Bezeichnungen wie Millionär, Milliardär oder Multi-Milliardär fallen heute, wenn es um reiche Männer wie Jeff Bezos oder Elon Musk geht. Doch wer Reinhard Tieste in Burgdamm besucht, sieht schnell, wie relativ diese Begriffe sein können. Bei dem 63-Jährigen stapeln sich die Millionen und Milliarden – zumindest, wenn man den aufgedruckten Zahlen der unzähligen Geldscheine traut. Tieste handelt mit historischen Geldnoten, etwa aus Zeiten des Kaiserreichs und der Weimarer Republik. Ein Teil dieser beträchtlichen Sammlung erzählt von einem dramatischen Kapitel der deutschen Wirtschaftsgeschichte: die Hyperinflation von 1923.
Damals entwickelte sich die junge Weimarer Republik zu einem Land der Multi-Milliardäre. Nur konnten sich die Bürger für all ihre Milliarden kaum etwas kaufen. "In dieser Zeit haben sich diverse verrückte Szenen abgespielt. Arbeiter mussten zum Beispiel ihren Lohn mit Schubkarren abholen", sagt Tieste. Im Jahr 1923 sei das Geld nicht mehr das Papier wert gewesen, auf dem es gedruckt war. "Irgendwann hieß es: 'Gib mir lieber eine Schachtel Streichhölzer'", schildert Tieste den Alltag vor knapp 100 Jahren. Durch die massive Geldentwertung florierte der Tauschhandel mit Naturalien.

Im Jahr 1923 ließ auch Bremen die Gelddruckmaschinen laufen und brachte Notgeld in den Umlauf.
Das Gefühl, was Inflation bedeutet, ist in den vergangenen Monaten in den Alltag zurückgekehrt. Egal, ob beim Wocheneinkauf im Supermarkt oder bei der Suche nach Weihnachtsgeschenken für die Liebsten – fast überall verlangen die Händler deutlich höhere Preise. Die vom Statistischen Bundesamt errechnete Inflationsrate liegt mit zehn Prozent aktuell so hoch wie nie in der deutschen Nachkriegsgeschichte. Mit Hyperinflation oder gar einer Krise wie 1923 hat das aber nichts zu tun. Erst ab einer Teuerungsrate von 50 Prozent pro Monat sprechen Wirtschaftsexperten von Hyperinflation. Derzeit sind es zehn Prozent pro Jahr. Im November ging dieser Wert im Vergleich zum Vormonat leicht zurück.
So sind auch die Auswirkungen auf den Alltag mit den Zuständen von 1923 nicht zu vergleichen. Im Gedächtnis geblieben ist Tieste auch die Geschichte eines Mannes, der in Danzig Notgeld erhielt und dann zurück nach Bremen reiste. "Praktisch während der Fahrt wurde er von der Inflation überrollt. Als er hier ankam, war das Geld nichts mehr wert", berichtet der 63-Jährige. In Erinnerung geblieben ist ihm diese Geschichte auch, weil sie mit einem besonderen Sammlerglück zusammenhängt. "Notgeld aus Danzig ist begehrt und sehr selten", verrät er.
Die massive Geldentwertung entwickelte sich damals aus den Folgen des Ersten Weltkriegs. Hohe Reparationsleistungen an die Siegermächte belasteten die Weimarer Republik. Als Deutschland nicht mehr zahlen konnte, besetzten französische und belgische Truppen das Ruhrgebiet. Die deutsche Regierung rief die Arbeiter dazu auf, mit Streiks passiven Widerstand zu leisten. Dafür gab es Geld vom Staat, obwohl dieser eigentlich keines hatte. Die Weimarer Republik ließ die Gelddruckmaschinen laufen, was die Staatsfinanzen endgültig ruinierte. Immer neues Notgeld mit astronomisch hohen Summen kam in den Umlauf. Im November 1923 entsprachen 4,2 Billionen Mark dem Wert eines amerikanischen Dollars.

Ein historisches Bild aus dem Jahr 2023: Auf dem Höhepunkt der Hyperinflation wurden die Geldscheine gewogen, weil das Zählen zu lange gedauert hätte.
Für Sammler von Geldnoten entstand in dieser Zeit ein schier endloser Fundus an kuriosen Scheinen. Denn neben dem im ganzen Land gültigen Geld druckten die Städte auch Scheine, die nur regional nutzbar waren. So kam auch ein 100-Milliarden-Mark-Schein mit dem Bremer Roland in den Umlauf. Auch große Arbeitgeber wie der Norddeutsche Lloyd druckten eigenes Geld für ihre Beschäftigten. Die Kapazitäten der Reichsbank reichten schlichtweg nicht mehr aus, um das ganze Land mit den stetig neuen Scheinen zu versorgen.
Tieste entdeckte seine Leidenschaft für Geldnoten vor etwa 40 Jahren. "Sammler sind positiv bekloppt", sagt er und lacht. Inzwischen hat er sich mit seinem An- und Verkauf einen Namen gemacht, die Kunden kommen zum Teil auch aus Ländern wie den USA und China. "Für Chinesen ist acht eine Glückszahl. Und die Reichsbank hat ihre Noten stets mit einer achtstelligen Kennziffer versehen", erklärt Tieste. In China sei es Brauch, Toten ein Wegegeld mitzugeben.