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Bauernvertreter aus Borgfeld "Ich traue Özdemir zu, dass er sich mit dem Lebensmittelhandel anlegt"

Was sagt der Bremer Bauernverbandsvizepräsident, Carsten Schnakenberg (CDU), zu dem Grünen Cem Özdemir als Bundeslandwirtschaftsminister? Der erste Eindruck ist positiv: MIt einem Realo könne man was anfangen.
25.01.2022, 05:00 Uhr
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Von Petra Scheller

Herr Schnakenberg, der neue Bundeslandwirtschaftsminister ist Grün, für Sie als Landwirt und Christdemokrat ein rotes Tuch?

Carsten Schnakenberg: (lacht) Ich bin mit ihm sehr einverstanden. Cem Özdemir ist Realo, er ist ähnlich einzuschätzen wie Robert Habeck. Und mit einem Realo können wir Bauern auch was anfangen.

Wie schätzen Sie ihn denn ein?

Er sieht die Probleme und will Lösungen herbeiführen. Özdemir wird keine Klientel-Politik machen. Weder für die einen, noch für die anderen. Es werden für uns Bauern schmerzliche Dinge dabei sein. Genauso wie für die NGOs. Ich finde es gut, dass er das Problem mit den Lebensmittelpreisen auf den Tisch bringt. Und auch, dass er das heiße Thema Schweinepreise gleich angefasst hat. Auch seine starke Medienpräsenz ist für uns Landwirte ein Vorteil.

Özdemir hat gleich zu Beginn seiner Amtszeit die Ramschpreise für Schweine aufgegriffen.

Wir Bauern kritisieren das ja schon seit Langem, dass das nicht der richtige Weg ist. Und ich traue Özdemir zu, dass er sich mit dem Lebensmitteleinzelhandel anlegt. Da gibt es eben keine Verflechtungen, wie man das von früheren Regierungen kannte. Lobbyismus findet bei ihm nicht statt.

Umwelt und Landwirtschaft sind jetzt zwei grüne Ressorts. Ist das ein Vorteil?

Unbedingt. Da machen wir ja auch in Bremen sehr gute Erfahrungen mit Maike Schaefer als Senatorin. Auf Bundesebene ist das neu. Da hatten wir bislang Julia Klöckner von der CDU und Svenja Schulze von der SPD, die eigentlich nur gegeneinander gearbeitet haben. Davor waren es Christian Schmidt und Barbara Hendricks, genauso eine Katastrophe. Umweltministerin Lemke und Landwirtschaftsminister Özdemir stehen hingegen für Aufbruch. Das können wir gut gebrauchen.

Wohin sollen die beiden denn aufbrechen?

Als Erstes sollte er sich ein Bild von der Landwirtschaft machen und zu den Bauern hinfahren – und nicht von Berlin aus am Schreibtisch regieren. Jede Region hat ihre Eigenheiten. Für die Bayern ist beispielsweise die Anbindehaltung bei Rindern ein großes Thema – die soll ja verboten werden. Für uns Norddeutsche ist das kein Problem, für die Bayern schon. Das soll sich der Minister mal vor Ort ansehen und mit den Menschen sprechen. Damit er weiß, wo der Schuh drückt.

Welches ist das drängendste Problem der Landwirtschaft?

Das Hauptproblem ist, dass die Marktmacht des Lebensmitteleinzelhandels viel zu groß ist und dass sich da keiner rantraut, um die mal ein bisschen in die Schranken zu weisen. Und, dass wir mit Umweltauflagen überhäuft werden. Wenn das gesellschaftlich gewollt ist, können wir das alles machen. Aber dann muss es auch jemand bezahlen.

Sie sprechen den globalen Handel an?

Ja. Wir können nicht mit einem Stück Rindfleisch konkurrieren, das aus Brasilien kommt. Oder mit dem Schweinefleisch, das aus dem tiefsten Osten kommt. Wir haben eine Abwanderung der Lebensmittelproduktion. Hühner sind das beste Beispiel. Bei Eiern haben die Kunden unseren Appell gehört. Viele kaufen Bio oder regionale Bodenhaltung – aber die Eier, die in verarbeiteten Produkten sind – in Kartoffelsalaten, Keksen, Nudeln – die kommen eben aus einer Haltungsform, die wir hier in Deutschland längst verboten haben.

