Huchting. „Wir sind arm in Huchting“, konstatiert Ingeborg Danielzick in ihrem Vortrag im Helga-Jansen-Haus. Die 60-jährige Sozialpädagogin, die in der Neustadt wohnt, hat bis 1991 in der örtlichen Dietrich-Bonhoeffer-Gemeinde gearbeitet und leitet aktuell den Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt der Bremischen Evangelischen Kirche. Beim Frauenfrühstück in der Huchtinger Begegnungsstätte sprach sie vor etwa 60 Seniorinnen über Armutsrisiken in Bremen und im Stadtteil.
„416 Euro, das ist der Geldbetrag, den eine erwachsene Person im Monat zur Verfügung hat“, klärt Ingeborg Danielzick beim Frauen-Frühstück auf, was das Schlagwort „Hartz IV“ zahlenmäßig für die Betroffenen bedeutet. Besonders häufig gerieten alleinerziehende Empfänger in die finanzielle Misere. Das belegen Zahlen des Statistischen Bundesamtes: Nach aktuellen Angaben lag die Armutsgefährdungsquote für Alleinerziehende in Deutschland im Jahr 2016 bei 33 Prozent – und damit etwa doppelt so hoch wie im Bevölkerungsdurchschnitt.
61,1 Prozent Alleinerziehende
Ein-Eltern-Familien in Bremen haben es offenbar besonders schwer, da sie laut Aussage der Kirchenvertreterin seltener einen festen Job haben als dies im bundesweiten Vergleich der Fall ist. „Im Jahr 2015 waren in ganz Deutschland 72,1 Prozent der Alleinerziehenden erwerbstätig, während es in Bremen nur 61,1 Prozent waren“, zitiert Danielzick aus einer Statistik der Arbeitsagentur. Dabei wollten viele dieser Eltern von sich aus eigentlich sehr gerne arbeiten, sagt sie und begründet: „Einen Job zu haben, bedeutet nicht nur mehr Geld zur Verfügung zu haben, sondern auch Eingebundensein in eine soziale Struktur von Kollegen.“ Meist scheitere es an der Arbeitgeberseite. Unternehmen zeigten sich gegenüber alleinerziehenden Müttern und Vätern noch immer unflexibel, so die Leiterin des Kirchlichen Dienstes in der Arbeitswelt.
Nichtsdestotrotz sei jedoch auch eine Beschäftigung in Vollzeit kein Garant mehr dafür, dass ein Arbeitnehmer seinen Lebensunterhalt eigenständig bestreiten könne, führt sie aus. Trete der Staat in diesen Fällen ein und stocke den fehlenden Betrag bis zur Grundsicherung auf, leiste er damit „in Wahrheit einen Lohnkostenzuschuss für Unternehmer“, kritisiert Ingeborg Danielzick. Auch das untermauert sie mit Zahlen: Im Jahr 2016 seien in Bremen rund 18 500 Erwerbstätige auf ergänzende staatliche Leistungen angewiesen gewesen. Angesichts der schlechten sozialen Lage vieler Menschen, müsse die Politik mehr tun, fordert die Kirchenvertreterin. Dass gezielte Investitions- und Förderprogramme die Situation in vormals abgehängten Quartieren durchaus verbessern könnten, zeige das Beispiel Tenever. „Dort wurde viel getan, und das spiegeln die Zahlen inzwischen wider“, berichtet sie. Der Anteil der Transferleistungsempfänger sei in Osterholz insgesamt rückläufig. Ganz anders in Huchting: „Im Vergleich zum Jahr 2009 ist die Zahl der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten 2016 von 19,3 Prozent auf 21,8 Prozent gestiegen“, informiert Ingeborg Danielzick.
Der Grund dafür, dass es in Huchting immer mehr arme Menschen gebe, sei nicht vorrangig im Quartier selbst zu suchen, sondern das Ergebnis einer Entwicklung in anderen Stadtteilen, erklärt sie. „Die Mieten werden vielerorts teurer, das zwingt die ärmeren Leute dazu, dorthin umzuziehen, wo die Wohnungen noch günstig sind.“ Und dies führe zu einer Konzentration einkommensschwacher Menschen in Huchting.
Alarmierend viele Kinder betroffen
Als alarmierend bezeichnete die Kirchenvertreterin die wachsende Anzahl der Kinder, die mit Hartz IV groß werden. „Waren es in Huchting 2009 noch 39,6 Prozent, lag diese Zahl 2016 bei 43,3 Prozent.“ Ihren Angaben zufolge übertrifft die letztgenannte Zahl den Bremer Durchschnitt um mehr als 13 Prozentpunkte. Angesichts der skizzierten Situation betont Danielzick: „Ein Aufwachsen in Armut steigert das Risiko, im Erwachsenenalter selbst arm zu bleiben.“ Die Ursache für eine solche „Hartz-IV-Karriere“ sei im Übrigen nicht immer nur im häuslichen Umfeld zu suchen. „Ob Nachbarn oder Lehrer – wer ein Kind aufgrund seiner finanziellen Situation ausgrenzt, trägt einen Teil dazu bei.“
Aber auch Senioren stünden oftmals nicht viel besser da, fährt die Leiterin des Kirchlichen Dienstes in der Arbeitswelt mit Blick auf ihr Publikum fort. Reiche die Rente nicht aus, sollten ältere Menschen sich nicht scheuen, Grundsicherung zu beantragen. „Das steht ihnen zu“, ermutigt die Rednerin die Runde.
Abgesehen davon sei es nicht in Ordnung, dass der Staat bereits auf kleine und mittlere Renten Steuern erhebe, findet sie. Diesen Zustand hatte wenige Tage zuvor bereits der Bund der Steuerzahler moniert. Während der grundsätzlich für Steuersenkungen eintritt, möchte die Kirchenvertreterin finanziell Bessergestellte stärker in die Pflicht nehmen. „Wenn man es nicht von denen nimmt, die es haben, woher soll das Geld dann kommen?“, fragt Danielzick rhetorisch in den Saal und fordert die Wiedereinführung der Vermögenssteuer. Armut sei nicht nur für die Betroffenen selbst ein Problem, meint sie. „Wir leben in einer Welt der Parallelwelten, und wenn die Leute sich nicht mehr begegnen, dann verstehen sie sich auch nicht mehr.“ Soziale Ungleichheit rufe eine allgemeine Unzufriedenheit in der Gesellschaft hervor, so ihr Fazit.