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Private Gastgeber Rückzugsort mit Familienanschluss

Mit der Zuschauerrolle kann sich die Bremer Familie Fetsi nicht arrangieren. Sie will aus der Ukraine Geflüchteten helfen und hat eine Mutter mit zwei Töchtern bei sich zu Hause aufgenommen. Was das bedeutet.
24.05.2022, 06:00 Uhr
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Rückzugsort mit Familienanschluss
Von Ulrike Troue

In der ersten Woche des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine habe ihre Familie unter Schock gestanden und täglich darüber geredet, erzählt Maria Fetsi. "In der zweiten wollten wir nicht mehr nur zuschauen, sondern aktiv helfen", sagt die 41-jährige Bremerin. Schnell hätten sie, ihr Mann und ihre zehn und 13 Jahre alten Kinder gemeinsam die "sehr emotionale und ideologische Entscheidung" getroffen, bei sich zu Hause drei aus der Ukraine geflüchtete Menschen aufzunehmen.

Seit dem 25. März leben eine 41-jährige Ukrainerin und ihre elf- und 24-jährigen Töchter unter dem Dach der Findorffer Familie. Die ist zwar auf einem bundesweiten Hilfsportal registriert, jedoch über indirekte Kanäle sehr kurzfristig in die Gastgeberrolle für das weibliche Trio geschlüpft, das zunächst übergangsweise in den Messehallen untergekommen war. Die Mutter hat zuvor mit ihrem jüngsten Kind in Nicolaev gewohnt, die ältere Tochter im massiv bombardierten Charkiw.

Als die beiden Kleinen zusammen auf dem Trampolin gesprungen sind, war das für mich und meinen Mann die Bestätigung, dass wir alles richtig gemacht haben.
Maria Fetsi

Den Einzugstermin kann sich Maria Fetsi gut merken. Es ist der Geburtstag der älteren Tochter der ukrainischen Familie. Vielleicht auch deshalb war ihre erste Begegnung "eine sehr fröhliche". Die Mutter habe Blumen dabei gehabt, sie hätten Kuchen gegessen. "Es lief von Anfang an sehr unkompliziert", findet die im Bremer Westen praktizierende Hausärztin. Und die Belegung der Souterrainräume mit Doppelbett, Klappbett, eigenem Bad und direktem Zugang zum Garten "tut uns nicht weh", sagt sie. "Uns war es wichtig, dass die Schutzsuchenden privaten Raum und einen Rückzugsort haben. Wir haben  gehofft, dass es menschlich passt und wir sprachlich kommunizieren können."

Die beiden jüngeren Töchter hätten sich von Anfang an gut verstanden, schildert Maria Fetsi. "Als die beiden Kleinen zusammen auf dem Trampolin gesprungen sind, war das für mich und meinen Mann die Bestätigung, dass wir alles richtig gemacht haben  und ein sehr glücklicher Moment", sagt sie. Es sei ein schönes Gefühl, Geflüchteten helfen und durch freiwilliges Engagement dazu beitragen zu können, dass auch in schwierigen Zeiten neue Freundschaften entstehen. Die Kinder verstehen sich auch ohne große Worte, und über die 24-jährige Tochter klappt die Kommunikation auf Englisch auch ganz gut.  

"Wir hatten uns keine großen Gedanken gemacht, uns war nicht bewusst, welchen bürokratischen Aufwand das mit sich bringt", gesteht die Findorfferin mit griechischen Wurzeln. "Das haben wir zuerst beim Aufnahmeantrag gesehen." Auch für die finanzielle Unterstützung vom Sozialamt, die Kontoeröffnung und andere Formalitäten waren unzählige Telefonate und Recherchen erforderlich. Deshalb haben sie und ihr als Chirurg tätiger Mann sich die Aufgaben aufgeteilt. Es sei mehr Arbeit und Stress gewesen als gedacht, sagt Maria Fetsi. "Aber wir bereuen unsere Entscheidung nicht."

Unterstützung haben sie durch das neue Projekt "Ankern" der Freiwilligen-Agentur bekommen, auf das sie zufällig im Internet gestoßen sind. "Darüber erfahren wir viel, was uns von offizieller Stelle nicht oder erst viel später erreicht", lobt Maria Fetsi das neue Netzwerk für private Gastgeber und wünscht sich, dass die Behörden und das Projekt sich austauschen und eng zusammenarbeiten. Durch die Vermittlung über "Ankern" kann zum Beispiel die ukrainische Mutter eineinhalb Stunden deutsche Vokabeln bei einer ukrainisch sprechenden Freiwilligen lernen. Zusätzlich besucht sie mit ihrer 24-jährigen Tochter einen Deutsch-Kurs in der Oberschule Findorff. Beide sind außerdem für Integrationskurse angemeldet.

Obgleich die große Sorge um den Vater und die in Nikolaev zurückgebliebenen Familienangehörigen bei ihren drei ukrainischen Mitbewohnerinnen deutlich zu spüren sei und sie "natürlich an ihre Heimat denken", wollten sie am Leben hier teilhaben und vom Sozialstaat unabhängig werden, weiß Maria Fetsi aus vielen Gesprächen. Es falle ihnen schwer, Untätigkeit zu akzeptieren.

Die Findorfferin zollt vor allem den beiden Mädchen großen Respekt. Die Elfjährige besucht seit zwei Wochen die Oberschule und hat nach wie vor viele Stunden täglich Online-Unterricht an ihrer ukrainischen Schule. Ihre 24-jährige Schwester absolviert eine Online-Ausbildung im Bereich Public Health, die täglich etwa zehn Stunden beansprucht. Unterdessen bringt sich ihre Mutter im Haushalt ein und entlastet das berufstätige Ehepaar, beim Kochen wechseln sich beide Parteien zwanglos ab. 

"Wir essen jeden Abend zusammen und lachen sehr viel beim Essen", erzählt Maria Fetsi. Dadurch sei das zuvor dominierende Thema Arbeit in den Hintergrund und andere Themen ins Blickfeld gerückt worden. "Wir reden viel über Sprache und Kultur", sagt sie. Es werde auch deutsch, griechisch, ukrainisch gekocht, sagt sie. Ihr Sohn, der Suppe zuvor verschmähte, löffele neuerdings sogar ukrainischen Borschtsch-Eintopf aus.

Info

Verein/Projekt:

Freiwilligen-Agentur Bremen: Projekt Ankern

Engagementbereich:

Geflüchteten privaten Wohnraum zur Verfügung stellen oder sie zu Hause aufnehmen beziehungsweise eine Patenschaft für geflüchtete Menschen übernehmen

Aufgabe:

geflüchtete Menschen beim Ankommen in Bremen begleiten und unterstützen

Zeitaufwand:

unterschiedlich und individuell vereinbar

Kontakt:

Franziska Suckut

Handynummer: 015 22  - 625 05 95

E-Mail: suckut@freiwilligen-agentur-bremen.de

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