„Was, der soll deren Torjäger sein?“ Solche Fragen hört Flemming Kassan häufig, wenn er in der Handball-Bremenliga mit seinem SV Grambke-Oslebshausen III auf fremde Teams stößt. Der 20-Jährige sieht eben nicht so aus, wie ein typischer Brecher aus dem Rückraum. Er ist bei rund 190 Zentimetern im Gegenteil sehr schlank. „Flemming besteht nur aus Muskeln und Knochen“, beschreibt sein Coach Jochen Feldermann den Goalgetter.
Der weist mit seinen 86 Toren nicht nur die meisten Treffer aller Spieler in der Liga auf, sondern besitzt mit 10,75 Toren auch den mit Abstand besten Schnitt aller Akteure. Flemming Kassan ist vor allem eines: schnell. Beim Sieg über die SG Findorff II wurde Kassan ein Treffer zu Unrecht wegen eines angeblichen Schrittfehlers aberkannt. „Flemming macht so lange Schritte, dass der Ball schon im Tor war, ohne dass es einer gemerkt hätte“, erklärt Jochen Feldermann, der Kassan mit nur kurzen Unterbrechungen bereits seit der frühesten Kindheit trainiert.
„Flemming ist technisch super ausgebildet“, urteilt Feldermann. Deshalb ist es auch wenig verwunderlich, dass vor der Saison die Anfrage kam, ob er nicht in der ersten Mannschaft in der Landesliga auflaufen wolle. „Ich möchte aber lieber mit meinen Freunden zusammenspielen. Die Liga ist mir dabei relativ egal“, sagt der Abiturient. In der Jugend schnupperte er als Landesliga-Meister auch mal an höheren Sphären.
„Ich habe noch nie einen mir vorher unbekannten Gegenspieler erlebt, der von mir eingeschüchtert gewesen wäre. Ich bekomme vor dem Spiel immer erst einmal skeptische Blicke“, verrät der nach einem Freiwilligen Sozialen Jahr weiter in der Behinderteneinrichtung Friedehorst tätige Akteur. Im Laufe des Spiels werde er oder aber auch Leon Feldermann dann meistens irgendwann auf Mann genommen.
Einstudierte Spielzüge
„Da wir das aber alles schon kennen, kommt dann eben ein anderer Spieler aufs Feld, der die Tore macht“, betont Flemming Kassan. Die Grambker profitieren dabei von vielen über Jahre hinweg einstudierten Spielzügen. „Die Spieler verstehen sich blind und setzen Flemming immer wieder gut in Szene“, erklärt Jochen Feldermann. Dabei tut sich auch immer wieder dessen Sohn Leon Feldermann hervor. „Leon weiß genau, wie er mich zum Wurf bekommt“, bestätigt Kassan. Dennoch wisse auch er selbst nicht so genau, weshalb ausgerechnet er im linken Rückraum die meisten Tore markiere.
Dass eine Mannschaft über Spielzüge zum Erfolg kommt, ist in der Bremenliga eher ungewöhnlich. „Das ist für unsere Gegner super verwirrend“, meint Kassan. Jeder der einzelnen Spielzüge klappe auch zumindest ein bis zwei Mal pro Match. Die Bandbreite der Kombinationen sei derart groß, dass sich die Kontrahenten auch im Rückspiel nicht viel besser darauf einstellen könnten.
„Und wenn doch, gehen wir halt auch mal in ein Eins-gegen-Eins“, so Kassan. Alle Akteure hätten die Spielzüge auch dermaßen verinnerlicht, dass es überhaupt kein Problem sei, wenn dann mal ein Spieler wie Fabian Czernek sporadisch aus Mainz zu Gast sei. „Der übernimmt dann die Regie, als wenn er nie weg gewesen wäre. Wir haben eine ganze DIN-A-4-Seite voll mit einstudierten Spielzügen“, informiert Jochen Feldermann. Deshalb müsse er als Trainer auch nicht mehr viel tun.
„Ich trainiere die Jungs auch schon so lange, dass es meine letzte Saison sein könnte“, erklärt Feldermann. Diesen Satz kennt Flemming Kassan aber schon aus der Vergangenheit. „Und am Ende ist er dann doch wieder unser Trainer“, so der Youngster. Ob das zusammengewachsene Konstrukt auch ohne Feldermann funktioniere, sei eine schwierige Frage. „Jochen ist schon eine komplette Autorität. Als er schon mal ein Jahr raus war, war das schon etwas ganz anderes“, gibt Flemming Kassan zu bedenken.
Mit seiner schlanken Figur bekommt Flemming Kassan in der Abwehr Probleme. „Da schieben ihn alle einfach zur Seite“, berichtet Jochen Feldermann. Aber auch dafür haben die Blau-Gelben schon eine Lösung gefunden. Max Schriefer rückt für Kassan in der Deckung in die Mitte und weicht dann in der Offensive wieder auf die Außenpositionen aus.
"Schon durchtrainiert"
„Unabhängig davon bin ich aber auch nicht so schmächtig, wie es aussieht. Ich bin schon durchtrainiert, zumal wir bei Jochen Feldermann auch Krafttraining machen“, lässt Kassan wissen, der rund 80 Kilogramm auf die Waage bringt. Wie es derzeit aussieht, wird Flemming Kassan wohl nicht mehr allzu lange für die Nordbremer auflaufen. Schließlich plant er die Aufnahme eines Studiums. „Und das gerne in Köln. Die Stadt hat mich gepackt. Dort sind auch schon Freunde von mir“, teilt der 20-Jährige mit.
Seine Schwester Svea Kassan studiert auch bereits in Köln. Der Fußball-Fan von Werder Bremen und Borussia Dortmund möchte etwas im kreativen Bereich studieren. „Vielleicht etwas mit Medien, Design oder Grafikdesign“, so Kassan. Mit Freunden habe er auch bereits mit einer eigenen Siebdruckmaschine T-Shirts hergestellt. Mit Freunden macht der ehemalige Gymnasiast der Schule an der Bördestraße in Lesum auch Musik. „Ich produziere aber auch selbst am Computer Musik“, informiert der Handballer, der sich auch das eine oder andere Musikstück selbst am Klavier beziehungsweise am Keyboard beigebracht habe.
„Das macht auf jeden Fall Spaß“, sagt Flemming Kassan, der nicht auf eine bestimmte Musikrichtung festgelegt sei und sich vielseitig ausprobiere. In einer anderen Stadt werde er sich voraussichtlich eine neue Handball-Mannschaft suchen. „Es wird aber schon komisch sein, das erste Mal seit zwölf oder 13 Jahren nicht mehr mit meinen Freunden Handball zu spielen“, blickt der junge Mann voraus...