Er ist schlicht. Er ist hoch. Er ist markant. Seit mehr als 50 Jahren gehört der Turm der Philippuskirche an der Seewenjestraße gleich beim Grünzug zu Gröpelingens Silhouette. Seit rund zwei Jahren allerdings beobachtet die Bauabteilung der Bremischen Evangelischen Kirche (BEK) laut Pressesprecherin Sabine Hatscher den fast 30 Meter hohen Turm mit Sorge. „Der 1967 errichtete Bau weist enorme Schäden in der Substanz auf, unter anderem starke Fugenauswaschungen. Betonteile lösen sich und sind auch bereits herabgefallen. Hier muss, schon um Gefahren abzuwenden, bald gehandelt werden“, so Hatscher.
Den Turm zu erhalten, sei allerdings aufgrund der hohen Sanierungskosten „im sechsstelligen Bereich“ nicht zu rechtfertigen, so Hatscher weiter: „Der Turm steht nicht unter Denkmalschutz, die Gemeinde und die Jugendkirche, die mittlerweile in der Philippuskirche ansässig ist, haben dem Abriss bereits vor zwei Jahren zugestimmt. Derzeit wird der Abbruch vorbereitet. Es ist aber noch nicht entschieden, wann damit begonnen wird.“
In Gröpelingen werden derweil die ersten Rufe laut, der Turm müsse unbedingt erhalten werden. Die Philippuskirche ist seit August 2009 an das Projekt „Jugendkirche Garten Eden 2.0“ der BEK vermietet. Nicht allen Gemeindegliedern war es vor rund neun Jahren leicht gefallen, sich von ihrer Kirche zu trennen. Dass nun womöglich auch noch der Turm aus dem Stadtbild verschwinden könnte, wäre für manche von ihnen sicherlich ein weiterer schmerzlicher Schritt.
Vertraute Glockenklänge
Diakon Lars Ackermann, der zum 1. Oktober die Leitung der Jugendkirche von Vorgängerin Almut Schmidt übernommen hat, läutet seit einiger Zeit mit den drei Glocken oben im Turm immer sonnabends von 17.55 Uhr bis 18 Uhr den Sonntag ein. Und wie aus unterschiedlichen Richtungen zu hören ist, kommt das in der Nachbarschaft ausgesprochen gut an. Vielleicht wecken die vertrauten Glockenklänge bei so manchem Zuhörer schöne Erinnerungen an die eigene Kindheit und Jugend: Die Philippuskirche und die benachbarten Gemeinde-Bauten – Kirche, Schwesternstation, Gemeindehaus und zwei Pfarrhäuser sind in U-Form um einen grünen Innenhof herum angeordnet – waren am 30. Oktober 1966 unter großer Anteilnahme der Gröpelinger Bevölkerung eingeweiht worden. Mit der neuen Kirche sollten damals bewusst auch die Bewohner der Neubaugebiete nördlich der Gröpelinger Heerstraße einen eigenen kirchlichen Mittelpunkt bekommen. Sie mussten fortan nun nicht mehr bis zur Andreaskirche an der Dockstraße – heute: Lütjenburger Straße – laufen.
„Ich fände den Abriss des Turmes aus architektonischen Gründen höchst bedauerlich. Der Turm bildet eine kompositorische Einheit mit dem flachen Vorbau der Kirche, aus dem er gewissermaßen herauswächst“, sagt auch Eberhard Syring, Professor für Architekturtheorie und Baugeschichte an der Hochschule Bremen und Wissenschaftlicher Leiter des Bremer Zentrums für Baukultur (BZB). In dem von ihm verfassten Standardwerk „Bremen und seine Bauten“ ist die Philippuskirche ebenso vertreten wie im Architekturführer Bremen.
Und zwar „auf jeden Fall zu Recht“, wie Syring überzeugt ist. Denn zu ihrer Entstehungszeit sei die Philippuskirche mit ihrer Stahlkonstruktion sehr innovativ gewesen und auch vom Grundriss her sehr interessant. Hier hatten die Architekten Friedrich Schumacher und Claus Hübener bewusst eine konische Verjüngung eingearbeitet, um den Anspruch der Bauherren mit der Wirklichkeit in Einklang zu bringen. Mit rund 400 Sitzplätzen empfanden die Architekten nämlich das Gebäude als etwas zu groß angelegt, wie der in Schwachhausen lebende Claus Hübener Eberhard Syring vor einigen Jahren in einem Interview geschildert hat. Wenn die Bankreihen nach vorn hin schmaler würden, sähe dies bei schwachem Besucherzuspruch nicht ganz so deprimierend aus, hatten die beiden Architekten deshalb empfohlen.
Der Kirchturm wirke insbesondere durch die zeittypische Kombination von Beton und Ziegelflächen und sein grafisches Muster. Was Syring außerdem gefällt: „Das Satteldach wird gewissermaßen durch die Rauten angedeutet beziehungsweise vorbereitet.“
Diese gestalterischen Merkmale zeigen Syring zufolge, dass 1960 mit dem Einstieg des 25 Jahre jüngeren Juniorpartners Claus Hübener in das bis dahin eher traditionalistisch arbeitende Architekturbüro moderne Elemente Einzug hielten. Nachdem Schumacher bis 1950 die Bauausführung von Bremens erster Nachkriegskirche, der nach einem Notkirchenprogramm von Otto Bartning entwickelten Andreaskirche, betreut hatte, folgten fünf gemeinsame Kirchenneubauten von Schumacher und Hübener. Darunter auch der im Oktober 1961 eingeweihte "Findorffer Dom", die Martin-Luther-Kirche an der Neukirchstraße.
Syring hatte schon vor Längerem angeregt, die Philippuskirche unter Denkmalschutz zu stellen. „Für mich wäre ein Abriss ein weiterer Beleg für eine anhaltende Tendenz der Missachtung baukulturell hochwertiger Zeugnisse aus der Nachkriegszeit von den 1950er-Jahren bis Mitte der 1970er-Jahre.“