Das hat es noch nicht gegeben: Erstmals bleibt in diesem Jahr während des internationalen Erzählfestivals Feuerspuren am Sonntag, 7. November, die Lindenhofstraße für Autos geöffnet. Und anders als sonst gibt es auch keine Erzählstationen in den Ladenlokalen entlang der Lindenhofstraße, in denen zu festen Zeiten Geschichten erzählt werden.
„Nichts ist wie immer“, kündigt Festivalleiterin Christiane Gartner von Kultur vor Ort an, „denn auch im zweiten Pandemiejahr konnte man so ein Fest nicht planen, ohne die Bedingungen der Pandemie zu berücksichtigen.“ Deshalb laden die Festival-Macherinnen und -Macher vom Verein Kultur vor Ort und dem Bürgerhaus Oslebshausen nun also unter der Überschrift „Ein Stadtteil voller Geschichten und Licht“ dazu ein, sich etwas Glitzerndes oder Leuchtendes überzuwerfen und ab 16 Uhr einen Spaziergang durch das herbstliche Lindenhofviertel zu machen. Dort gibt es an verschiedenen Orten unter freiem Himmel etwas zu sehen, zu hören oder zu kosten: Stegreifgeschichten und Geschichten über den Gartenzaun, Feuershows mit Artisten aus Bremen, Hamburg und Berlin, Filme, Projektionen, Musik und Snacks.
Für den festlichen Rahmen sorgen fantasievolle Lichtobjekte, die Vorbereitungen dafür laufen aktuell auf Hochtouren: In den Ferienwerkstätten mit dem mobilen Atelier von Kultur vor Ort sind Gröpelinger Kinder dabei, Lichtobjekte und Laternen zu kreieren. „Im Quartierstreff Rostocker Straße bauen wir gerade beleuchtete Häuser, die auf dem Bibliotheksplatz gezeigt werden“, sagt Dominika Pioskowik, die bei Kultur vor Ort den Kunstkiosk und das Mobile Atelier leitet. Im Kunstkiosk werde an einer neuen Version des Laternen-Taxis gearbeitet. „Außerdem bauen wir dort Feuerstäbe und Herzen für den Liegnitzplatz.“ Große leuchtende Herzen entstehen auch im Treff „Mosaik“ am Liegnitzplatz und im Spielhaus Wilder Westen an der Stuhmer Straße wird an einer großen Skulptur für den Bibliotheksplatz gefeilt, wie Pioskowik erzählt: „Es geht dabei um Erderwärmung.“
Mit Jugendlichen, die an der Oberschule Ohlenhof in einem Vorkurs Deutsch lernen, haben Pioskowik und die professionelle Geschichtenerzählerin Simone Zinke im Mo 43 – der Werkstatt für Wort und Sinn im Quartiersbildungszentrum (QBZ) Morgenland – eine Geschichte für das Kamishibai-Fahrrad entwickelt, die um 16 Uhr auf dem Bibliotheksplatz zu hören ist. Bei diesem japanischen Erzähltheater werden auf einer kleinen Fahrradbühne Bilder gezeigt, die schon jetzt in den Fenstern der Bibliothek ausgestellt sind.
Auf dem Bibliotheksplatz sind am 7. November auch die Study Friends anzutreffen – junge Studierende, die im September in zwei WGs in der Werftarbeiter-Siedlung Bromberger/Posener Straße eingezogen sind. Sie zahlen keine Miete und unterstützen stattdessen Schülerinnen und Schüler der Neuen Oberschule Gröpelingen (NOG). „Wir haben sie eingeladen, sie werden gerade als Nachwuchs-Erzählerinnen und -Erzähler ausgebildet und sind bei den Feuerspuren dann rund um unseren QBZ-Stand unterwegs“, sagt QBZ-Leiterin Frauke Kötter.
Beim Atelierhaus Roter Hahn an der Gröpelinger Heerstraße 226 werden im festlich beleuchteten Innenhof auf Deutsch und Niederländisch Geschichten erzählt und die Wärmflaschen-Ausstellung ist geöffnet. In der Dockstraße ist die Theatergruppe Kratzbürsten aus dem Bürgerhaus Oslebshausen anzutreffen, deren Mitglieder seit vielen Jahren als Engel bei den Feuerspuren dabei sind. Dieses Jahr wollen die Damen mal privat aus ihrem Leben erzählen. Beim Masters of Pure Art (Mopa), Lindenhofstraße 46, gibt es Musik und Kunst, und am Torhaus Süd – dem Sitz des Digital Impact Lab – sind große Architektur-Projektionen zu erleben. Hier startet außerdem um 16.30 Uhr ein Rundgang durch das Lindenhofquartier, an dem jeder mit einem internetfähigen Smartphone teilnehmen kann.
Gegenüber beim Torhaus Nord wiederum lädt die künstlerische Festivalleiterin Julia Klein um 17 Uhr Familien zu einem einstündigen Geschichtenspaziergang ein: Alle bekommen Kopfhörer, über die es sich auch mit Abstand gut zuhören lässt. Diese „Silent Disco“-Ausrüstung hat Kultur vor Ort voriges Jahr über ein Hilfsprogramm der Bundesregierung für den Kultur- und Medienbereich angeschafft und seither bei etlichen Rundgängen eingesetzt. Der kleine Ausflug ins Reich von Stadtwichteln und sprechenden Bäumen endet mit einer funkelnden Feuershow beim Bauernhof.
Wer möchte, kann sich auf der Wiese vor dem Lichthaus beim Tanzen zu Afro Electro und Progressive House von DJ Christian Lamour warmhalten. Es gibt dort heißen Punsch, und der Gröpelingen Gastro-Container ist geöffnet. Die Waterfront – neben dem Sander-Center einer der großen Sponsoren, ohne die Christiane Gartner zufolge die Feuerspuren in dieser Form nicht möglich wären – nimmt das Festival-Thema „Warmhalten“ auf und illuminiert die Fassade entsprechend, kündigt Center-Managerin Kirsten Jackenkroll an: „Die Shops und Restaurants werden von 13 bis 18 Uhr öffnen, wir erwarten einen regen Ansturm.“
Das Sander-Center und verschiedene Gröpelinger Geschäfte haben am verkaufsoffenen Sonntag ebenfalls geöffnet. Wem der Sinn eher nach bildender Kunst steht, der sollte die Kap-Horn-Straße ansteuern. Parallel zum fulminanten Abschluss der diesjährigen Feuerspuren können dort nämlich die Hafenateliers besucht werden.