Blumenthal. Im Zentrum der Saatgut-Tauschbörse steht ein großer Tisch mit zahlreichen Kisten. In ihnen liegen Hunderte von Papiertütchen mit den Samen von Pflanzenarten und -sorten. Akribisch vermerkt ist auf jeder Tüte, wie die Art heißt, zu welcher Sorte sie gehört, wann die Samen gewonnen wurden und wie viele es sind.
Das Projekt „Klimaschutz in Blumenthal – ein Quartier im (Klima-)Wandel“ hatte jetzt im Quartierstreff Blumenthal zu einer Saatgut-Tauschbörse eingeladen. Jeder konnte Samen mitbringen und gegen andere eintauschen, aber auch Saatgut aus den Kisten gegen eine Spende mitnehmen.
Besucherin Irmgard Schwich aus Vegesack zum Beispiel hat sich Saatgut von Kürbis, Wildtomate, Stangen- und Feuerbohnen eingepackt. „Ich möchte in meinem kleinen Garten auch mal ein paar andere Pflanzenarten haben“, sagt Schwich. „Und um die Vielfalt in meinem Garten zu steigern, baue ich Gemüse und Blumen in Mischkulturen an.“
„Solche Pflanzenvielfalt im Garten fördert das Leben von Bodenorganismen und von Insekten, die Blüten bestäuben, und damit wiederum viele Vogelarten, die sich von Bodentieren und Blütenbesuchern ernähren“, sagt Heike Schneider, Gärtnerin im Blumenthaler Klimaprojekt. Während der Saatgut-Tauschbörse gibt sie einen kleinen Workshop, auf dem sie zeigt, wie man Saatgut-Tüten selber herstellt: Ein kleines quadratisches Stück Papier wird zunächst diagonal gefaltet, dann werden zwei Ecken nach innen geknickt und eine Ecke in die Lasche der anderen Ecke geschoben. „So entsteht eine Tüte, aus der das Saatgut nicht herausfällt“, sagt Schneider.
Industrie schafft Abhängigkeit
Wissen, wie man Saatgut gewinnt, reinigt und lagert, wenn man die Pflanzen im eigenen Garten selbst zur Vermehrung bringen will. „Diese Kenntnisse sind weitgehend verloren gegangen. Inzwischen beherrschen die großen Konzerne mehr als 70 Prozent des weltweiten Saatgutmarkts“, sagt Heike Schneider, „und der größte Teil unserer Kulturpflanzenvielfalt ist verschwunden.“
Wer Saatgut im Gartenfachgeschäft kauft, findet auf den Samentüten häufig die Bezeichnung „F 1“ oder „Hybrid“. Dieses Saatgut stammt aus Laborzüchtungen und bringt Pflanzen hervor, deren eigenes Saatgut unzuverlässig oder gar nicht vermehrbar ist. „Zu 99 Prozent bilden sich daraus keine neuen Samen“, sagt Schneider, „damit schafft die Industrie Abhängigkeiten, weil wir jedes Jahr neues Saatgut kaufen müssen.“ Diese neuen Hochleistungssorten seien an die Vielfalt von Standorten nicht mehr angepasst – anders als die regionalen Sorten, die deshalb auch den Herausforderungen des sich rasch wandelnden Klimas am besten begegnen können.
Um Ordnung in die Auswahl an Samen zu bringen, sind die rund 100 Arten und Sorten auf der Saatgutbörse Pflanzenfamilien zugewiesen: Kopfsalat, Eichblattsalat oder Chicorée gehören zu den Korbblütlern und liegen zusammen in einer Kiste, Hülsenfrüchte wie Bohnen und Erbsen in einer anderen – denn oft gleichen sich die Ansprüche der Pflanzensamen innerhalb einer dieser Gruppen.
„Das Saatgut, das wir in den Tütchen anbieten, wurde von bekannten Bio-Saatgutherstellern gekauft, oder es stammt aus dem eigenen Garten, dem meines Nachbarn und nicht zuletzt aus dem Gemeinschaftsgarten“, sagt Heike Schneider. Dort bauen im Rahmen des Blumenthaler Klimaprojekts etwa zehn Leute Gemüse wie Wildtomaten, Bohnen und Erbsen, aber auch Blumen an.
„Einige haben auch eigenes Saatgut zur Tauschbörse mitgebracht“, sagt Heike Schneider, „doch häufig bunt gemischt – und ich muss dann die einzelnen Arten auseinander sortieren – eine mühsame Arbeit“, sagt die Gärtnerin.
Viele Leute, die zur Saatgut-Tauschbörse im Quartierstreff gekommen sind, setzen inzwischen im eigenen Garten auf Naturvielfalt: „Ich hatte vorher in meinem Garten so gut wie keine Schmetterlinge mehr“, sagt eine Workshopteilnehmerin, „doch im vergangenen Jahr habe ich Wildblumen ausgesät, und seitdem habe ich nicht nur mehr Falter im Garten, sondern auch mehr Vögel.“
„Die Saatgut-Tauschbörse soll mehr Bewusstsein für Klimaschutz schaffen“, sagt Leoni Beckmann, Leiterin des Blumenthaler Klimaschutzprojekts. "Auch wenn wir damit nicht so viel Kohlenstoffdioxid einsparen, als wenn ein Kohlekraftwerk abgeschaltet wird, verbreiten wir doch Wissen über Klimaschutz an der Basis“, sagt sie. Zwar läuft die Förderung des Projekts durch das Bundesumweltministerium im Mai aus, doch die Finanzierung des Gemeinschaftsgartens sei durch die Umweltbehörde bis zum Jahresende gesichert, sagt Beckmann.