Wenn Sie sagen, die Marktmacht muss gebrochen werden, wie kann man das erreichen? Gibt es ein Beispiel aus der Landwirtschaft, wo das geklappt hat?

Nein, gibt es nicht. Die Politik muss Gesetze machen. Da wollen wir gerne mitarbeiten. Wir wollen eine soziale Marktwirtschaft, Betonung auf sozial. Da müssen wir wieder hin. Das ist ja nicht nur in der Landwirtschaft so, sondern auch in vielen anderen Bereichen fehlt das Soziale.

Gute Nachricht: die Milchpreise?

Ja, und die Aussichten für die nächsten Monate sind positiv. Wir haben ein knappes Angebot weltweit. Deshalb ist der Preis ganz gut. Schlechte Nachricht: Die Kosten für die Produktion sind in den vergangenen Monaten so stark gestiegen, dass nur wenig übrig bleibt. Aber es gibt noch eine gute Nachricht: Ab dem 1. April gibt es bei uns in Deutschland Tierwohlmilch – das ist eine Abmachung zwischen dem Einzelhandel und der Landwirtschaft. Der Handel erklärt sich bereit, 1,2 Cent mehr für die Milch pro Liter zu zahlen. Das ist schon mal ein erster Schritt.

Trauen Sie Cem Özdemir zu, dass er solche Verhandlungen auch auf andere Lebensmittelbereiche ausdehnt?

Wir brauchen innerhalb Europas mehr Einheitlichkeit. Wir Deutschen haben die strengsten Auflagen, das ist ein klarer Wettbewerbsnachteil. Unsere Düngeverordnung ist sehr, sehr streng. In dem neuen Pestizidatlas ist das ja gut dargestellt – weltweit ist der Verbrauch immens gestiegen. In Deutschland ist er zurückgegangen – das bringt aber keiner auf die Titelseite.

Das heißt für Konsumenten: Verzicht auf Convenience Food und Fertiggerichte, stattdessen regional einkaufen?

Ja, das muss Özdemir rüberbringen. Nehmen wir das Beispiel Aldi. Bis 2030 will das Unternehmen sein Frischfleisch komplett auf Haltungsstufe 3 und 4 umstellen – Letztere bietet den Tieren einen tatsächlichen Auslauf im Freien. Klingt erst mal gut. Das Problem: Der Bereich Frischfleisch macht bei Aldi nur 15 bis 20 Prozent aller Produkte aus. Das Tiefkühlfleisch und die ganzen Fertigprodukte fallen komplett aus der Schiene raus. Das kommt irgendwo her, wo es am billigsten produziert werden kann. Da muss man sich ehrlich machen.

Was soll die Politik für die Bauern tun?

Wenn heute jemand einen Schweinestall oder einen Kuhstall baut, dann muss der auch noch in 15 Jahren zu nutzen sein. Bei einem Kuhstall investieren wir zurzeit 12.000 Euro pro Kuhplatz – wir haben bei uns in Timmersloh 90 Kühe und 160 Jungrinder auf dem Hof. Das ist dann schon eine Investition. Da brauchen wir Planungssicherheit. Außerdem soll in die Köpfe, dass regionale Lebensmittel oft besser sind als importierte Bioprodukte.

In Bremen haben Sie schon Erfahrung mit einer grünen Senatorin in der Landwirtschaft – wie ist das so?

Wir haben zu Maike Schaefer einen guten Draht. Sie ist auch ein Realo. Sie hört uns gut zu. Das sollte Cem Özdemir im Bund auch tun – dann passen wir gut zusammen.

Das Interview führte Petra Scheller.

Zur Person

Carsten Schnakenberg (43)

ist seit neun Jahren Vizepräsident des Bremischen Landwirtschaftsverbandes. Der Landwirt und seine Familie leben mit drei Generationen auf einem Milchviehhof in Butendiek. Der Borgfelder arbeitet seit Jahren mit regionalen Naturschutzverbänden Hand in Hand.

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