Blumenthal. Der Bildungsgang ist am Schulzentrum (SZ) Blumenthal noch jung: Im Herbst 2019 wurde an der Eggestedter Straße erstmals die Ausbildung Heilerziehungspflege angeboten. Die 44 Schülerinnen und Schüler, die jetzt ganz neu in zwei Klassen begonnen haben, gehören also erst zum zweiten Ausbildungsjahrgang an den Beruflichen Schulen für Hauswirtschaft, Sozialpädagogik und Gesundheit/Pflege des Schulzentrums.
Die Auszubildenden haben alle zuvor schon in der Heilerziehungspflege gearbeitet, denn wenigstens ein Praktikum in diesem Berufsfeld ist eine Zulassungsvoraussetzung für Bewerber. Dabei haben schon mehrere der neuen Auszubildenden die Erfahrung gemacht: Mit ihrer Berufsbezeichnung sind viele Heilerziehungspfleger nicht sonderlich glücklich. Der Grund: Sie sagt wenig darüber aus, was den Beruf kennzeichnet. Zudem steht das Wort „Heil-“, abgeleitet vom Begriff „Heilen“, im Zusammenhang mit dem Thema Behinderung in der Kritik, da er suggeriert, dass es um die Heilung einer Krankheit und somit von etwas Defizitärem geht.
Auch deshalb plädierten die Teilnehmer eines Treffens der Bundesarbeitsgemeinschaft der Ausbildungsstätten für Heilerziehungspflege für die neue Berufsbezeichnung „Fachkraft für Teilhabe und Pflege“. Diese Kurzfassung macht eher deutlich, worum es in dem Beruf geht: Um die Begleitung und Unterstützung von Menschen mit geistiger, körperlicher oder seelischer Behinderung mit dem Ziel, deren Eigenständigkeit zu stärken und zu einer möglichst selbstständigen Lebensführung im Alltag zu befähigen.
In der ersten Klasse des Bildungsgangs starteten im Herbst 2019 insgesamt 22 junge Frauen und Männer am SZ Blumenthal. Grundsätzlich besteht die Möglichkeit, die Ausbildung in Vollzeit zu machen. Dann dauert sie zwei Jahre und es schließt sich ein zwölfmonatiges, bezahltes Anerkennungspraktikum an. „Dafür hat sich aber bisher niemand beworben. Alle Schülerinnen und Schüler machen die Ausbildung bei uns in Teilzeit“, sagt Susann Schilling, Bildungsgangsprecherin der Fachschule Heilerziehungspflege.
Der Vorteil der dreijährigen Teilzeitausbildung: Die Auszubildenden besuchen die Schule an drei Tagen und können in der übrigen Zeit arbeiten und Geld verdienen. Sofern es sich um eine Tätigkeit in der Heilerziehungspflege handelt, können sie außerdem das anschließende Anerkennungspraktikum verkürzen. „Die meisten Schüler arbeiten bei einem unserer Kooperationspartner, die auch Praktikumsplätze anbieten“, erläutert Schilling. Dazu gehören der Martinsclub, die Lebenshilfe, die Arbeiterwohlfahrt, das Jugendgemeinschaftswerk, Friedehorst Teilhabe Leben und die Diakonische Behindertenhilfe Lilienthal.
Große Altersspanne
Dort sammeln sie weitere praktische Erfahrungen. Doch auch die theoretische Ausbildung, die neben den zwei allgemeinbildenden Fächern (Deutsch und eine Fremdsprache) die Lernfelder Sozialpädagogik, Gesundheit, Kommunikation, „Teilhabe von Menschen mit Behinderung“, Qualitätsmanagement und „Praxis professionell gestalten“ beinhaltet, hat viele praktische Bezüge. So gibt es Übungen zur Pflegepraxis und zur Psychomotorik, bei der die Auszubildenden lernen, wie sie einen Menschen vom Bett in einen Rollstuhl transferieren. „Auch Rollenspiele, Simulationen an Pflegepuppen und eine Rollstuhlrallye von Bremen nach Hannover gehören dazu“, nennt Schilling weitere Beispiele.
Etwa 15 bis 20 Stunden arbeiten die angehenden Heilerziehungspfleger in der Regel neben der schulischen Ausbildung, so Schilling. Schulgeld müssen die Auszubildenden am SZ Blumenthal nicht bezahlen. Die Altersspanne der Schülerinnen und Schüler reicht aktuell von 18 bis 57 Jahren. „Wir haben Azubis, die schon 15 Jahre lang in Wohnheimen gearbeitet haben. Andere haben bisher lediglich Erfahrung in einem freiwilligen sozialen Jahr gesammelt“, erläutert die Bildungsgangsprecherin den Hintergrund.
