Borgfeld. Die Tage, an denen Stephan Levin im Windschatten von Wilfried Döscher fährt, sind gezählt. Ende Dezember verabschiedet sich Döscher als langjähriger Geschäftsführer in den Ruhestand. Ab Januar wird an seiner Stelle der 38-jährige Diplom-Ingenieur Levin in Bremen jeden Tag ein Stück "die Welt retten". Denn so fühlt es sich an, wenn man beim Bremischen Deichverband am rechten Weserufer die Fäden in der Hand hält, sagt Deichhauptmann Michael Schirmer.
"Es gibt wenige Jobs, die so kreuz und quer durch Bremen zu tun haben, wie dieser", sagt Schirmer, "ohne uns wäre Bremen verloren, stünde hier zweimal am Tag das Wasser", erklärt er und zeigt auf den Teppichboden im Büro. "Fast ganz Bremen wäre bei Hochwasser überflutet, wenn es den Ringdeich vor der Weser nicht gäbe." Grundlage sei die vorausschauende Planung der beiden Bremer Deichverbände.
Die Füße bleiben an diesem Morgen trocken. Stephan Levin will dafür sorgen, dass das auch in den kommenden Jahrzehnten so bleibt. Er tritt an, um die Bremer vor Sturmfluten, Hochwasser und Dürren zu schützen. Levin hat an der Technischen Universität Dresden Wasserwirtschaft mit Schwerpunkt Siedlung und Industrie studiert. Vor zehn Jahren kam er nach Bremen. Gemeinsam mit den Kollegen eines renommierten Büros plante er technische Anlagen zur Abwasserreinigung von Kläranlagen im gesamten norddeutschen Raum, ehe er zum Bremischen Deichverband am rechten Weserufer wechselte. Vier Jahre zeichnete er für Deichbauprojekte verantwortlich. Jetzt übernimmt er.
Fasziniert vom Wasser
Levins Augen leuchten, wenn er vom Wasser erzählt, von dessen Bedeutung und über die Verantwortung, so klug und sorgsam wie möglich damit umzugehen. In jungen Jahren habe er Fußballspieler oder Naturschützer werden wollen. "Alles, was in und um das Wasser herum ist, hat mich immer fasziniert", sagt Levin. "Er kennt sich mit Wasser aus", sagt Deichhauptmann Schirmer heute. Diese Expertise, Levins Energie und Beharrlichkeit haben auch Wilfried Döscher überzeugt. Levin hat sich unter den "15 interessantesten Bewerbern" durchgesetzt, sagt er.
In wenigen Tagen wird er Am Lehester Deich, wo der Verband seinen Sitz hat, Chef von 58 Mitarbeitern sein. Und nicht nur das. Er werde Bremen mitgestalten, wie er sagt. "In Bremen findet das öffentliche Leben am Deich statt, der Deichverband wird bei allen großen Bauprojekten dazu geholt, muss mitplanen und -entscheiden", zeigt Levin das große Spektrum seiner Arbeit auf. Schutzbauten wie der Osterdeich seien auch Teil des öffentlichen Lebens; sie dienten als Wegstrecke zum Stadion, im Sommer als Liegewiese und als Veranstaltungsort für Festivals. All das müsse mitgedacht werden.
Gestaltung der Schlachtemauer
Verantwortlich ist der Deichverband auch für Deichlinien anderer Art. Außer den grünen Schutzwällen an Wümme und Lesum gibt es die Spundwände der Kajen in den Häfen, Mauern und mobile Wände, die im Bedarfsfall innerhalb von drei Stunden aufgebaut werden können und das Wasser aufhalten. Für insgesamt 100 Kilometer Deich ist der Verband zuständig, davon verlaufen 35 direkt an der Weser. Sie sind besonders hoch, um auch Sturmfluten standzuhalten. "Wir arbeiten permanent daran, sie zu erhöhen und zu erhalten", sagt Michael Schirmer. Oft, so Levin, prägten die Bauwerke zum Schutz vor Hochwasser das Bild der Stadt, wie zum Beispiel die Sitzstufenanlage an der Schlachte im Bremer Zentrum. Da gehe es um den Erhalt einer 400 Jahre alten Mauer, aber auch um die Optik. Der Deichverband habe für den Abschnitt Diepenau einen Sandstein ausgewählt, der gut in das historische Ensemble passe, so Döscher.
Den Klimawandel begleiten
Auf Levin kommt eine Vielfalt von Aufgaben zu. Es wird erwartet, dass sein Verband den Verbrauch von Wasser auf kluge Weise steuert, und dessen Einsatz so effektiv wie möglich managt. Dafür, so der Geschäftsführer in spe, habe er "viele Ideen". Er führe Gespräche mit vielen Akteuren, wie auch dem städtischen Wasserver- und -entsorger Hansewasser. Deichhauptmann Schirmer: "Starkregen zu bewältigen und extrem trockene Sommer – das ist ein ordentlicher Spagat, den wir zusammen mit der Stadt organisieren." Laut Levin befassen sich inzwischen immer mehr Gremien mit dem Klimawandel – der Deichverband sitze überall mit am Tisch.
Auf seinem Zettel steht außerdem ganz klassisch die Erhöhung der Deiche um perspektivisch bis zu einem Meter – das aber inzwischen in einer Zeit, in der jeder Quadratmeter Landschaft umkämpft ist. "Die Interessen von Wirtschaft, Erholung, Wasserwirtschaft und Naturschutz konkurrieren miteinander", erklärt Wilfried Döscher. Der Deichverband versuche, alle Interessen unter einen Hut zu bringen: "Eine Art Synthese, das ist, was wir hier veranstalten." Ziel sei es, praktische Lösungen zu finden. Der Deichverband, so Levin, kläre über Hochwasserschutz auf, vermittele zwischen den Beteiligten und vernetze sie. "Oft sitzen wir mit Investoren an einem Tisch, die den Hochwasserschutz nicht im Blick haben", kritisiert er.
Mit ihnen wird der 38-Jährige auch in Zukunft verhandeln. Levin möchte künftig aber auch eigene Akzente setzen. "Das Thema Klimaneutralität liegt mir am Herzen", sagt der Sohn zweier naturverbundener Maschinenbauingenieure. Auf städtischer Ebene gehe es darum, Wasser solange zu speichern wie möglich. Im Unternehmen will er den Datenschutz vorantreiben, die papierlose Datenerfassung etablieren und die wichtige Arbeit des Verbandes öffentlicher machen. Zudem werde die IT-Sicherheit ausgebaut, um den Verband gegen Cyber-Angriffe zu schützen. Von Wilfried Döscher übernimmt er die Leitung eines Betriebs, der beim Klimaschutz ganz vorn mit dabei ist.