Deutschland steckt im Winterwahlkampf. Zwei Wochen vor der Bundestagswahl sind die meisten Wahlbenachrichtigungen versandt und für die Bürgerinnen und Bürger steht eine Entscheidung an. Dass sie mitunter schwer fällt, zeigt eine Straßenumfrage, die wir im Borgfelder Ortszentrum gemacht haben. Die zentralen Fragen: Welche Themen stehen für Sie im Mittelpunkt? Und haben Sie schon entschieden, wen sie wählen?
"Mich bewegt, dass ich nicht weiß, wen ich wählen soll", sagt Michael Suhren auf dem Gehweg vor dem Rewe-Markt. "Schwierig", sagt er, "bei den ganzen Streitereien." Doch er habe auch Hoffnung. Dass sich die Ampelkoalition aufgelöst habe, finde er gut. Nun wünsche er sich eine Zweier-Koalition. "Aus Schwarz und einer anderen Partei – die Linke hat mir ganz gut gefallen. Ich habe neulich einen Polit-Talk gesehen, da fand ich ganz schlüssig, was Jan van Aken gesagt hat."

Michael Suhren.
Wichtig sei ihm, "dass wir die Asylpolitik in den Griff bekommen, dass wir die Fehler ausmerzen, die Merkel schon gemacht hat, dass sie zu viele Leute reingelassen hat, ungeprüft." Er habe vor zehn Jahren selber zwei Syrer eingestellt, berichtet der Unternehmer. "Das sind tolle Jungs geworden, die habe ich inzwischen fest eingestellt. Beide sind inzwischen deutsche Staatsbürger." Das Thema Einwanderung gehöre unbedingt auf die politische Tagesordnung. Viele Einwanderer hätten "tolle Berufe" gelernt. "Warum wird das hier nicht anerkannt?", fragt Suhren.
Er empfiehlt der Politik mehr Pragmatismus. Zum Beispiel beim Thema Wohnen: "In Madrid nehmen sie 40-Fuß-Container, stapeln die übereinander, schneiden die Wände auf – und bauen da Häuser draus." Politikerinnen und Politiker sollten mehr miteinander sprechen, "aufeinander zugehen, sich verständigen – und Lösungen für die Menschen im Land schaffen."
Morten Reisemann bewegt "der Schulterschluss von CDU und AfD", wie der 21-Jährige sagt. Damit würde die Rechte erstarken. "Ich hab das Gefühl, dass unsere US-amerikanischen Verbündeten es vorgemacht haben, und wir machen das jetzt nach." Ihn beunruhige diese Entwicklung. Eigentlich seien ihm Themen wie "globale Erwärmung und soziale Gerechtigkeit" wichtig – "danach treffe ich meine Wahlentscheidung." Doch zurzeit seien diese Themen völlig ins Hintertreffen geraten. "Ein Fünftel der Deutschen sagt, wenn jetzt Wahlen wären, würden sie AfD wählen, das finde ich schon beängstigend."
Er könne sich das nicht erklären, sagt der angehende Tischler. "Migration ist ein Fakt und Asyl ist ein Menschenrecht. Die eigentliche Frage ist doch, wie gehen wir mit Geflüchteten um?" Seine Briefwahlunterlagen habe er bereits erhalten, sagt Reisemann. Nun müsse er sich noch zwischen zwei für ihn infragekommenden Parteien entscheiden.
"Ich setze mich ganz viel mit meinem 15-jährigen Sohn über Politik auseinander", berichtet eine Borgfelder Friseurin. Ihren Namen möchte sie lieber nicht öffentlich nennen. "Mein Sohn hat zu Politik schon eine Meinung und wir beraten auch darüber – er wünscht sich Veränderungen im Schulsystem und Möglichkeiten der Weiterbildung. Er würde gerne schon mit 16 einen Führerschein machen dürfen."
Ihr selbst wiederum sei es wichtig, dass auch ältere Menschen mehr "beachtet werden". Es gebe viele Ältere, "die ein Leben lang geschuftet haben und jetzt in der Apotheke kaum die Zuzahlung bezahlen können." Das betreffe "oft auch Frauen, die früher ja oft auch Hausfrau sein und ihren Mann fragen mussten, ob sie arbeiten gehen dürften." Sie lege ihre Hoffnung in die CDU, sagt die 51-Jährige. "Und ich hoffe, dass die AfD nicht so viel Zuspruch bekommt." Ihr Sohn sehe das anders: Er sage, vieles sei bei der AfD "auch nicht ganz doof" – und zeige ihr die Wahlvideos auf Tiktok. "Das wird auf jeden Fall ein Thema, wenn diese Generation wählen darf. Deshalb hoffe ich, dass sich bis dahin in der Politik was ändert."

Birgit Hoffmann.
Birgit Hoffmann hat ebenfalls Angst, "dass wir einen zu starken Rechtsruck machen", sagt die Architektin. Ihr seien der Klimawandel und soziale Fragen wichtig, und auch das Thema Migration müsse endlich angegangen werden – denn sonst würde der "Rechtsruck immer größer". Sie denke da an ein Einwanderungsgesetz und "klarere Strukturen". Die Parteien der Mitte würden Bürgerinnen und Bürger verprellen, weil sie sich "unglaublich schlecht präsentieren". Das spiele denen, die eigentlich gar kein vernünftiges Programm hätten, in die Karten. Zurzeit prallten viele Welten aufeinander: "Wir können nur so viele Menschen aufnehmen, die wir auch integrieren können. Denn wir müssen ja auch eine Perspektive für die Menschen schaffen", sagt die Borgfelderin.
Udo Stephan ist Krankenpfleger und kommt gerade von der Arbeit. "Ich mache mir Sorgen um einen Rechtsruck in unserem Land, und dass sich die Gesellschaft entsolidarisiert." Er habe das Gefühl, "dass wir da schon mal weiter waren." Deutschland-, europa- und weltweit würden die "Ränder erstarken", das sei "beunruhigend". Wichtige Dinge wie die Pflege der Infrastruktur seien seit vielen Jahren "einfach liegen gelassen worden." Das werde die nächsten Generationen beschäftigen. "Und wenn jemand die Probleme benennt und ändern will – ich denke da an Herrn Habeck – wird er gleich abgestraft. Das finde ich nicht gerechtfertigt." Lasten müssten verteilt werden. Die Streiterei in der Politik bringe das Land nicht weiter. Er hoffe auf eine grüne Regierung "als Korrektiv", denke jedoch, dass an Merz wohl kein Weg vorbeiführe.

Udo Stephan.
Joachim Haas sorgt sich um die Wirtschaft. Inflation und Heizen seien für ihn ein Thema. Haas spricht von einer "Gesamtangst, die man hat". Er sorge sich zum Beispiel, dass er nicht mit "dem auskommt, was man hat, weil die Preise nicht mehr stimmen". Er wähle liberal und hoffe auf eine schwarz-gelbe Koalition. "Die Parteien müssten mal hören, was die Leute wollen", sagt er.
Uschi Barghop findet, dass die Welt "kopf steht". Sie wünsche sich, dass die Menschen sich mehr wertschätzen. "Es wird oft auf die Migranten geschimpft, aber das sind die, die in der Straßenbahn aufstehen", sagt die 88-Jährige. Ihr Wahlentschluss stehe fest. "Ich wähle das, was ich immer wähle – auf alle Fälle nicht den Merz."

Uschi Barghop.