Muhammed Ates hat im vergangenen Jahr sein Fachabi gemacht und anschließend in einer Wohngruppe für Menschen mit Behinderungen in Friedehorst hospitiert. Dort arbeitet der 18-Jährige nun auch während seiner Ausbildung weiter. „Mir ist wichtig, mit Menschen zu arbeiten, ihnen helfen zu können“, betont der junge Mann. Nach der Ausbildung zum Heilerziehungspfleger, mit deren Abschluss die Absolventen die Hochschulzugangsberechtigung bekommen, möchte er „Soziale Arbeit“ studieren.
Auch Bente Brünjes kann sich einen Job ohne Kontakt zu Menschen nicht vorstellen. Nach einem freiwilligen sozialen Jahr im Kinderhaus Mara der Stiftung Friedehorst hat sie dort zwei Jahre lang als ungelernte Kraft weitergearbeitet. Auch während ihrer Ausbildung zur Heilerziehungspflegerin, die sie jetzt begonnen hat, wird sie dort weiter tätig sein. „Man bekommt so viel zurück, ein Lächeln oder eine herzliche Umarmung“, sagt die 22-Jährige, die in einer Gruppe mit Kindern zwischen vier und elf Jahren arbeitet, von denen viele schwerst-mehrfach behindert sind. „Es ist oft auch anstrengend, aber schön. In unserer Gruppe geht es sehr familiär zu. Wir sind oft wie ein Elternersatz für die Kinder.“
Nicole Baumgart, die bereits im zweiten Ausbildungsjahr ist, hat über Umwege zu ihrem Traumberuf gefunden. Die 43-Jährige ist Diplom-Geologin und Bürokauffrau, hat einige Zeit bei einem Sicherheitsdienst gearbeitet und ist dann durch Zufall als Betreuerin im Haus Mara gelandet. „Kontakt zu Menschen mit Behinderungen hatte ich schon immer, schon seit meiner Kindheit“, erzählt sie. Dann stellte sie fest, dass ihr die Arbeit in diesem Bereich liegt und richtig viel Spaß macht. „Als eine Stelle frei wurde, habe ich mich beworben.“
Bereits seit 2015 arbeitet sie in einer Wohngruppe der Stiftung Friedehorst in der Neustadt. Im Mittelpunkt ihrer Arbeit steht seither die Begleitung und Förderung der Bewohner. „Die Einrichtung wurde von einer stationären in eine ambulante umgewandelt und es ist toll zu sehen, dass die Menschen im Laufe der Zeit immer selbstständiger werden.“ Für ihren Beruf und für Menschen mit Behinderungen hat Nicole Baumgart einen Wunsch: „Mehr Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit.“
Die Berufsaussichten für Heilerziehungspfleger sind sehr gut, betont Susann Schilling. „Die Träger suchen händeringend nach Auszubildenden und übernehmen sie auch sehr gerne. Wenn man bei der Arbeitsagentur nachschaut, findet man bestimmt 100 unbesetzte Stellen.“ Die Einsatzgebiete sind vielfältig: Heilerziehungspfleger arbeiten beispielsweise in Wohnheimen für Menschen mit Behinderungen, Tagesförderstätten, Werkstätten, als Schulassistenz, in familienentlastenden Diensten und in Kindergärten mit heilpädagogischen Schwerpunkten. Für ihre Arbeit wünschen sich die angehenden Heilerziehungspfleger mehr Anerkennung in der Öffentlichkeit. Ihr Eindruck ist: Vor allem während des Lockdowns aufgrund der Corona-Pandemie seien die Menschen mit Behinderungen und die Fachkräfte, die mit ihnen arbeiten, oftmals vergessen worden.
Azubis fordern Bildungsprämie
Auch weil der Bedarf an Heilerziehungspflegern sehr groß ist, haben die Schüler vom Schulzentrum Blumenthal sich kürzlich mit einem Anliegen schriftlich an Bildungssenatorin Claudia Bogedan (SPD) gewandt. Sie wünschen sich für ihre Ausbildung eine Bildungsprämie, wie sie angehende Erzieher an den öffentlichen Fachschulen seit 1. August bekommen. „Wir arbeiten auch in Kindergärten, sind wichtig für die Inklusion und arbeiten pädagogisch, erzieherisch und pflegerisch“, argumentieren die Auszubildenden. Mit der Antwort der Senatorin sind sie nicht zufrieden. „Es gab leider keine Begründung dafür, warum Heilerziehungspfleger keine Bildungsprämie bekommen. Ehrlich gesagt fühlen wir uns vergessen.“