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Jugendaustausch in Borgfeld "Fußballspielen heißt, Entscheidungen zu treffen"

Ein ehemaliger Nationalspieler aus Benin und engagierte Borgfelderinnen setzen auf Fußball als Mittel zur Perspektivenbildung. Wie sich die Jugendlichen begegnen und was sie dabei mitnehmen.
27.06.2025, 14:00 Uhr
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Von Petra Scheller

Aus der Küche des Vereinsheimes beim SC Borgfeld klingen Stimmen – zuerst zart, rhythmisch, groovig, dann immer lauter, klarer, mehrstimmig. Ein Gänsehautmoment – 18 Mädchen und junge Frauen singen, während sie ihre Frühstücksteller abwaschen. Seit einer Woche hat der SC Borgfeld Besuch aus dem afrikanischen Benin. Eine Premiere für die Mädchenmannschaften der Fußball Academy Kabongo-Parakou aus Westafrika – erstmals sind sie zu einem internationalen Turnier, dem Borgfelder Karl-Schmidt-Cup eingeladen, gemeinsam mit über 200 Mannschaften. Der Jugendaustausch zwischen Borgfeld und Benin ist laut Organisatorin Katrin Meyer jedoch mehr als nur Fußballspielen. Der für zwei Wochen geplante Austausch bedeute internationale Begegnungen, Bildung und auch das Knüpfen von Freundschaften gehöre dazu. Das würde nicht nur den Mädchen aus Benin zugutekommen, sondern auch neue Perspektive für die Mädchen und Jungen in Borgfeld aufzeigen.

"Für den Verein ist das ganz klar eine Bereicherung", unterstreicht auch Vereinschef Thomas Kaessler. Benin sei eines der ärmsten Länder der Welt, viele Kinder erfüllten ihre Schulpflicht nicht und arbeiteten stattdessen von klein auf für die Familie. Mädchen würden häufig früh verheiratet und hätten kaum Chancen auf ein selbstbestimmtes Leben. Der Borgfelder Vereinsvorsitzende und Bremer Landessportbund-Geschäftsführer fördert die internationale Jugendbegegnung zwischen Benin und Borgfeld seit über sieben Jahren. Gemeinsames Training, auch kurze Begegnungen, das bringe auch für die Borgfelder Jugendlichen "eine Bewusstseinserweiterung", sagt der langjährige Jugendtrainer. "Wenn unsere Jugendlichen beispielsweise im direkten Gespräch hören, dass die Mädchen aus Benin teilweise zehn Kilometer zu Fuß zur Schule gehen, dann ist das etwas anderes, als wenn man das nur irgendwo hört oder liest." Seine Erfahrung: "Solche Begegnungen wirken oft noch über Jahre nach."

Die Zwillinge Sikiratou und Mounirathou Issifou haben gerade ihren 17. Geburtstag in Borgfeld gefeiert – gemeinsam mit ihren Freundinnen, auch vom SC Borgfeld. Die beiden spielen laut Katrin Meyer schon seit Jahren in der nationalen Landesauswahl von Benin. Fußball ermögliche den Mädchen dort eine Perspektive – die Aufnahme an der Akademie eine Berufsausbildung und das Abitur. Mounirathou lernt Mechatronikerin an einer Beniner Schule. Der Fußball habe ihr diese Perspektive eröffnet: "Fußballspielen heißt, Entscheidungen treffen", sagt die 17-Jährige. Der Sport habe ihr Selbstvertrauen gegeben, sich für diesen Beruf zu entscheiden. Ihre Schwester Sikiratou will im kommenden Jahr das Abitur machen. "Anschließend würde ich gerne in einer Firma arbeiten, die irgendetwas mit Fußball zu tun hat", sagt sie. Beide kommen aus einem Dorf aus dem strukturschwachen Norden von Benin, berichtet Katrin Meyer. "Dort wäre ihr Weg vorgezeichnet gewesen. In der Landwirtschaft arbeiten, der Familie helfen, dann heiraten und Kinder kriegen."

Sie wünsche sich, dass Mädchen weltweit ihren eigenen Weg gehen könnten, sagt Meyer. "Dass sie gefördert werden, Perspektiven entwickeln, dass sie sich selber Ziele stecken und ihr Leben in die Hand nehmen." Im afrikanischen Benin würden die Mädchen auf der untersten gesellschaftlichen Stufe stehen. Bereits 2018 hatte Katrin Meyer deshalb gemeinsam mit ihrem Ehemann Nanzif Koffi einen Aufruf im Beniner Radio gestartet, dass sie Mädchen für eine Fußballmannschaft suchen würden. Für den ehemaligen Nationalspieler Nanzif Koffi stand dabei eher der sportliche Aspekt im Vordergrund. Für die Bremer Versicherungskauffrau Katrin Meyer der soziale.

Ihre Idee: die Gründung einer Mädchenakademie für ganz Benin. Mittlerweile sei aus dem Fußball-Projekt ein Internat geworden. Mädchen und junge Frauen zwischen 14 und 20 Jahren finden an der Academy Kabongo Sports de Parakou (AKSP) einen Ort zum Leben, Lernen und Trainieren. Sie alle gehen auf unterschiedliche Schulen oder machen eine Ausbildung. Zurzeit leben 43 Mädchen im Internat. "Wenn es richtig gut läuft können die Mädchen eine Ausbildung machen und später in ihrem Land etwas verändern", sagt Thomas Kaessler. Ein gutes Beispiel sei ein Junge aus Benin, der nach seinem Jugendaustausch mit Borgfeld Ingenieurwesen studiert habe und nun in seinem Land etwas verändern wolle."Es geht darum, den jungen Leuten Perspektiven aufzuzeigen, damit sie in ihrem Land die Initiative ergreifen", sagt Kaessler.

Über 100.000 Euro sammelt Katrin Meyer in guten Jahren an Spenden für die Akademie in Benin. Hauptsponsor sei unter anderem die Firma Jens Warneke Export GmbH aus Bremen – ein Getränkelieferant, der nach Benin exportiere. Obwohl die Mädchen in Benin in schwierigen Verhältnissen leben würden, seien sie fröhliche und zufriedene Menschen. "Das ist so auffällig und toll zu erleben und bringt auch manchmal unsere Jugendlichen in unserem Überfluss dazu, anders auf die Dinge zu schauen", weiß Thomas Kaessler. Singen, Tanzen – all das gehöre zur afrikanischen Kultur dazu. Trete man mit den Mädchen "in einen guten Kontakt", entstehe etwas "Großartiges", hofft Katrin Meyer.

Info

Der internationale Borgfelder Karl Schmidt Cup findet vom 27. bis 29. Juni ganztägig auf der Sportanlage Hinter dem Großen Dinge in Bremen statt. Gäste seien willkommen.

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