beiden Stuten im Werderland stammen vom Hof Tütsberg in Schneverdingen, wo sie vor allem für die Offenhaltung der Lüneburger Heide eingesetzt werden. Durch ihren Verbiss halten sie einen mageren Rasen offen, der mit seinen vielen Sandstellen Lebensraum für seltene Pflanzen- und Tierarten bietet, seien es Flechten, Sandlaufkäfer oder Ödlandschrecken.
140 Rassen auf der Roten Liste
Seit der Industrialisierung der Landwirtschaft engte sich das Spektrum von Nutztieren immer weiter ein, da sie meist auf Hochleistung gezüchtet wurden: Hohe Milchproduktion und schnelles Wachstum standen im Vordergrund. Die Gesellschaft zur Erhaltung alter und gefährdeter Haustierrassen (GEH) versucht in Regionalgruppen, wie im Bereich Weser-Ems, die Vielfalt alter und gefährdeter Nutztiere zu bewahren und führt unter anderem Rote Listen, auf denen bereits rund 140 Rassen verzeichnet sind. In jüngster Zeit sind die Bemühungen um den Erhalt gefährdeter Nutztierrassen jedoch vor große Herausforderungen gestellt: Vor allem Virusinfektionen wie die Geflügelgrippe und die Afrikanische Schweinepest (ASP) und nicht zuletzt der Wolf bereiten den Haltern und Züchtern zunehmend Probleme.
Da die Geflügelpest vor allem durch Vögel in der freien Natur übertragen wird, besteht seit Mitte November 2021 eine Aufstallungspflicht für alle Geflügelhalter – das heißt, Gänse, Enten oder Hühner dürfen sich nicht mehr im Freiland aufhalten. „Die Tiere leiden sehr darunter“, sagt Wolfgang Schüßler, Vorsitzender der GEH, „ich selber züchte Gänse, von denen eine wie ein Knastbruder hin und herläuft.“ Die an Freilandleben gewöhnten und nun aufgestallten Tiere würden häufig keine Ruhe finden, um zu brüten, und dann bleibe auch der Nachwuchs aus. Wolfgang Schüßler hält deshalb eine Differenzierung des Aufstallungsgebot für sinnvoll: „Warum sind die Halter kleiner Bestände genauso betroffen wie Betriebe, in denen viele Tiere in großer Zahl und dicht an dicht gehalten werden, bei denen die Anstekungsgefahr doch weit größer ist?“ fragt er.
Die Draußenhaltung ist auch für die Züchter gefährdeter Schweinerassen problematisch geworden: Den Tieren droht die Afrikanische Schweinepest (ASP), die durch Wildschweine übertragen wird, wenn diese in Kontakt zu Hausschweinen kommen. „Ganz besondere Sorgen macht uns der Wolf“, sagt Wolfgang Schüßler, „wegen seiner Ausbreitung ist die Zahl der Halter alter Nutztierrassen zurückgegangen.“
Karsten Bode, der mit Ehefrau Tanja in Schwanewede Wollschweine, Hornlose Moorschnucken oder Leine- und Lippegänse hält, kann dies bestätigen: „Der Trend ist, dass immer mehr Halter und Züchter alter Nutztierrassen aufgeben, wie bereits zwei Schafhalter in Schwanewede“, sagt Karsten Bode. „Wir halten inzwischen die Moorschnucken und auch die Wollschweine im Stall“, sagt er. „Das ist eigentlich eine ziemliche Tierquälerei, denn diese Rassen sind nicht an Stallhaltung, sondern an ein Leben draußen gewöhnt“, sagt Bode. Er macht vor allem die Bedrohung durch den Wolf dafür verantwortlich, dass immer weniger alte und gefährdete Nutztierrassen gehalten werden. „Die Wolfspopulationen steigen stark an, und die Entschädigungen sind unzureichend gib: Es gibt sie nur für Schafe, Ziegen, Gatterwild, Rinder und Pferde – wer wie wir Wollschweine züchtet, geht leer aus.“ Doch die Entschädigungen erhalte man auch nur für gerissene Tiere: Bei der Deichschäferei von René Krüger in Schwanewede seien 30 Schafe gerissen worden, doch 30 Tiere wären auch spurlos verschwunden – für sie gibt es keinerlei finanziellen Ausgleich.
Auch Karsten Bode überlegt inzwischen, ob er seine Tiere in Zukunft noch halten kann: „Denn die Probleme werden immer größer. So haben wir 3.000 Euro aus eigener Tasche für den Bau von Zäunen investiert, um unsere Tiere vor dem Wolf zu schützen“, sagt er, „und bei solchen Kosten ist es fraglich, ob sich die Haltung alter Nutztierrassen überhaupt noch lohnt.“